DUM NR. 105

THEMA: ZUG
Von Vorzug bis Flaschenzug
Mit: Bodo Hell – Interview * Gabriele Müller * Helmut Blepp * Harald Vogl * Georg Großmann * Marlene Schulz * Hans Anglberger * Daniela Dangl * Ela Rosenberg * ChristiAna Pucher * Stephanie Mehnert * Maria Lehner * Sophia Auer * Lia Krempler * Leon Telser * Simone Schmitt * Christine Rainer * Lorena Pircher * Marcel Zischg * Stefan Kreiger * Katharina Schwabl * Sanja Abramović * Gerwin Haybäck * Martin Peichl * Valerie Melichar * flimmern.fischen

Rezensionen: Jaroslav Rudiš – Gebrauchsanweisung fürs Zugreisen * Valerio Curcio – Der Torschützenkönig ist unter die Dichter gegangen – Fußball nach Pier Paolo Pasolini * Thomas Sautner – Nur zwei alte Männer

Zeichnungen: Eckholz, Oleg Estis

Preis: EUR 4.- (EUR 7.- außerhalb Österreichs)
Förder-Abo (4 Ausgaben): EUR 15.- (EUR 20.- außerhalb Österreichs)
Bestellung: Online, per E-Mail (dummail@gmx.at) oder unter 0664 / 4327973.

DUM-Interview: "LEUCHTENDE BÄUME UND ALLHEILMITTEL MEISTERWURZ" mit Bodo Hell



Leseproben aus DUM 105:


EX UND AUS
(Gabriele Müller)

Mit mir auf Entzug in Kalksburg war ein Berühmter.
"Diesmal ist es ein Schauspieler", sagte einer, der öfters dort war. "Letztes Mal war's ein Schriftsteller, Politiker kommen auch."
Von den Schriftstellern wusste ich. Manche schreiben nach ihrem Aufenthalt ein Buch, schauen dann frisch gebügelt in eine Kamera und warnen die Bevölkerung. Politiker outen sich nie. Das schadet der Karriere, wenn es nicht speziell zum Image gehört.
Die Berühmten wohnen immer im Extra-Trakt. Wer es war, sprach sich bald herum. Der Schauspieler schaute bescheiden drein, im Speisesaal starrte man ihn verstohlen an.
Mich hatte meine Frau nach Kalksburg gebracht. Sie halte meinen Grant nicht mehr aus, hatte sie gesagt, meine schlechte Laune, verstärkt durch den Kater am nächsten Tag.
"Selber schuld", murmelte sie oft. Sie hätte keinen Wiener heiraten sollen. "Die raunzen und ziehen sich scheußlich an."
Vor Weihnachten wurde mir ihr Jammern zu viel. Ich trank ein paar Tage durch, beinahe musste ich mich zwingen dazu. Auch Glühwein, denn der Winter war kalt. Mit dem Taxi fuhr ich in den 23. Bezirk und zeigte am Schalter lallend die E-Card vor. Man behielt mich gleich dort, über die Feiertage war die Auslastung eher gering. Die Neuen schliefen erst einmal ein paar Tage durch. Dann saß man in der Gruppe im Kreis und sprach über seine Probleme. Der Alkohol war oft das Geringste davon.
...



ZWISCHEN ZWEI BESICHTIGUNGSTERMINEN
(Martin Peichl)

Habe im Zug zwischen zwei Stationen von einem Saurierpark geträumt. Erinnere mich noch an die verhältnismäßig günstigen Eintrittspreise. Und es kam natürlich, wie es kommen muss: Ein Saurier bricht aus und alle anderen tun es ihm gleich, also mussten du und ich fliehen, durch Straßenschluchten hindurch den riesigen Tieren und ihren scharfen Zähnen entkommen. In keinem Winkel der Stadt waren wir vor ihren Angriffen, vor ihrem Appetit sicher. Das nächste Mal gehen wir wieder in einen normalen Zoo, hast du zu mir im Traum gesagt, am besten in einen Streichelzoo, habe ich geantwortet, als auch noch Flugsaurier über uns, ihre weitläufigen Schatten unter uns aufgetaucht sind.

Es gibt Vertikalwanderer, Meeresorganismen, zum Beispiel, die ihre Tage in tieferen Wasserschichten verbringen, sich dort besser tarnen können, um ihren Fressfeinden zu entgehen, die geschützt vom Dunkel der Nacht in die oberste Schicht Meer aufsteigen, dort selbst auf Futtersuche gehen. Bis sie satt sind oder der Morgen anbricht.

Die Maklerin und ich treffen uns zwischen zwei Besichtigungsterminen in einer leeren Dreizimmerwohnung, ideal für Pärchen, steht in der Anzeige. Wir haben Sex auf der Arbeitsfläche in der Küche, haben Sex auf den engen Treppen, die ins Obergeschoss führen, haben Sex, wo vielleicht einmal ein Bett, wahrscheinlich bald wieder eines stehen wird.
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DINGE.ORTE.JAHRE
(Harald Vogl)

Vielleicht ist das Frühstück schon fertig, sagt sie, höchste Zeit im April, oder? Dabei richtet sie sich in ihren Polstern mühsam auf, während ich ihr noch einen hinter den Rücken schiebe. Heftig reibt sie sich die Augen, ehe sich ihre Finger in den Bettbezug krallen. Das Heulen der Sirene, das die samstägliche Mittagsstunde ankündigt, läßt sie ruckartig die Decke über den Kopf ziehen. Jetzt kommen die Bomber, sagt sie und von unter der Decke steigt die Angst empor, die sie früher schon daran gehindert habe, Eisenbahnunterführungen zu durchqueren, erklärt sie, wenn das Poltern der darüberrauschenden Züge sie in die Aufenthalte im Luftschutzkeller zurückversetzt hatte. Nicht einmal begannen ihre Beine wie von selbst zu laufen. Das waren Zeiten, sagt sie und die Gespenster der Vergangenheit tanzen in den tiefen Falten ihrer Stirn.

Auf den Wolken reiten sie, aber vielleicht ist das Frühstück schon fertig, und ihr Kopf taucht jetzt wieder auf, haben ihre Ohren doch die direkt unter ihrem Fenster vorbeirumpelnde Straßenbahn vernommen. Der Fahrtwind kühlt so herrlich, sagt sie, und die Haare flattern. Aber jetzt ist es zu kalt, den Kopf hinauszustrecken. Tief verschneit ist die Landschaft, Schneefahnen wehen von den Bäumen, ein Knacken löst sich aus den Zweigen wie der Flügelschlag der Krähen und dazwischen pulst das regelmäßige Klopfen der Schmalspurbahn. Mit dem Zeigefinger der rechten Hand fährt sie auf ihrem linken Unterarm die durch die blasse, faltige Haut schimmernden Adern nach, als gelte es, mir die Linienführung zu zeigen. Jeden Tag die Nordstrecke, sagt sie und ihre Mundwinkel fallen dabei nach unten, von Gmünd nach Heidenreichstein. Zur Arbeit in die Textilbetriebe. Auf den Fenstern blühen die Eisblumen, nur bei den Männern auf der Dampflokomotive herrscht Gluthitze bei den Füßen, während um deren Nasen der eisige Nordwind bläst. Bei Langegg keucht der Zug durch einen Hochwald. Still ist es hier, wo dunkelgrau die Stämme vor der scherenschnittartigen Jännerlandschaft stehen.
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Fünf ZUGetextete Schicksalsessenzen
(Maria Lehner)

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Unglückskeksspruch
AufZUG nach oben? Technische Panne.
Lage: verflixt und ZUGenäht.
Der ZUGang zum Ausgang klemmt,
ZUGebunden ist der Sack mit dem Glück
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