DUM NR. 99

THEMA: PANDABÄR STATT PANDEMIE!
Animal Farm – Tierische Einsichten
Mit: David Bröderbauer – Interview * Daniela Dangl * Christoph Amediek * Benjamin Wimmer * Britta Badura * Sonja Kettenring * Angela Schwarz * Roland Grohs * Manon Bauer * Christa Bacovsky * Sonja Gruber * Sybille Lengauer * Lisa Roy * Ingrid Svoboda * Ella Marouche * Ernst Karner * Ulla Schuh * Verena Roelants * Markus Grundtner * Christian Schwetz * Barbara Eichinger * Harald Jöllinger * ChristiAna Pucher * flimmern.fischen

Rezensionen: Yannick Steinkellner – für die galerie * Angelika Reitzer / Ditz Fejer / Maria Gstättner – Inventar der Gegend * Tom Krausz / Elke Heidenreich / Urs Heinz Aerni – Aves Vögel Charakterköpfe

Zeichnungen: Eckholz, Oleg Estis

Preis: EUR 4.- (EUR 7.- außerhalb Österreichs)
Förder-Abo (4 Ausgaben): EUR 15.- (EUR 20.- außerhalb Österreichs)
Bestellung: Online, per E-Mail (dummail@gmx.at) oder unter 0664 / 4327973.


DUM-Interview: "... SICH VON EINER SEHNSUCHT GETRIEBEN INS UNGEWISSE ZU BEGEBEN" mit David Bröderbauer



Leseproben aus DUM 99:


CAT CONTENT
(Daniela Dangl)

Auf den Freilandstraßen klebten schon im Morgengrauen Feldhasen und Igel. Papa versuchte, die plattgewalzten Fladen nicht nochmals zu überfahren, der Wagen schlingerte deshalb über die gelbe Mittellinie und ich verlor die Zeile im Buch. Zwischen den Butterkeksbrösel lungerte ich im Fonds unseres Schlachtschiff-Volvos und haderte mit meinem Leben, weil sich ständig ein wütender Gedankenstrom über die Erzählstimme in meinem Kopf legte. Zu allem Überfluss mischte sich das auch noch mit Radio Holiday. Außerdem war mir wegen der vielen Serpentinen auf den Annaberg schlecht. Alles war Mitte August zum Kotzen. Die letzten beiden Wochen Freiheit musste ich im Familienurlaub verbringen. Jedes Jahr das gleiche Hotel, das gleiche schlechte Wetter in Winterbach, einem Ort, der aus einem Gästehaus mit Sonderkonditionen für Mitarbeiter der Elektrizitätswerke bestand, und einem Bahnhof. Früher hatte ich mich wie eine Schneekönigin gefreut, wenn wir weg von Zuhause über Almen stapften, mit getrockneten Kuhfladen Frisbee spielten und uns vom elektrischen Weidezaun absichtlich eine wischen ließen. Nach dem 3-Gänge-Abendessen liefen wir den Berg hinunter nach Laubenbachmühle und fuhren mit dem letzten Zug des Tages wieder eine Station nach Winterbach zurück. Freitagabends gab es zur Verabschiedung der Hotelgäste Torte mit Spritzkerzen. Als Kind war hier alles Abenteuer. Aber jetzt? Es gab nichts mehr zu entdecken, ich kannte jede Ecke: das Freibad mit Rutsche, den hügeligen Garten mit den uralten Buchen, die granitgemauerte Holzbaracke, in der sich unten die Waschmaschinentrommeln drehten und im Obergeschoß die Ping-Pong-Bälle zwischen den Regalen für die Liegestühle verschwanden. Das war beim letzten Mal die größte Challenge: Schaffte man es, den Ball herauszufischen, ohne Mäusekot an den Fingern zu haben? Sonst waren bereits die zwei Wochen im letzten Jahr wie eine Gedächtnisveranstaltung aller Urlaube zuvor – mit immer unpassenderen Statisten: Alte und Kinder. Es schien, als wäre es mir als einziger Teenagerin nicht gelungen, dem Familienurlaub zu entkommen. Ich steckte schon letzten Sommer hier fest wie die Karottenscheibe im Gabelbissen.
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GEDANKENGARN
(Angela Schwarz)

Kontaktreduktion
keine Hobbies erlaubt
viel Zeit in der Natur
laufen, radeln
auch Pausen und Picknick
von Eichen umgebene Bänke
mit zwei Jahre alten Warnschildern
bringen zum Schmunzeln
erinnern ans wohlbehütete Jahr 2019
als wir noch glaubten
unser größtes gesundheitliches Problem
sei der Prozessionsspinner



DER ALTE MANN UND DIE PANDABÄREN
(Sonja Kettenring)

Im Zoo die Pandabären besuchen. Das ist das einzige, was hilft, wenn er mal wieder so ist. Nervös, verängstigt, beunruhigt. Wegen nichts und wieder nichts. So kommt es uns zumindest vor, denn was könnte er für einen Grund haben, verängstigt zu sein? Es gibt keinen vernünftigen Grund dafür. Trotzdem wird er einen haben, wir haben doch alle unsere Gründe, immer gibt es einen Grund und nicht immer ist er vernünftig. Und noch nicht einmal wir, die wir noch zuhause sind in dieser Welt, können ihn immer benennen. Manchmal weiß man einfach nicht, warum man etwas tut.
Er weiß es auch nicht, kann es uns nicht sagen. Irgendwann fing es an, diese Unruhe. Sie hat sich langsam, aber stetig in sein, in unser Leben hineingeschlichen.
Was ist denn nur los?, haben wir uns gefragt und eine Familienkonferenz einberufen. Haben hin und her überlegt, auch die Hausärztin ist gekommen und hat ihn untersucht. Sie fand aber nichts. Sein Herz und er solle mehr trinken, aber das war doch nichts neues, sein Herz machte ihm schon seit Jahren zu schaffen und getrunken hat er von jeher viel zu wenig.
Keiner wusste was. Und Papa selbst wusste auch nur, dass er Angst hat. "Sie kommen mich holen!", hat er gesagt, immer wieder. "Sie kommen mich holen!"
"Wer denn?", haben wir gefragt.
Das wusste er nicht. Wenn wir zu viel gefragt haben, hat er nur noch mehr Angst bekommen. Dann wurden wir zu denjenigen, vor denen er Angst haben musste.
"Geht weg!", hat er dann gerufen. "Geht weg!"
Wir sind doch deine Kinder, haben wir gesagt. Achim, Isolde und Rolf. Wir meinen es doch nur gut, wollen nur dein bestes. Du bist zu Hause, du bist in Sicherheit. Alles ist gut.
Geht weg!

Das mit den Pandabären war Zufall. Es ist ja nicht so, als würde man so etwas in Ratgebern finden, Wenn die Eltern plötzlich alt sind oder Wie wir unsere Eltern im Alter begleiten können. Also vielleicht doch, vielleicht steht das wirklich da drin: Gehen Sie mit ihrem alten Vater in den Zoo.
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CAT-ASTROPHEN
(Sybille Lengauer)

Richard ist schon wieder in Selbstmordstimmung. Er schläft nicht, isst nicht, trinkt zu viel. Liegt die ganze Nacht lang stoppelbärtig auf der Couch und starrt den Flimmerkasten an. Seufzt manchmal wehleidig in Richtung Telefon, aber den Hörer nimmt er nicht in die Hand. Eigentlich könnte mir egal sein, ob er sich umbringt oder nicht. Seit ich herausgefunden habe wie der Wasserhahn in der Küche funktioniert, könnte ich ihn einfach machen lassen. Verdient hätte er es ja, für so viel Dummheit. Jedes Mal verteilt er Berge von Trockenfutter in allen Zimmern, aber an ausreichend Trinkwasser denkt er nicht. Ich könnte nach seinem Tod wochenlang fressen bis ich platze, wäre aber nach kurzer Zeit verdurstet, schönen Dank auch. Eigentlich könnte es mir wirklich egal sein. Aber irgendwie habe ich mich so an ihn gewöhnt.

Das ganze Elend begann vor einigen Monaten, als uns die Frau-mit-gutem-Geschmack verließ, ohne ihre Zahnbürste mitzunehmen. Sie ging nach einem lauten Streit beim Frühstück und kam nicht mehr zurück. Ich vermisse ihre selbstgemachten Heringshäppchen in Gelee, die sie auf einem hübschen Teller mit Goldrand servierte. Nicht im Napf, nein, auf dem Teller! Ich vermisse die funkelnden Armreifen an ihren Handgelenken, die so verführerisch klimperten, wenn sie zärtlich mein Fell streichelte. Seit sie uns verlassen hat überflutet Alkohol das Haus, Richard schleppt oft große Einkaufstüten herbei, in denen Rotweinflaschen klirren. Ich kann es nicht leiden, dass er sich ständig besäuft, also versuche ich seine Exzesse zu verhindern. Ich habe bereits sämtliche Weingläser zu Boden geworfen, den Korkenzieher hinter dem Katzenklo versteckt und auf die Einkaufstüten gepinkelt. Aber Richard hat nur stoisch meine Pisse weggewischt, die Flaschenkorken mit dem Daumen eingedrückt und den Wein aus einem Senfglas getrunken.
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DIE FALKIN
(Verena Roelants)

Langsam ging ich neben dem Falkner. Er trug einen braunen Sommerhut, hatte ein breites Gesicht mit vielen geplatzten Äderchen und Hände, die seinen kargen Sätzen linkisch folgten. Der Garten war riesig. An manchen Stellen lagen Äste im Gestrüpp, als hätte unlängst ein Gewitter gewütet. Aber der Regen war schon länger ausgeblieben. An anderen Stellen wuchsen Rosensträucher neben zarten Büschen. Ich betrachtete die groben Gummistiefel des Falkners. "Sind wir bald da?", fragte ich. Er legte den Zeigefinger auf seine Lippen. Ich nickte. Meine Beine waren geschwollen. Die Sommerhitze lag über dem Dorf und es gab kein Entkommen aus der schwülen Luft. Schon seit vielen Jahren beobachtete ich den Falkner während meiner Urlaube am Bauernhof. Zum ersten Mal war er in diesem Sommer auf mich zu gegangen. "Willst du Nora sehen?", hatte er gefragt. Ich hatte sofort bejaht. Bedächtig lief ich hinter ihm den staubigen Pfad entlang. Es roch nach Lavendel. Zwischen grünen Blättern sah ich die Spitze der Voliere. Schon stand ich vor dem hohen Käfig. Dicke Äste waren kreuz und quer an den Gittern befestigt. Inmitten der Absperrung wuchs ein Baum mit üppiger Krone. Der Boden war sandig. Ich trat näher an die Gitterstäbe heran. Der Falkner nickte zustimmend. "Immer im Käfig gewesen die letzten Monate", sagte er und ließ seine Hand durch die Luft fallen. "Eingesperrt über den Winter. Wie wir", sagte er und ich sah viel Weiß in seinen Augen. "Sie ist sehr schön", sagte ich. Nora hockte im obersten Eck. Sie war klein, der Schnabel gelb, das Gefieder rostbraun mit schwarzen Flecken. Aufmerksam beobachtete sie mich, blieb dabei still sitzen. Als ich die Hand dem Gitter entlang nach oben bewegte, verdrehte sie den Kopf. Es geschah im Gleichklang, als wäre sie einverstanden mit meinem Tun. "Die Falkin muss dringend fliegen", sagte der Falkner und knetete seine Hände. "Morgen", sagte er leise.
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