Mit: Andrea Heinisch – Interview * Christian Schwetz * Johannes Lerch * Andrea Ch. Berger * Daniela Dangl * Andrea Heinisch * Claudia Woitsch * Axel Bagatsch * Karin Endler * Susanne Wiedergut * Mila J. Dragar * Anke Laufer * Ulla Schuh * ChristiAna Pucher * Jasmin Riter * Bianca M. Klein * Hannes Thauerböck * Stine Stabel * Manfred Kellner * Katrin Oberhofer * Annemarie Regensburger * Stephan Kaiblinger * Romana Klär * Gabriele Wild * Angelika Polak-Pollhammer * flimmern.fischen
Rezensionen: Ariana Zustra – Tot oder lebendig * Josefa Mayer-Proidl – Wenn das Leben Tango tanzt * Ilse Helbich – Wie das Leben so spielt * Xaver Bayer – Poesie
Zeichnungen: Eckholz, Oleg Estis
Preis: EUR 4.- (EUR 7.- außerhalb Österreichs)
Förder-Abo (4 Ausgaben): EUR 15.- (EUR 20.- außerhalb Österreichs)
Bestellung: Online, per E-Mail (dummail@gmx.at) oder unter 0664 / 4327973.
DUM-Interview: "HENRIETTE LÄCHELT" mit Andrea Heinisch
Leseproben aus DUM 108:
KONSUM (SCOOTER-EDITION)
(Christian Schwetz)
Ich roll in den Konsum.
Ich roll mit Mama und Irene in den Konsum.
Ich weiß noch nicht, dass ich einmal ganz sentimental an diese SPÖ-nahe Einkaufsgenossenschaft denken werde, Jahre nachdem sie in Konkurs gegangen und aufgelöst sein wird. Ich weiß nicht mehr, ob ich gewusst habe, was eine Genossenschaft ist, aber ich finde das Wort schön. Und ich weiß, dass Mama Geld zurückbekommt, wenn sie am Ende des Jahres alle Rechnungen in ein Kuvert tut und irgendwo hinschickt.
Ich roll mit Mama und Irene am Bäcker vorbei. Auf dem Rückweg werden wir so viel betteln, dass wir hier noch Mini-Gebäck kaufen dürfen, obwohl Mama im Konsum Brot gekauft hat. Ich bekomme ein Mini-Salzstangerl. Irene will eine Semmel, nicht aus echtem Teig, sondern Schaumgebäck.
Ich roll mit Mama und Irene an der Konditorei Welser vorbei, weil wir rollen zum Konsum und Eclairs bekommen wir nur sehr selten. Ich liebe diese Eclairs vom Welser, aber ich weiß noch nicht, dass das für mich für immer die besten Eclairs der Welt bleiben werden.
...
ABFAHRT
(Daniela Dangl)
Georg sah ich erst, als er schon oben am Silo stand und dem Gewusel herunten zuwinkte. Mit seinen neongrünen Schischuhen stieg er durch einen Sitzgurt, an dessen Karabiner das Seil mit dem Eisen-Achter hing. Viel zu spät war ich dran, stellte mein Auto in einer Betriebszufahrt ab. Das Stoppelfeld, das zum Parkplatz umfunktioniert worden war, platzte aus allen Nähten. Eines musste man den Wahnsinnigen lassen: Wie man ein verschlafenes Nest zum Beben bringt, wissen sie! Partyzelte, eine improvisierte Tanzfläche, Boxentürme, aus denen 90er-Jahre-Rave plärrte: Is everybody on the floor? We put some energy into this place. So geht Promotion! "Best Adventure" war im Begriff, etwas ganz Großes zu werden. Die Stimmung am Lagerhausgelände kochte jetzt schon. Es roch nach Frittierfett und Käsekrainer.
Hyper, Hyper.
Die Boxen vibrierten, Scooter schrie einem die Aufforderungen zur Ekstase in den Gehörgang. I want to see you sweat. Mir stand der kalte Schweiß im Kreuz: Mein Bruder war im Begriff, alles aufs Spiel zu setzen! Er hantierte 50 Meter über mir an einem Metallgestänge herum. Daran hing ein Seil, das seine Lebensversicherung war, wenn er gleich mit seinen alten Schiern die Betonwand hinunterrutschen würde. Ich hatte ihn nicht davon abhalten können, das Versuchskaninchen für diesen abenteuerlichen Unsinn zu spielen: Keine Seele hatte je zuvor einen Getreidesilo und Alpinschi dermaßen zweckentfremdet!
Rund um mich schien sich niemand Gedanken zu machen, wie gefährlich der Spaß war - im Gegenteil: Wer nicht gerade eine Flasche Bier zum Mund führte, hüpfte auf den Hackschnitzeln herum und folgte den Anweisungen des Techno-Gottes: Put your hands in the air. Come on. Andere hatten sich in Position gebracht, zielten mit ihren Kameralinsen auf meinen Bruder und zoomten ihn heran. Auf einem zur Seite geklappten Videobildschirm konnte ich Georgs Narbe an der Schläfe sehen.
Der Organisator dieses Spektakels plärrte ins Mikrofon, kündigte den "freshesten Shit im tiefsten Waldviertel" an und bewarb die "Woodquarter Challenge - fünf Tage, fünf Silos". Ich misstraute dem Typen. Er war ein windiges Schlitzohr, der andere ins Messer laufen ließ, wenn es darum ging, seinen eigenen Namen zu Geld zu machen. Warum stand er nicht oben und riskierte sein Leben? Zuviel Abenteuer?
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VERROLLT
(Susanne Wiedergut)
Er fährt die Rolltreppe hinauf, er fährt die Rolltreppe hinunter. Die kurzen, krummen Beinchen dribbeln von einer Rolltreppe zur anderen: hinauf, hinunter, dribbeln, hinauf, hinunter, dribbeln. Der Wachmann steht am Fuße der Rolltreppen und überlegt: Darf er das? Dieses unablässige Rolltreppenhinauf- und -hinunterfahren? Er stemmt seine Hände in die Hüften, der Wachmann, nicht der Rolltreppenwiederholungsfahrer und denkt nach, denkt scharf nach: Darf er das? Er, der Wachmann muss überlegen, muss sich ein Bild der Lage machen, einen Überblick gewinnen und er gewinnt ihn, den Überblick während der Rolltreppenwiederholungsfahrer fährt und fährt. Die Anderen auf der Rolltreppe weichen aus, machen Platz und lassen ihn vor. Der Wachmann denkt noch immer nach und seine Schweißproduktion rollt an und baut sich auf. Die Schweißbäche auf der Stirn rinnen durch das schüttere Haar und treffen sich im Nacken. Der wachmännische Rollkragen hält dieser Durchschweißung nicht mehr stand und rollt sich zusammen.
"Schatz, zieh doch den Rolli an", hat es in der Früh geheißen.
"Aber im Einkaufszentrum ist es doch nicht kalt", hat er kleinlaut erwidert.
"Aber es zieht dort wie in einem Vogelhaus und du verkühlst dich doch so leicht, Schatz."
Und er hat den Rolli an, denkt noch immer nach und schwitzt. Hinauf, hinunter, dribbeln, hinauf, hinunter, dribbeln und dann ist ihm alles klar. Er, dieser Rolltreppenwiederholungsfahrer darf das nicht! Seine Fahrzeit ist vorbei, abgelaufen, vorüber.
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MURMELN IM BAUCH
(Bianca M. Klein)
"Jo bist denn du mir deppert!" Hilla schüttelte so heftig den Kopf, dass es in ihren Nackenwirbeln knarzte. Sie klammerte sich an ihren Gehstock, die jungen Herren hätten sie beinahe von den Beinen gefegt. Leider nicht auf die gute Weise. Johlend und jauchzend an ihr vorbeigerauscht, mit einem dieser blinkenden Roller, die aber kaum ein Geräusch von sich gaben. Im Gegensatz zu den Halbstarken, die sie kaum wahrgenommen hatten. Was für eine bescheuerte Erfindung! Also die Roller, nicht die Jugendlichen. Die Fahrzeuge bedeuteten für Hilla nur, dass sie noch länger brauchte, um ihre früher so ruhige Wohngasse zu überqueren. Links wegen des Autoverkehrs, rechts wegen der Radfahrer, am Gehsteig die blöden Roller und Scooter. Als nächstes surrten wohl Drohnen über ihrem Kopf, sodass sie vermutlich gar nicht mehr ruhig vor das Haus treten könnte.
Früher gab es sie nicht, diese ferngesteuerten elektronischen Geräte. Ein Tretroller war Hillas ganzer Stolz gewesen, auch wenn ihr Bruder sie immer wieder während des Fahrens schubste und sich dann schief lachte, wenn sie stolperte. Doch es hatte für ein wenig Fahrtwind gereicht, ein Stückchen Freiheit im Hinterhof eines Wiener Gemeindebaus.
Jetzt war die Welt zu rasant geworden, Hilla konnte dem nicht mehr folgen. Nur mühsam hatte sie sich mit ihrem Smartphone angefreundet, mittlerweile konnte sie zumindest mit ihren Liebsten telefonieren ohne dabei versehentlich den Notruf abzusetzen. Seit Kurzem wusste sie auch, wie man Fotos verschicken konnte. Was sie auch tat. Ständig. Schließlich produzierte sie in ihrem Töpferkurs echte Kunst, an derer sich ihre Familie erfreuen sollte. Mindestens.
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NICHTS AUSSER ROCK’N’ROLL [le monde va de lui-même]
(Stine Stabel)
der dorfweiher vereist wie jedes jahr
nach totensonntag: das heilige fest
an der losbude werden paradiesäpfel verkauft
fünfzehn bin ich [ungefähr] & alles dreht sich
um asbach-cola blue curacao-orangensaft
hinter der sektbar keine geisterbahn nur dunkel-
grüne kerls beim adlerschießen wie sie
anlegen grölen ekstatisch wackeln
hüften bierkrüge dreckige läufe
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