Mit: Christian Schreibmüller - Interview * Daniela Dangl * Rudolf Kraus * ChristiAna Pucher * Gerhard Benigni * Angelika Polak-Pollhammer * mieze medusa * The Real Crime Inc. * Stefan Heyer * Rainer Wedler * Christine Rainer * Andrea Ch. Berger * Christian Schwetz * Ernst Karner * Károly Méhes * Katharina Peham * Tine Erhart * Ingrid Messing * Dietmar Füssel * Anita Hetzenauer * Annemarie Regensburger * León Schellhaas * flimmern.fischen
Rezensionen: Wilfried F. Noisternig - Wie viel Erde braucht der Mensch? * Michael Stavarič - Gotland * Gertraud Klemm - Erbsenzählen
Zeichnungen: Oleg Estis, Eckholz
Preis: EUR 3,30.- (EUR 5.- außerhalb Österreichs)
Förder-Abo (4 Ausgaben): EUR 13.- (EUR 20.- außerhalb Österreichs)
Bestellung: Online, per E-Mail (dummail@gmx.at) oder unter 0664 / 4327973.
DUM-Interview: "XOGT HODA" mit Christian Schreibmüller
Leseproben aus DUM 83:
DER DAMENBART
(Ingrid Messing)
Sie saßen um den runden Tisch. Die Teilnehmer der Schreibwerkstatt. Käse, Nüsse und Trauben in Schalen vor sich. Alle hielten ihren Text fest - entweder unter einer Hand oder in einer Hand. Hohe Schränke mit Büchern hinter Glasscheiben nahmen dem Raum die Atemluft. Einer öffnete ein Fenster.
"Gut so?", fragte er.
"Ja", sagten alle entgegen dem Ausdruck in ihren Gesichtern.
Die mit dem dunkelschattigen Damenbart saß auf der karierten Couch um einiges niedriger als die anderen. Sie hatte sich vorgebeugt, ihre spitze Nase stach schon in die Runde.
Sigrid seufzte. Bei der letzten Schreibwerkstatt hatte Damenbart zu Sigrid gesagt: "Normale Menschen mit normalen Gefühlen werden bei Ihnen als schlecht dargestellt. Und das Seelchen soll wohl sympathisch rüberkommen. Aber kein Mensch interessiert sich für ein Seelchen!" Schweigen im Bücherwald. Damals. "Und heute noch einmal?", dachte Sigrid.
Heute würde sie aufstehen und gehen und nach Hause fahren, auch wenn schon alles bezahlt war. Sie hob abwechselnd eine Pobacke vom Stuhl, beugte sich nach rechts in Richtung Damenbart. Auch auf der Warze neben dem rechten Mundwinkel waren Haare: drei weiße, zähe, lange Haare. Die müsste man kurz und kräftig mit der Pinzette rausziehen.
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BRÜNETTE BÄRTE
(Christian Schreibmüller)
Gepflegte Bärte sind quasi Mammutbäume, zu Schlossparkbäumen gestutzt. Gepflegte Bärte, Zugeständnis an den Absolutismus des Mittelmaßes, maßen sich das Etikett des Normierten und gleich auch noch des "Normalen" an, negieren die Bandbreite des Menschlichen so reduktionistisch, dass man den gepflegten Bart ohnehin gleich dem im Startloch schnarrenden Rasierapparat opfern könnte. Maximum und zugleich Minimum des gepflegten Bartes, das quadratische Oberlippenbärtchen, verkörpert die allzu reduktionistische Gesinnung, Völkermordgesinnung. (Sorry, Chaplin!) Fast niemand wagt es heute noch zu tragen.
Übrigens liegen Welten zwischen dem gepflegten weißen und dem gepflegten dunklen Bart. Der gepflegte weiße Bart des alten Sigmund Freud setzte sich im Bewusstsein der Öffentlichkeit gegen den dunkleren Bart des jungen Sigmund Freud durch. Er unterstützt, weise und gemäßigt wirkend, den alles durchschauenden Blick des großen alten Psychoanalytikers. Sogar jenes berühmte Foto scheint einen zu durchschauen und tiefe Geheimnisse zu ergründen. Obwohl der alte Herr, im Moment der fotografischen Aufnahme, vielleicht nur dachte: "Gott, schon wieder Kohl zum Mittagessen!"
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EINE LAMPE - ALLE STIMMUNGEN
(mieze medusa)
Es ist bezeichnend für meine Generation, dass wir uns vor allem darüber definieren, alles anders machen zu wollen als unsere Eltern, Großeltern und andere Vorvorderen. Gut, bei unseren Großeltern gab's dazu genug Grund: Kind Adolf nennen, muss ja nicht sein. Begeistert am Straßenrand den Panzern zu winken, oder - noch schlimmer - den Größenwahnsinnigen, die sie lenken, muss ja nicht sein. Die Welt in Schutt und Asche legen, do behave, will ya.
Aber von unseren Eltern hätten wir schon was lernen können, aber vielleicht was anderes: Mama hat ihren BH verbrannt und den Feminismus erfunden, und was wir davon haben, ist, dass Männer jetzt auch über die Intimrasur nachdenken, weil es irgendwas irgendwie größer macht, wenn man von oben draufschaut, oder weil sie es dem Internet, das übrigens auch unsere Eltern erfunden haben, abgeschaut haben.
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DIE BARTITUR DES MANNES
(Gerhard Benigni)
Was ist bloß los mit mir? Ich bin heute vollkommen rasierschaumgebremst. Das liegt bestimmt daran, dass ich mir soeben den Spiegel vorhalte. Und was muss ich sehen? Dieser unfreundliche Typ namens Alibert schneidet wie immer direkt vor mir äußerst seltsame Grimassen. Das schaut ihm wieder ähnlich. Die Augen nicht richtig aufbekommen, aber mir die Zähne zeigen wollen. So ein elendiger Wichtschaß. Jeden Tag in der Früh dieselbe Fratze. Oft riskiert er dabei eine ganz schön dicke Oberlippe. Der Mann im Mirror. Bei mir spontaner Fatal Error. Ich wünsche mir zum x-ten Mal ein modernes Badezimmer mit integrierter Entspiegelungsfunktion. Doch bis dieser Traum wahr wird. Das tägliche Morgenergrauen. Die ungeschminkte Klarheit. Und wie grau er geworden ist. Dieser zerknautschte Herr mir gegenüber. Vor allem sein Bart. Beinahe so grau wie meiner. Muss wohl am Stress liegen. Kein Wunder bei der täglichen Hektik frühmorgens. Ständig gibt es Rangeleien im Bad. Wer zuerst? Alibert oder ich? Da prallen zwei mächtige Sturschädel aufeinander. Im Badezimmer herrscht ein Bartisanenkrieg. Bei Ares kein Blitzkrieg. Es kann durchaus dauern, bis der alibärtige Mann aufgibt und endlich ausweicht. Mitunter brülle ich ihn entnervt an: "Beim Barte des Proleten. Zupf di, Alibert!" Dabei will er angeblich nur spielen. Bart of the Game. Oder wie?
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BARTLOS
(Christine Rainer)
beim barte des
alten homers oder
war's blaubart
oder käptn blaubär
ich hab's nicht mehr drauf
bin ratlos
wie hieß der noch
in echt
jeder zweite gedanke voll daneben
oder was sagt die statistik
der amtlichen barterforscherinnen
war das in wirklichkeit ein
haarscharfer streifschuss
im oberen drittel und jetzt
tropft es unaufhörlich
aus dem gekräuselten haarwald
rot werden da anfangs die kinnverbände
das scheint allen nur vernünftig
aber dann welken sie ins gelb
mit dem hineinwachsen ins winterfell
sagen die einen oder bräunen
am schnauzer verdächtig nach
die anderen wissen von nichts
glattrasiert hätte das
besser ausgesehen
vermutlich
aber wer geht schon
extra zum frisör
wenn die scharfen klingen fehlen
da hören wir lieber den grillen zu
wie sie ihre glieder aneinander wetzen
als zögen sie in den nächtlichen krieg
aber alles bleibt lau und wird wieder still