Mit: Barbara Rieger - Interview * Daniela Dangl * Adi Traar * Kaia Rose * Martin Peichl * Marc Lunghuß * Lütfiye Güzel * Florian Supé * Gerhard Benigni * Steffen Roye * ECKHOLZ * Hannah Bründl * Franziska Zussner * Verena Roelants * Franz Friedrich Kovacs * Johannes Witek * Raoul Eisele * Marco Lehner * Christine Rainer * Klaus Papula * Julian Stockinger * Regina Appel * Barbara Thurner * flimmern.fischen
Rezensionen: Robert Seethaler - Das Feld * Barbara Rieger - Bis ans Ende, Marie * Martin Prinz - Die unsichtbaren Seiten
Zeichnungen: Eckholz, Oleg Estis
Preis: EUR 3,30.- (EUR 5.- außerhalb Österreichs)
Förder-Abo (4 Ausgaben): EUR 13.- (EUR 20.- außerhalb Österreichs)
Bestellung: Online, per E-Mail (dummail@gmx.at) oder unter 0664 / 4327973.
DUM-Interview: "KREISLAUFKOLLAPS, BABY!" mit Barbara Rieger
Leseproben aus DUM 87:
TIROL 1809
(Daniela Dangl)
Jahrelang war ich die dritte Klarinette im Blasorchester. Ich spielte halt mit, war so mittelschlecht. Keine Aufregungen im Sinne von Noten jenseits der Achtel, rhythmisch immer einen Atemzug zu spät. Der Nachschlag verlangte es. Hörbar war ich kaum, zu dominant das tiefe Blech, das praktischerweise auch meine Stimme spielte. Gelegentlich zerriss ein schrilles Quietschen die Klangtuchend. Das Bambusblatt, das ich gegen mein Mundstück presste, war eine Diva. Die anderen schienen mehr Glück mit ihren Blättern zu haben. Neidvoll schielte ich zur ersten Klarinette, wenn sie nach einem fehlerlosen Solo im Stakkato auf die Oktavklappe klopfte, um Spucke und Kondenswasser loszuwerden. Bei mir tropfte das immer ganz von alleine. Wenigstens das.
Kurzfristig wurden mir dann doch einmal die Noten der zweiten Stimme anvertraut. Krankheitsfall im Register. Wirklich glücklich konnte damit niemand im Orchester gewesen sein. Die Proben waren eine Tortur. Wie wünschte ich mir meine Sitzposition in der Reihe vor den Waldhörnern zurück, die mir mit bedächtiger Sekundenverspätung die Nachschläge übers Haar spuckten.
...
BOXEN UND ANDERE LUDER (EIN NACHSCHLAGEWERK)
(Gerhard Benigni)
Vorschlag
Dreh doch mal das Boxen lauter.
Nachschlag auf Muhammad Ali
Faust 1. Faust 2.
Gütiger Goethe.
Lass sie ruhen.
Oder lass es sein.
Oder lass es nicht sein.
Bei Mephisto.
Lass sie einfach in Frieden.
Ali acta est.
... 5, 4, 3, 2, 1, over.
Die Fäuste nie mehr ballen.
Nachschlag auf Hans Orsolics
Leben und leben lassen.
Wie patschert.
Der lebt ja noch.
Nachschlag auf Mike Tyson
Kurz mal ganz Ohr sein.
Besser nicht.
Wäre zu bissig.
Gestrichen.
...
Franziska Zussner
widerstand bricht
der ochsenziemer gekonnt
in ziehväterlichen händen
exakt die buchführung
jedes fehlverhalten
penibel aufgelistet
aus dem körper geprügelt
die faxen frechen blicke
abgewürgt die widerworte
die kindertage im korsett
letztlich sprache verschlagen
und atem
beim erzählen stoßweise
im zickzack
durch die nesseln
beinahe zärtliche schmeichler
den nackten waden
BLITZKRIEG
(Klaus Papula)
Jochen Beer hatte keine Nerven. Er hatte ein rundes Gesicht, eine Brille und eine rinnende Nase. Wenn wir die Burschen von der Oberklasse verprügelten, schnäuzte er sich mit einem Taschentuch aus kariertem Stoff, putzte seine Brille, drückte die Bügel der Brille hinter die Ohren und versenkte sein rundes Gesicht zwischen den Seiten eines Buches. Die Oberklässler stöhnten und heulten, hielten sich die blutigen Nasen. Wir johlten und boxten uns gegenseitig auf die Brust, verließen triumphierend das Schlachtfeld. Die Oberklässler humpelten in ihre Zimmer. Jochen Beer blickte keinen Moment von seinem Buch hoch.
Es gab Wochen, da bezogen die Oberklässler zweimal die Woche ihre Schläge. Blitzkriege nannten wir das. Es brauchte dafür keinen Grund. Sie waren größer, aber wir waren Killer. Es wäre gelogen zu sagen, wir hätten die Schläge unserer Väter an sie weitergegeben. Keiner von uns hatte einen Vater, der schlug. Unsere Väter waren erfolgreiche Architekten, Rechtsanwälte, Manager, die uns an den Samstagen um zwölf mit ihren großen Wagen am Internatstor abholten, entspannt, hemdsärmelig und mit Sonnenbrille. An den Sonntagen frühstückten sie gemeinsam mit uns und tranken ihren Kaffee, während sie ihre Zeitungen lasen. Wenn wir dann zum Fußballplatz wollten oder ins Freibad, nickten sie. Wenn irgendjemand schlimme Dinge über uns erzählte, meinten sie lächelnd: "Es sind Buben". Wenn unsere Mütter weinten, ebenso. Sie waren gute Väter, sie sorgten für uns, sie unterstützten großzügig die teuren Schulen, auf die sie uns schickten. Wir spürten sie wenig. Sie schlugen uns nicht. Keiner schlug uns. Wir wussten nicht einmal, wie es war, geschlagen zu werden, aber wir wussten, wie es war zuzuschlagen. Es machte gute Gefühle. Es machte uns satt. Es gab dem Tag Sinn. Die Oberklässler wehrten sich kaum. Anfangs waren sie zu verblüfft, um sich zu wehren. Später suchten sie schleunigst das Weite, wenn wir auf sie zustürmten.
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