Mit: Emil Kaschka – Interview * Maria Lehner (= Maria Dippelreiter) * Manfred Lipp * Brigitte Krech * Eline Menke * Daniela Dangl * Rita Hofmeister * Uta Biehl * Hubertus September * Simone Alber * Frida Großhammer * Sonja Jurinka * Martina Berscheid * Franziska Zussner * Mia Möbius * Nina Haas * Anahit Papikyan * Joel Bargetz * Gwendolyn Imnitzer * Caren Ohrhallinger * Franziska Hielscher * Elisabeth Stritzl * Margit Hilde * Detlef Seydel * Ingrid Maria Lang * Daniel Mylow * Roger A. Freiburghaus * Natalie-Christine Toussaint * Harald Vogl * Colin Jeremy Müller * Margit Schinerl * Gudrun Breyer * Klaus Wieser * Ingeborg Penzenstadler * Andrea Tillmanns * flimmern.fischen
Rezensionen: Daniela Dangl – Lichte Schatten * Kurt Palm – Trockenes Feld * Theresia Töglhofer – Tatendrang
Zeichnungen: Christoph Bruckner, Eckholz und Oleg Estis
Preis: EUR 4.- (EUR 7.- außerhalb Österreichs)
Förder-Abo (4 Ausgaben): EUR 15.- (EUR 20.- außerhalb Österreichs)
Bestellung: Online, per E-Mail (dummail@gmx.at) oder unter 0664 / 4327973.
DUM-Interview: "KASCHKAESK" mit Emil Kaschka
Leseproben aus DUM 113:
KZ-3. VIER SKIZZEN ZUM WIDERSTAND EINES APFELZÜCHTERS
(Maria Lehner = Maria Dippelreiter)
Skizze 1: Heimat
Bloß für Apfelbäume interessiert er sich. Das ist zu wenig für einen, der Bauer werden soll. Der 1885 im Dorf Hohenpolding, im heutigen Landkreis Erding in Bayern, geborene Korbinian ist eines von elf Kindern. Die Volksschulzeit geht so dahin. Dann schickt man ihn auf die höhere Schule. Seine Schulleistungen in Latein und Griechisch sind völlig ungenügend. Er wechselt die Schule und wiederholt Klassen. Erst mit 21 besteht er das Abitur und wird im Jahr 1906 in Freising ins Priesterseminar aufgenommen. Während seiner Zeit dort gründet er den Hohenpoldinger Obstbauverein.
1911, nach seiner Priesterweihe, sagen sie über ihn, er sei "seicht im Wissen" und "oberflächlich im Charakter". Zu seinem "sittlichen Betragen" merkt man an, er schiele nach dem "Weiblichen". Und: er triebe "mehr Baumsorge als Seelsorge". Korbinian züchtet Äpfel, betreibt Kelterei und verbringt viel Zeit im Mostkeller; er wird Obmann des von ihm gegründeten Vereins. Er malt auch immer wieder Äpfel und Birnen. Am Ende seines Lebens werden es 649 Sorten sein, die er auf diese Weise dokumentiert hat. Dermaßen genau, dass die Fachliteratur darauf aufgebaut ist. Das klingt nach austauschbaren bayrischen Lausbubengeschichten, nach Landidylle, vielleicht sogar ein wenig nach Heimatgeschichte.
Skizze 2: Heimtücke
Aber dieser Korbinian ist neugierig, kritisch, politisch, widerborstig. Er wird 1916 Mitglied der Bayerischen Zentrumspartei. 1923 hört er eine Rede von Adolf Hitler und wird zum Zweifler. Seine seelsorgerische Karriere bleibt stecken. Erst 1931, er ist mittlerweile 46 Jahre alt, gibt man ihm eine feste Arbeitsstelle. Religion und Zeichnen lehrt er. Und immer gibt's Ärger mit ihm: Er widersetzt sich dem Wunsch, Kinder auf den Namen "Adolf" zu taufen, erkennt die Hakenkreuzfahne nicht als deutsche Nationalflagge an, läutet die Glocken nicht zu Parteianlässen und so weiter. Die Pfarre steht hinter ihm. Korbinian streitet bei Verhören nichts ab, sondern argumentiert in theologischen Zusammenhängen.
...
ER IST WEG ODER DIE SUPPENDOSEN-CONNECTION
(Brigitte Krech)
Vor mir steht ein nervöser Bobo-Vater, blaues Sakko und weißes Hemd, mit seiner fünfjährigen Tochter, die in einer neuen Warum-Fragephase steckt. Warum hat der Mann auf dem großen Bild da oben einen Apfel vor dem Gesicht, ruft sie dem Vater zu. Weil der die Unordnung in Deinem Kinderzimmer nicht sehen will. Warum? Weil Du Deinem Bruder Paul schon wieder die vegane Lasagne aufgegessen hast. Warum? Weil er keinen Elefanten in der Hand halten kann. Warum? Weil der Maler, der heißt René Magritte, vorher eine heiße Waffel mit Apfelkompott isst. Warum? Weil Magritte einen Regenwurm im Apfel entdeckt und sich das ohne Brille ganz genau anschauen will. Mit meinem Stiel tippe ich an die rechte Schläfe des gemalten Mannes. Schau mal Papa, der Apfel im Bild bewegt sich.
Der sehr nervöse Bobo-Vater, der mittlerweile im weißen Hemd mit dem blauen Sakko arg schwitzt, zieht seine Tochter Emma an der linken Hand zum Museumsausgang in Richtung Kindermuseum. Am Abend telefoniert er mit seiner Mutter, einer pensionierten Psychologin, über Anzeichen von ADHS bei Kleinkindern.
Im Museum ist immer etwas los, denke ich. Die Besuchertage, die Beleuchtung, die gleichbleibende Luftfeuchte rauschen an uns Bildern vorbei. Der Mann von der Aufsicht, mit dem Spitznamen Kottan, blinzelt alle 47 Sekunden mit seinem rechten Auge. Manchmal kommen sie mit seltsamen Instrumenten. Schauen sich in stoischer Ruhe und Röntgenstrahlen ein Bild an. Diskutieren lange, ob die Spur eines vergangenen Pinselstriches am richtigen Platz sitzt. In Zukunft dort sitzen wird. Begleitet von den beiden Herren aus der Versicherungsabteilung. Die schauen streng. Die grauen Haare sind aus der Stirn gekämmt. Der Größere hält einen wichtigen Ordner, schwer und schwarz, in der linken Hand. Als hochversicherte Leihgabe an das Museumsquartier werden sie mich Anfang Jänner besuchen, höre ich.
...
ABSPRUNG
(Eline Menke)
Wir werfen Knüppel in den Apfelhimmel,
treffen selten, ziehen die Köpfe ein.
Nicht, dass uns immer zum Lachen wäre,
manchmal nachts im Mondlicht
hängen wir Tränen zum Trocknen auf.
Wenn es regnet, hält uns das Gleichgewicht
auf Scheunenbalken, bis wir gelangweilt
stürzen ins Heu,
uns wundern, wie weich wir fallen
und wie es piekst, das Wachsen.
IN DER KERNKAMMER
(Detlef Seydel)
Wenn an Nachmittagen eine gütige Sonne die glatten Wangen seines Hauses wärmte und das Fleisch darunter weich und saftig wurde, setzte Urs die Grabungen fort. Als er vor Tagen hier eingezogen war, hatte er darauf geachtet, dass die neue Unterkunft weit draußen und nach Westen zu hing, wo ihm die Schatten des Blattwerks geringer erschienen.
Das machte sich nun bezahlt.
Vor allem aber: Er war hier ganz für sich allein. Obwohl es damals schon dunkelte, hatte er, bevor er sich für den Einzug entschied, die mondblasse Haut des Hauses sorgfältig nach Eingängen abgesucht. Und keinen gefunden. Auch vor heftigem Wind musste er sich nicht fürchten. Ein starker Stiel hielt das Gebäude fest.
Wenn Urs einen neuen Gang grub, geschah das nicht etwa planlos. Ihn lenkte das süße Fruchtfleisch nicht irgendwo hin. Urs grub auf ein festes Ziel zu: Die Kernkammer, das Zentrum. Jedes Heim hatte eine solche Kammer, mit glatten Wänden und, soweit sie noch unbewohnt war, mit einigen sauberen Kernen darin. Dort wollte er es sich wohlig einrichten und dann geduldig auf den Herbst warten. So jung und kräftig, wie er war, würde Urs seinen ehrgeizigen Plan in wenigen warmen Tagen zu Ende gebracht haben.
Und heute war so ein Tag, an dem er sich mit Fressen und Bohren Millimeter um Millimeter durchs warme Fleisch raspelte. Das knarrende Geräusch, das sich nicht vermeiden ließ, hallte durch den weiten Bau. Legte Urs eine Pause ein, blieb er auch dann nicht tatenlos. Er schaffte seinen Kot hinaus. Er schob die Krümel durch den frischen, feuchten Gang rückwärts, bis ihn die Sonne blendete.
Einmal war ihm, als habe er ein fremdes Raspeln gehört. Sofort hielt er inne und lauschte. Doch ringsum war Ruhe.
...
DAHEIM
(Rita Hofmeister)
Wenn du Apfel sagst
muss ich an dich denken
kleine Schwester wie du kopfüber
vom Baum hingst mit
goldenen Locken und
aufgeschlagenen Knien und
einen aßt der größer war als
dein Kopf
Wenn du Apfel sagst
muss ich an Marillen denken
an Kirschen und Zwetschken
unseren Garten in dem es
alles gab und wir uns trotzdem
am meisten auf Jonathan freuten und
Boskop und Kronprinz Rudolf
jedes Jahr
Wenn du Apfel sagst
muss ich an Oma denken
und den Tisch in der Küche auf
dem sie den Teig zog bis über
die Ränder ganz durchsichtig und wir
helfen durften auch wenn unsere
Finger ganz eifrig nur
Löcher bohrten
...