©G.Breckner
LEUCHTENDE BÄUME UND ALLHEILMITTEL MEISTERWURZ

Markus Köhle interviewt: Bodo Hell
Der Autor und Almhirte, der Sprachzauberer und Maultrommler, der Listenfreund und Ziegenkäser Bodo Hell feiert seinen 80. Geburtstag. Soeben ist sein neues Buch "Begabte Bäume" erschienen. Darin ist – wie immer in Bodo Hell Büchern – auf einer Seite mehr zu erfahren, als man sich vorstellen kann. Wissen kompakt verfasst und literarisch in Form gebracht. Immer was zu lernen, immer sprachbezogen, immer auch geschrieben, um gehört zu werden. Bodo Hell ist ein herausragender Vortragskünstler. Bodo Hell ist der Meisterwurz der Literaturlandschaft und wurde von Markus Köhle zum Mail-Interview gebeten.


Unser Thema dieser Ausgabe ist "ZUG. Von Vorzug bis Flaschenzug". Was hast du für einen Bezug zu Zügen? Welche Rolle spielen sie in deinem Leben?

-schon vorgeburtlich scheint die Straßenbahn und scheinen die Schienen ('auf Schiene') ein Rolle gespielt zu haben: meine Mutter ist zur Sohnesgeburt mit der (später aufgelassenen) Salzburger 'Elektrischen' ins St. Johanns-Spital gefahren, mein Onkel war in dieser Garnitur am ratternden Führerstand, ohne etwas vom Zustand seiner Schwägerin unterm Frühlingsmantel bemerkt zu haben (so wurde mir erzählt)

-während des Unibesuchs hat die Westbahnstrecke Sbg-Wien (damals noch ca. 5-stündig und für die einfache Fahrt zu 50,50 Schilling) sporadisch hereingespielt [ein literarisches Projekt mit dem Titel 'Westbahn' ist über den RechercheStatus nicht hinausgekommen, gewisse Anhaltspunkte wie Bunkerbauten und Schottergruben bei Gunskirchen (Schottermizzi Maria Fekter) sind geblieben, der Monarchie-Bahnhof Breitenschützing (durch Franz Joseph Altenburg geadelt) und sein eifriger Vorstand sind durch Gebäude der ÖBB-Modernisierungsinitiative verdeckt], die höchste Haltestelle beim Ederbauern nördlich des Irrsees ist inzwischen als solche aufgelassen, das flaue Gefühl dort jedesmal bei der Rückfahrt hat sich nahezu verflüchtigt

-mit der Einführung des Klima-Tickets konnte ich eine Art Fahrschüler-Existenz zwischen Kamptal und Wien-Spittelau aufnehmen und erfahre damit gerade im Flüster-Waggon viel Bemerkenswertes über Jugendfragen und -antworten sowie allgemein über Akustiken der Speckgürtel-Existenz, Lektürelesen ist mit verstopften Ohren möglich (die neuen millionenschweren Leonardo-Hubschrauber in den Hangars von Langenlebarn halten sich auch bedeckt), ein Text zur Kamptalbahn (mit ihren Jenbacher Diesel-Garnituren von 1988) trägt den doppeldeutigen Titel 'Halt auf Verlangen'

Dann machen wir doch gleich beim "Halten nach Verlangen" weiter. Welche Bäume umarmst du am liebsten? UND Du bist also Teilzeitkamptaler?

-junge Bäume aller Art (ausgenommen Pseudoakazien, also Robinien, Jugendstacheln!) sind im unwegsamen Gelände für querwaldein-Geher als handliche AnhalteStämme (auch bergauf) sehr dienlich

-mächtige Zwieselbäume vor allem auf den Wiener Hausbergen und im weiteren Wienerwald, gar in den so benannten 'Wiener Alpen' könnten zur Aufladung der eigenen Aura nützlich sein, wofern man sich für eine Zeit lang gut in den überirdischen Ursprung dieser (wohl wasserader- oder störungsbedingt gewachsenen) Zwieselung hineinstellt, dabei einen der beiden (sei es) BuchenZwillingsstämme zum besseren Halt umfangend (unwahrscheinlich: daß man die kräftigenden Säfte dabei auf Beine und Leib überspringen fühlte), allerdings: ein legendäres Wiener Bergsteigerpaar (Karl und Fritzi Lukan, Gesamtalpenbogen-Wanderer von Kahlenbergerdorf bis Nizza), die ich einmal dank Kurt Neumann zu einem Alpinsymposium in das Literarische Quartier der alten Wiener Alten Schmiede zu einem Vortrag einladen durfte, führten mich anschließend (quasi als Gegengeschenk) an die Südhänge des Leopoldberges zu einem versteckten Wiesenplatz, wo Fritzi ihre KunststoffWünschelrute zückte und den Ausschlag derselben an gewissen (versteht sich:) unsichtbaren Gitternetzen vorführte und ähnlich im Messen meiner Aura vorging: setzte ich die metallene Brille auf oder drückte gar probeweise eine volle Zigarette an meinen Solarplexus, kam Fritzi ganz nahe an meine geschwächte Aura heran (erst dann schlug der Zwickel aus), während ihre GriffRute mit diversen Skalen darauf im Gegenzug nach meinem längeren Aufenthalt im beschriebenen BaumstammZwiesel, so sie auf mich zu ging, bereits fernab mit der Spitze nach unten zeigte: dermaßen weit reichte meine gestärkte Aura in meinen Vorderseitenraum hinein

-um sich im Almgebiet des Dachsteins länger an den Stammfuß einer der wärmenden gelbrotbraunen Wetterzirben zu setzen, dafür bleibt in den seltensten Fällen ausreichend Zeit und Gelegenheit, anläßlich eines dieser täglichen Hirtenrundgänge zu den fein verteilten JungrinderHerden, auffällig: in diverse Stämme gewisser Charakterbäume an den Hauptrouten sind alte metallene Wegrichtungstafeln (des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins) sogar richtig tief in die Borken hineingewachsen (an den Rändern überwalmt), Murmeltiere haben dort und da das mächtige Wurzelgeflecht solcher Wetterzirben mit Ostneigung unterminiert, also freigelegt, wie es auch Schalenwild und Schafe auf ihren Umzügen unter (höher oben am Stamm angebrachten) Kastensulzen (aus denen das salzige Regenwasser am Stamm herabrinnt) gewöhnlich machen (das sieht dann schon ziemlich zoogeländemäßig aus)

-Teilzeitkamptaler (Vogelkundler, Akkordeonspieler, Filmemacherinnen, Dichter und Dichterinnen aller Art und Altersstufen, Grafiker im Hauptberuf, Schauspieler auf Stör, Sprechtrainerinnen, Tänzerinnen zugleich saisonale Biogartenhelferinnen am Wachtberg: Kunst in der Natur, Historiker, Fotografen, Kostümbildnerinnen auf Durchreise ...) treffen andere Teilzeitkamptaler, also ihresgleichen gewöhnlich voller Freude in den BahnhalteAbschnitten zwischen Rosenburg und Hadersdorf am Kamp, und es wird ihnen meist die Zeit zu kurz, sich über alle Vorurteile und Vorbehalte der angestammten Kamptaler (Randwaldviertler) gegenüber den Zugereisten (bist auch a Grüner?) meist Hauptstädtern (die sollen sich nicht zu sehr spielen und werden schon sehen) ausführlich auszulassen und sich gegenseitig KuriositätenTipps zu geben

Ist dir schon mal ein Tier zu nahe gekommen? UND Wie lautet dein Kuriositätentipp für Tagesausflügler im Randwaldviertel?

-einige Almsommer hatten wir (Bauern und Hüter) die Freude, mit einem besonderen Islandpferd arbeiten zu können, das allerdings so schlau war, daß es, kaum war oben ein Jägerschuß gefallen, das Weite gesucht hat, denn dieses akustische Signal hätte ja bedeuten können, daß ein erlegtes Wild auf dem Packsattel hinunterzutragen sei, mir als dem Kleien- und Salzgeber hat dieses Bounty gerufene und mit den anderen freilaufende Pferd zwar soweit vertraut, daß ich es mit Brot wieder anlocken und anhalftern konnte (nur durfte der Strick nicht aus meiner Hosentasche herausschauen, sonst traf mich sein verächtlicher Blick: falscher Silberzehner! und die Sache mit dem Einfangen mußte geduldig von vorne begonnen werden), beim Aufstieg auf die Alm konnte man der Bounty zwar einiges an Gepäck aufladen, selbstverständlich auch den eigenen Rucksack, allerdings war das beschlagene Pferd, das an der Leine geführt wurde, so schnell und klappernd hinter einem her (in der zwar unberechtigten Menschenangst, es könnte einem auf die Fersen steigen), daß man nicht verschnaufen konnte und oben vollverschwitzt ankam, und während man es noch an die Stalltür band und den Brustgurt des Packsattels zu lösen versuchte, hatte es schon voll Ungeduld mit einer Vorderhand ein ziemliches Loch aus dem Boden herausgescharrt, das es anschließend wieder zu füllen galt

- als wir noch keinen ziegendichten Zaun hatten, hat sich, wenn man draußen auf der Bank saß, eine Lieblingsziege sehr nah an mich herangemacht und vor allem weibliche Wesen, die auch schon dort saßen, eindeutig eifersüchtig wegzuschubsen versucht

-Tips für Kamptalflügler zur vorsichtigen Naturbeobachtung: SmaragdEidechsen, ÄskulapNattern und GottesAnbeterinnen (diese möglichweise an den warmen Felsen des sogenannten Schimmelsprungs gegenüber Zitternberg), außer den erwähnten Wachtberg vor allem das Kunstschloß Buchberg mit der außerordentlichen Sammlung konkreter und konstruktiver Kunst des Ehepaars Bogner (ev. Führung durch Gertraud nach Vereinbarung), frei zugänglich ist der elegante sechseckige Glaspavillon (Davidstern) im NatursteinBrunnenhof links von der Schloßeinfahrt (Dan Graham) und die anschließende Buchstabenlaube von Heimo Zobernig (Katalog: Kunstraum Raumkunst PassagenVerlag), ein Besuch des Garser Viktualienmarkts jeden Samstag von 8-12h darf als freudige Pflichtübung anempfohlen werden (offener Geheimtip: alle Brotsorten des Biohofs Spitaler)

Alles Gute Zum Geburtstag! Vielen Dank für die Tipps und das neue Buch. Ich wünsche dir einen Almsommer ohne Katastrophen aber mit viel Ziegenkäse und freue mich schon, dich wieder einmal live zu erleben.


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