©A.Barbero)
KREISLAUFKOLLAPS, BABY!

Markus Köhle interviewt: Barbara Rieger
August 2018: Wien ist ein Pizzaofen, der Interviewer gerade als angekokeltes Souvlaki aus Zakynthos zurückgekehrt; die Interviewte sucht Abkühlung in Kärnten. Ein Mail-Dialog zwischen Faaker See (Barbara Rieger) und Ottakring (Markus Köhle) entspinnt sich.


DUM: Du hast gerade mit deinem Roman-Debüt "Bis ans Ende, Marie" bei den O-Tönen im MQ vor vielen, vielen Menschen gelesen. Ist damit ein persönliches Lebensziel erreicht? Wie war's?

BR: Mein Ziel war es auf jeden Fall, einen bzw. diesen Roman zu schreiben und einen Verlag zu finden, der ihn publiziert. Darüber, was danach passiert, habe ich mir vorab gar keine Gedanken gemacht. Eine Einladung zu den O-Tönen ist in dem Fall natürlich eine der allerschönsten Überraschungen.

An dem Abend gab es leider ein Gewitter mit starkem Regen, so dass die Lesung drinnen stattfinden musste. Ich hatte vorab überlegt, ob ich den Prolog in diesem Rahmen wirklich lesen soll und mir schließlich gedacht, "wenn schon, denn schon". Angeblich hat eine Dame gleich beim ersten Satz den Raum verlassen und später habe ich auch erfahren, dass eine Person eine Art Kreislaufkollaps hatte, "weil es so arg war". Auf dieser Bühne ist man ja ziemlich weit weg vom Publikum, aber ich hatte das Gefühl, dass die Leute sehr konzentriert waren. Schön war jedenfalls, dass so viele Bekannte und Freunde da waren. Meine Freunde wissen, wie lange meine Protagonistin Marie schon in mir ist und sind richtig stolz.

DUM: Auch mich hat "Bis ans Ende, Marie" gefesselt. Wie lange hast du daran gearbeitet? Wie arbeitest du generell? Hast du Rituale, brauchst du bestimmte Bedingungen?

BR: Das freut mich. Diese Geschichte und die beiden Figuren habe ich lange mit mir herumgetragen. Vor ein paar Jahren habe ich schon einmal versucht, sie niederzuschreiben, doch das hat damals leider bzw. zum Glück nicht so wirklich funktioniert. Im Sommer 2017 habe ich mir gedacht, ich gebe Marie noch eine Chance. Ich habe den Anfang geschrieben und an meine Lektorin Tanja Raich geschickt, die ich von der "Melange der Poesie" kannte. Sie hat mir dann irgendwann geantwortet, dass es ihr gefällt und gemeint, ich soll ihr mal den Rest schicken. Den Rest gab es zu dem Zeitpunkt nicht, aber ich habe mich reingehängt und das Manuskript in drei Monaten fertiggeschrieben. Ich habe nichts von der alten Version übernommen, sondern wirklich alles neu geschrieben, jeden Tag, gleich in der Früh, solange ich eben konnte. Bei vielen Teilen habe ich Musik gehört, um in die Stimmung und in einen Rhythmus zu kommen.

Dabei ist mir bewusst geworden, wie wichtig und hilfreich die Kontinuität ist. Ich habe keine Rituale, aber für ein größeres Projekt brauche ich ein gewisses Ausmaß an innerer und äußerer Ruhe. Ich muss mich von der Welt, von meinem eigenen Leben abschotten, damit ich mich auf eine andere Welt einlassen kann. Das gelingt mir am besten in der Früh, wenn die Stadt noch schläft. Wenn es geht mit dem Handy auf Flugmodus. Wenn es sich gerade ergibt, schreibe ich aber auch im Freibad, im Kaffeehaus oder tippe in der Straßenbahn einen Text in mein Handy.

DUM: Schön, dass du die Kontinuität und die Musik erwähnst. Ich hab in meinen Notizen dem Buch die Untertitel "Ich reiße mich zusammen" und "We're not scaremongering. This is really happening." gegeben. Die Heldin kann sehr gut Tag träumen. Wie wichtig sind Träume und generell das Spiel mit Wirklichkeit und Vorstellung für dein Schreiben?

BR: Beim Träumen geschieht ja ähnliches wie beim Schreiben: Verfremdung, Verschiebung, Verdichtung von Ereignissen und Personen ... und Träume, Nachträume, aber auch Tagträume schaffen bestimmte Stimmungen. Bei "Bis ans Ende, Marie" ging es mir unter anderem darum, solche zu erzeugen.

Was "wirklich" ist, was wirklich geschieht oder geschehen ist, wie viel die eigene Vorstellung oder kollektive Vorstellungen zu unserer Vorstellung von Wirklichkeit beitragen, ob es überhaupt eine Wirklichkeit abseits unserer Vorstellung gibt, sind für mich prinzipiell spannende Fragen. Mich interessieren die Diskrepanzen, die sich zwischen Wirklichkeit und Vorstellung auftun, und die Konflikte, die dabei entstehen.

Literatur eignet sich gut dazu, das auszuloten, sie verfügt dazu über die unterschiedlichsten Mittel. In meinem Fall spielt die Perspektive eine Rolle: Was passiert in (der) Wirklichkeit (des Romans), was nur in der Vorstellung (der Protagonistin)? Und was passiert in der Vorstellung der LeserInnen?

DUM: Bei mir passierte ja, dass ich mich nicht nur ans Café Anno, sondern auch sehr ans zwanglose Feiern erinnerte, zu Zeiten, in denen man noch ausging, um zu tanzen oder jemanden abzuschleppen. Die Landpassagen erinnerten mich aber auch an mein ursprüngliches Daheim bzw. meine Elternverhältnisse. Überhaupt die Schauplätze: erst Stadt, dann Land, dann Meer, dann wieder Stadt; Jetzt weilst du ja gerade an einem See. Wie wichtig ist für die Tapetenwechsel? Brauchst du regelmäßig örtliche (andere) Veränderungen oder kannst du dich auch mühelos weglesen? Wenn ja wie und bevorzugt mit was?

BR: Ja, mit Anfang zwanzig feiert man gerne, man ist vielleicht gerade erst in die Stadt oder ausgezogen, das Zuhause wirkt noch nach. Als Jugendliche und junge Erwachsene war mir Reisen sehr wichtig, ich habe jede Chance genutzt, irgendwohin zu fahren und was Neues kennenzulernen. Mittlerweile bin ich sesshafter und mag Kontinuitäten, aber oft sind Veränderungen einfach notwendig. Zum Beispiel, wenn es in der Wohnung und in der ganzen Stadt über 35 Grad hat! Was ich sicherlich brauche, ist Auslauf und eine gewisse Weite zwischendurch, z.B. die Donauinsel oder einen Gipfel. Und ja, "sich weglesen" ist ein schöner Ausdruck, das mache ich seit meiner Kindheit. Wenn ich ein Buch anfange, lese ich meistens gleich bis ans Ende. Ich liebe Romane, liebe es, in andere Welten einzutauchen und mit den Figuren mitzuleben.

DUM: Madame Bovary oder Elisabeth Bennett? Holden Caulfield oder Oskar Matzerath? Und Serien auch?

BR: Ich sag mal Bovary und Caulfield. Wenn ich eine Serie anschaue, dann am liebsten gleich die ganze, ja. Insgesamt schaue ich aber eher wenig Serien.

DUM: Mit "eher wenig" hältst du dich gut bedeckt. Du unterrichtest kreatives Schreiben. DUM-LeserInnen könnten potenzielles Publikum für deine Kurse sein. Wie wo wann läuft das?

BR: Ich habe 2018 die Leitung des BÖS - Berufsverband der Österreichischen SchreibpädagogInnen - und des Lehrgangs Schreibpädagogik übernommen. Der BÖS bietet seit vielen Jahren zum einen verschiedenste Schreibworkshops an, die für alle offen sind und von den verschiedensten DozentInnen geleitet werden: z.B. "Autobiographisches Schreiben" mit Erika Kronabitter, "Lyrik" mit Katharina Tiwald oder "Ich und Rolle" mit Silvia Waltl, um nur 3 von über 20 zu nennen. Zum anderen gibt es bei uns eine Ausbildung in Schreibpädagogik, die sich an die Menschen wendet, die selbst Schreibgruppen leiten wollen. Ich unterrichte selbst im Lehrgang, leite einige Workshops und kümmere mich gemeinsam mit dem Team darum, dass alles läuft Alle Infos gibt's auf unserer neuen Webseite: www.bös.at

DUM: Dann darf ich mich für das mühelose Interview bedanken, dir viel Erfolg mit Marie und BÖS wünschen und zum Abschluss noch ein Lieblings Zitat / Motto / Wort einfordern.
 
BR: Ich bedanke mich auch und zitiere die Pixies: "Try this trick and spin it, yeah!"


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