Ursprünglich wollten wir uns im "Unterwasserreich" in Schrems zu einem Spaziergang treffen; Thomas Sautner und ich; doch ich sagte dann aus Unsicherheit Corona gegenüber, Unsicherheit in mir selber, ob ich darf, soll, könnte, muss (aus eigenen Ansprüchen heraus - habe bis dato alle Interviews persönlich geführt, weil mich die Begegnung mit AutorInnen so erfüllt und so wach macht ...), ab; und wir machten das Interview via Mail.
Heute tut es mir leid, denn nach dem Lesen des neuen Romans, zieht es mich wie nie zuvor in die Gegend des nördlichen Waldviertels - die Orte finden, die Thomas Sautner für uns - die Leserschaft - herausgearbeitet hat und die einmalige Möglichkeit den Autor in "seiner Welt" selbst zu begegnen. Es ist wie es ist ...
DUM: Von "Fuchserde" bis zur "Erfindung der Welt"; 2006 - 2021. 15 Jahre intensives Schreiben. Von den Jenischen bis zum Adel; quer durch die Lebensalltage des Seins?
Im Grunde geht's mir immer um die ewigen Fragen, um Freiheit, Selbstbestimmung, Liebe, Schönheit, Wahrheit und Sinn. Dafür ist einmal eine jenische Familiensaga die Folie (in "Fuchserde" und "Milchblume"), dann ein Versicherungsangestellter in der Großstadt ("Der Glücksmacher"), gleich darauf eine Dystopie ("Fremdes Land") und nun, anschließend an "Das Mädchen an der Grenze" und vielleicht als Höhepunkt "Die Erfindung der Welt".
Das Schreiben als Leidenschaft, Sinnstiftung, Darstellung, .... Was ist das Schreiben für dich?
Lesen und Schreiben sind die Kulturtechniken, die mir am hilfreichsten sind, um mich zu zerpflücken und neu zusammenzusetzen. Wann und wo kann man sich und die Welt schon besser kennen lernen als in extremen Ausnahmesituationen und der Literatur? Wo besser als mit Kafka, Tolstoi, Bernhard, Roth, Kundera, Helbich, Pessoa, Bachmann, McCarthy und und und?
Wie bist du zum Schreiben gekommen und wie gelingt es dir "davon" zu leben?
Ich begann wie so viele Schriftsteller als Journalist. Nach gut zehn Jahren wollte ich den Dingen stilistisch und inhaltlich noch näher kommen. Wie man von der Literatur leben kann? Wenn Corona dank der Impfungen nicht mehr Angst und Schrecken verbreitet und wieder mehr Lesungsbuchungen möglich sind, geht es schon irgendwie. Es gibt Milliarden wahrlich bitterarmer Menschen auf der Welt, da wäre es grotesk, hier nun herumzujammern. Und der größte Luxus ist ohnehin nicht zu kaufen und für den bin ich wirklich sehr, ja demütig dankbar: Meine Familie, Freundschaften, Freiheit, Selbstbestimmtheit, Sinn.
Was bedeutet der mittlerweile 3. Lockdown und die Corona-Pandemie für deinen Alltag?
Öffentliche Auftritte - außer durch das "Netz" fallen aus; d.h. man(n)/frau reduziert das Außen; ist es belastend für dich, oder entstehen gerade dadurch weiter Kreativitätsschübe mit neuen Romanideen?
Ich tue mir schwer, Corona rasend viel Gutes abzugewinnen. Die sozialen, wirtschaftlichen und psychischen Schäden stehen, fürchte ich, in keiner Relation zum positiv Erreichten. Und herzige Träumereien wie die, dass wir die Ruhe mehr zu schätzen lernen werden, dass wir einander global als Menschheit näherkommen werden und die Umwelt profitiert, waren ja flott ausgeträumt. Es ist nun einmal immer wieder das Gleiche mit uns Menschen: Zu viel Stammhirn.
Hast du einen bestimmten Schreibort?
Meine Schreiborte hat mir die Regierung vor der Nase zugesperrt: Meine Lieblingskaffeehäuser. Was mir geblieben ist, ist meine Schreibhütte im Waldviertel und die Veranda.
Und deine bevorzugten Schreibzeiten?
Am liebsten arbeite ich vormittags. Oder, wenn ich senilitätsbedingt aufwache, nachts, da ist der Geist noch frisch. Halbwegs.
Jüngst erschien dein neuer Roman "Die Erfindung der Welt". Eine Autorin erhält darin den gut honorierten Auftrag, das Leben mit "unbestechlichen Augen in Litstein" zu beschreiben; samt der Welt der Aristokratie. Entstehen Romane wie dieser am Reißbrett oder entwickeln sich die Figuren im Laufe des Schreibprozesses quasi von selbst?
Am Anfang steht meist eine Idee, ein großer Wunsch, darein findet sich nach und nach ein Plot. Und so bleibt dann auch die literarische Hierarchie. Viele Lesenden schmeißen sich beinahe ausschließlich auf den Plot. Der ist nicht unwichtig, aber letzten Endes nur Transportmittel für die Literatur selbst und für die Idee, die über allem schwebt und alles zusammenhält.
Du ziehst die Fäden und lässt das Leben und die Natur sprechen. Erfindest bzw. findest du dich beim Erzählen selbst neu?
Der Zauber des Erfindens und Findens passiert nicht in der Phase des Konzipierens oder Satzerdenkens, sondern im Augenblick der Textwerdung. Beim Schreiben geht's darum, mich zu verlieren, nur noch der Text darf mich besitzen, nur sein Wille zählt, das bisherige, übliche Ich-System muss dabei gegen Null gefahren werden, ohne dass es währenddessen den Stift fallen lässt. Technisch versuche ich freilich, die Fäden beisammen zu halten. Inhaltlich, stilistisch, ästhetisch aber geht's ums Gegenteil: Ich lasse alle Fäden fallen, sich verstreuen, verlieren, in der verrückten Hoffnung, sie weben sich von selbst zu etwas Großem, etwas Außergewöhnlichen, das mir nie und nimmer gelänge.
Zeitweise hatte ich während des Lesens das Gefühl, dass du dich im gewissen Maße über die "Schreibmaschinerie" ein wenig lustig machst?
Ist mir nicht aufgefallen. Aber die absolute Wahrheit des Texts gibt's freilich nicht. Und schon gar nicht habe ich als Autor ein Vertretungsrecht darauf. Jeder Lesende schreibt den Roman lesend, fühlend, interpretierend um, das macht ja mit den Spaß aus.
Woher nimmst du deine fantastische Schöpferkraft für die Schönheit des Lebens?
Ich versuche, loszulassen. Mich weit zu machen. Es ist ja eh alles da, mich braucht's nicht groß dazu, ich darf nehmen, was da ist. Und es ist viel, unglaublich viel da, im Kleinen und im Großen, unglaublich viel.
Josef Ortheil hat in "Die Erfindung des Lebens" sein Leben verpackt und Autobiographisches erzählt. Wie viel Autobiographisches ist in deinen Romanen verpackt?
In jeder Literatur jedes Schriftstellers steckt, beabsichtigt oder unbeabsichtigt, mehr oder minder auch er selbst. Wer einen Schriftsteller kennen lernen will, sollte daher seine Romane lesen, keinesfalls aber ihm persönlich zu nahe kommen oder gar sprechen, das lenke nur völlig ab von der Wahrheit.
Welches deiner Bücher ist dein Persönlichstes?
Welcher deiner Atemzüge ist dein persönlichster?
Du bietest literarische Schreibseminare an - ist das ein willkommener Ausgleich zum eigenen Schreiben? Und eine gute Möglichkeit mit Gleichgesinnten Zeit zu verbringen?
Ich begann mit den Seminaren vor etwa zwei Jahren, als ich dachte, unbeabsichtigt in dem Alter angekommen zu sein, etwas weitergeben zu können. Die beste Überraschung war, dass es mir echt Freude macht. Und: ich lerne jedes Mal etwas Neues dazu. Wie ich gehört habe, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auch ein wenig.
Herzlichen Dank für das Interview und alles Gute für die nächsten Projekte, in welcher Form auch immer sie stattfinden mögen.
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