©R.Winkler
LEBEN IST IMMER NOCH LEBEN. SCHREIBEN IST IMMER NOCH SCHREIBEN

Martin Heidl interviewt: Andrea Winkler
Es ist ein angenehmer Sommertag im Juli 2019; wir sitzen in einem Caféhaus mit Bäckerei, der Morgenregen lässt den vorgartenähnlichen Gastgarten aufatmen; die Stühle im Schatten noch nass, die die in der Sonne weilen, sind bereits wieder trocken. Einheimische, Zuagraste und Touristen bevölkern nebeneinander das Cafe des Ortes, der von außen mondän wirkt, von innen besehen zerbrechlich ... Andrea Winkler verbringt die "Sommerfrische" in dieser bezaubernden und beschaulichen Flusslandschaft in Niederösterreich.


DUM: Warum gerade hier?

Ich finde diese Gegend einfach so schön - und sehr inspirierend; sie nährt mich. Ich mag das Atmosphärische dieses Ortes und den unregulierten Fluß, der durch die Landschaft zieht; die Bahnstrecke, die die Verbindung zur "Welt" darstellt und den wöchentlichen Markt auf dem "Hauptplatz".

DUM: Wie entstehen Ihre Romane?

Zumeist ist es so, dass ich eine Art Thema längere Zeit mit mir herum trage, es in alle Richtungen wende; es dauert eine Weile, bis es schließlich so weit ist, dass ich mit dem Schreiben beginnen kann. Ich mag diesen Prozess und kann ihn weder beschleunigen noch sonst wie beeinflussen - außer dadurch, dass ich Raum für ihn schaffe und die nötige Ruhe aufbringe, die Sache von sich aus entstehen zu lassen, was manchmal leicht, manchmal schwer vonstattengeht, denn ich neige zur Ungeduld. Das Schreiben selbst allerdings gestaltet sich sehr rhythmisch und geht meistens schnell; die Zeit davor kann hingegen länger dauern, als ich will.

Der Sommer hier ist wunderbar, weil ich so viel Freiheit und Zeit habe. Ich bin gerne allein, und hier allein zu sein, ist gar nicht schwer. Es ist so gut, wenn es wenig Dinge gibt, die ablenken und stören.

DUM: Das Allein Sein als Voraussetzung zum Schreiben?

Im Alleinsein entdecke ich viel präziser, was alles da und um mich ist, in einem einzigen Augenblick. Das ist das eigentlich Schöne daran. Ich kann viel mehr wahrnehmen und mich darauf einlassen. Ich glaube, diese Möglichkeit steht allen Menschen offen.

DUM: Die große Herausforderung?

Die Herausforderung ist, bei dem Eigenen zu bleiben, auch, wenn die Umstände scheinbar dagegen sprechen und fragen: wie willst du das bewerkstelligen?

Die Umstände sind natürlich auch die materielle Basis; es ist wichtig, sich von deren Anforderungen nicht einschüchtern zu lassen. Ich war eine Zeitlang angestellt im Sozialbereich und weiß, wie es ist, ein regelmäßiges Einkommen zu haben.

DUM: War das in Wien?

Ja, das war in Wien; ich bin in Freistadt geboren und aufgewachsen und dann zum Studium nach Wien gegangen - lebe immer noch da; wie man sieht mit Ausnahmen.

In meiner früheren Berufstätigkeit habe ich sehr brüchige Lebenssituationen und fragile Verfassungen von jungen Menschen kennen gelernt - und dabei einen wesentlichen Punkt erkannt: Diese Jugendlichen können im Moment sein; sie haben eigentlich das, was man gemeinhin ein schwieriges Leben nennt, und können das. Das ist mir nahe gegangen.

DUM: Schreiben als Beruf und Berufung?

Ja, und doch hat es sich in meinem Leben eigentlich von sich aus ergeben - ohne dass ich es wirklich für möglich gehalten hätte. Ich liebe die Literatur, und diese Zuneigung verbraucht sich nicht. Wenn ich nicht schreibe, lese ich, und ich lese sehr viel mehr als ich schreibe. Es wird ja viel zu viel geschrieben und viel zu wenig wirklich gelesen. So praktiziere ich das auch, wenn ich von Zeit zu Zeit am Institut für Sprachkunst der Angewandten unterrichte: ich lese mit den Studierenden hauptsächlich Texte, die nicht aus unserer Zeit stammen, das heißt Texte, zu denen man sich anders einen Weg bahnen muss. Ich hebe immer wieder Schätze aus dem Bereich der antiken Philosophie und schöpfe auch aus den schriftlichen Quellen der Religionen: das bereichert mich sehr.

DUM: Was können Sie zum Lesen empfehlen?

Den letzten Roman, den ich gelesen habe, hat mir mein Buchhändler empfohlen, es war "Väter und Söhne" von Iwan Turgenjew.

Das 19. Jahrhundert ist so reich, ja überhaupt erreicht mich oft die Literatur aus früheren Zeiten viel direkter und unmittelbarer. Vielleicht hat es damit zu tun, dass ich anders durch die Figuren schauen kann - ich schaue da auf einen andern Grund.

DUM: Zu ihren letzten Romanen (auszugsweise): "Die Frau auf meiner Schulter" (2018); dem Einbildungsroman: "König, Hofnarr und Volk (2013) und "Drei, vier Töne, nicht mehr" Elf Rufe (2010). Wie legen sie Ihr Schreiben an?

Ich mache mir ständig Notizen. Da entsteht ein Faden wohin das geht, aber ohne Druck. Irgendwann schreib ich's dann. Es fließt einfach innerhalb einiger Monate und wird dann noch verfeinert.

Schreiben ist für mich ein Kommunizieren, ein zugleich differenziertes und schlichtes Kommunizieren. Menschen sind dialogische Wesen, wesentlich auf ein Du angelegt; Schreiben ist einerseits sehr nüchterne Arbeit, aber die Texte, die dabei entstehen, sind auch ein Raum der Begegnung.

DUM: Sie benötigen Freiräume, um zu schreiben und um zu sein; wie lässt sich das mit einem Leben in bzw. an der Öffentlichkeit vereinbaren?

So groß ist meine sogenannte Öffentlichkeit ja gar nicht. Mir geht's ums Schreiben und um den Text, der daraus hervorgeht. Alles andere ist nur Nebensache und wenig wichtig.

DUM: Herzlichen Dank für das Gespräch.


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