©M.Heidl
FROST IST NICHTS ALS DER TAU VON MORGEN

Martin Heidl interviewt: Thomas Mulitzer
Ein Tag in Salzburg, 14. März 2018, - Aschermittwoch und Valentinstag in einem; wie soll das zusammengehen? Winterlich kalt, sonnenscheinlich fröhlich; diesmal (das letzte Mal war vor 15 Jahren) auf der Rückseite des Bahnhofes in die Stadt eingetaucht; landete bei einer freundlichen älteren Dame, die mich in die Wolf-Dietrich-Straße geleitete - dort im "GustaV" einem stilsicheren Wohnzimmerlokal erfrischt, von dort weiter ins "Fingerlos", zugegeben mit besten Torten bestückt, allerdings mit musischer Unruhe und Schnöseligkeit verziert, um schließlich im stimmungsvollen "Shakespeare" Thomas Mulitzer zu treffen.

Ein wunderbarer Begegnungsort, im Herzen der Tourismusmeile, der abseits des Mainstreams, das beste Ambiente für eine "Begegnung" zulässt; zum Sitzen sind wir unter Aldous Huxleys Schöner neuer Welt - derzeitige Kunstausstellung von Gerald Herrmann - gekommen.



DUM: Thomas Mulitzer, unlängst erst in Steyr eine Lesung aus deinem ersten Roman "TAU" zum Besten gegeben?

Ja, das war im AKKU, einem Kulturzentrum in Steyr, wo ich gemeinsam mit Petra Piuk gelesen habe. Sie hat ihren Roman "Toni und Moni, oder: Anleitung zum Heimatroman" vorgestellt, und zwischendurch hat eine Schlagersängerin Gabalier-Covers zum Besten gegeben - zum Glück nicht ganz ernst, sondern mit einem Augenzwinkern.

DUM: TAU, ein Heimatroman?

Eher ein Anti-Heimatroman, weil ich meine - tatsächliche und literarische - Heimat zwar beschreibe, aber eben auch dekonstruiere.

DUM: Woher kommt's; die Verbindung von Thomas Bernhards "Frost" und deinem Debütroman?

Ich bin in Goldegg im Pongau aufgewachsen, und meine Großeltern hatten ein Gasthaus im Ortsteil Weng. So heißt auch der Schauplatz von "Frost", und Thomas Bernhard war tatsächlich des Öfteren Gast bei meinen Großeltern. Die Veröffentlichung hat im Ort eine Unruhe ausgelöst, wie es Bücher heute nur noch selten vermögen. Aufgrund dieser persönlichen Verbindung hab ich schon früh Thomas Bernhard gelesen. "Frost" stand bei meinen Eltern zu Hause im Bücherregal, das Thema war immer präsent, aber die Idee, einen eigenen Roman über Weng zu schreiben, kam mir erst vor circa zwei Jahren. Der ursprüngliche Gedanke war, die Eiswände, die Thomas Bernhard rund um den Ort platziert hat, aufzutauen.

Nachdem ich "Frost" zum ersten Mal gelesen habe, hat es noch Jahre gedauert, bis ich verstand, wie prägend und wichtig das Buch eigentlich für mich ist.

Nach der Matura im BORG St. Johann im Pongau hab ich den Zivildienst absolviert und bin im Anschluss daran nach Graz gegangen, um zu studieren. Einerseits Germanistik - fürs Herz - und andererseits BWL - fürs Geld -, was im Nachhinein natürlich eine irrsinnige Idee gewesen ist. BWL hab ich nach einem Semester aufgegeben, Germanistik nach zwei. Das Gute an Graz war, dass ich Leute kennengelernt hab wie Paul Pizzera. Damals sind wir im Café Harrach gesessen und haben uns gefragt, was wir mit unserem Germanistikstudium anfangen sollen - vom heutigen Standpunkt aus hat es uns anscheinend doch was gebracht. Ein anderer Kollege hat damals an einem Roman im Stile Kerouacs geschrieben, er war schon Ende 20, und ich hab mir gewünscht, dass ich mit einem Schlag zehn Jahre älter wäre, dann hätte ich auch genügend Lebenserfahrung, um zu schreiben, und heute bin ich auf einmal zehn Jahre älter und halte tatsächlich meinen Debütroman in Händen.

DUM: Du hast also keine Zweifel gehabt?

Das Zweifeln gehört untrennbar zum Schreiben dazu. Viele große Künstler sind mit 27 gestorben: Jimi Hendrix, Janis Joplin, Amy Winehouse. Ich hab mit 27 erst angefangen zu leben, ich war davor tot. Ich hab also meinen eigenen Klub 27 gegründet. Mit 27 loslegen, das ist doch besser als umgekehrt!

DUM: Welche Rolle spielte die Übersiedlung nach Salzburg?

Erst in Salzburg hab ich Struktur in mein Leben gebracht. Ich hab meinen Master im Studiengang "MultiMediaArt" gemacht und vor zweieinhalb Jahren mit dem Trinken aufgehört. Seitdem hab ich viel mehr Zeit für die wichtigen Dinge im Leben und generell mehr Energie. Ich arbeite als Texter und Lektor und lebe mitten in der Stadt, einerseits mit der wunderbaren Aussicht auf den Gaisberg und andererseits mit Blick auf ein Laufhaus und den ehemaligen Straßenstrich, eine reizvolle Mischung.

DUM: (Lisa-Viktoria Niederberger -- kommt zu unserem Tisch und begrüßt Thomas Mulitzer ...) Eine Kollegin???

Ich hab Lisa im Rahmen der Arbeit am Sammelband "X" kennengelernt, der von der Salzburger Literaturzeitschrift mosaik herausgegeben wurde. Gemeinsam mit Birgit Birnbacher hatten wir vor ein paar Jahren einen Auftritt im Literaturhaus Salzburg. Die beiden haben gelesen und ich hab Gitarre gespielt. Das war auch ein Schlüsselmoment für meinen literarischen Werdegang, meine Mundartsongs neben literarischen Texten und der Kontakt zu anderen Schreibenden in Salzburg.

DUM: Wie hat dich die Verlagswelt gefunden?

Eines Tages hab ich ein E-Mail vom Verlag Kremayr & Scheriau bekommen, eine Empfehlung von Birgit Birnbacher war da sicher nicht ganz unbeteiligt. Sie haben mich gefragt, ob ich gerade an etwas schreibe, und ich hab ihnen die ersten 20 Seiten von "Tau" geschickt. Mehr hatte ich da noch nicht. Relativ bald haben wir uns auf eine Deadline geeinigt - ich sollte in einem Jahr fertig sein. Das war zwar viel Arbeit, aber es war zu schaffen.

Mit "Tau" wollte ich Weng ein weiteres literarisches Denkmal setzen und dem nachspüren, was hätte sein können. Außerdem wollte ich mich während des Schreibprozesses selbst besser kennenlernen, etwas über mich erfahren, das ich noch nicht wusste. Am Anfang war es eher ein Experiment, Themen aus "Frost" aufzugreifen und mit Bernhards Stil zu spielen, dann habe ich meine eigene Sprache für dieses Werk gefunden.

DUM: Wo und wie schreibst du?

Das schwierigste ist für mich, Zeit zum Schreiben zu finden. Das ist ein täglicher Kampf gegen Ablenkungen und ein ewiger Kompromiss. Üblicherweise schreibe ich bei mir zu Hause am Schreibtisch. Ohne Disziplin und Regelmäßigkeit geht wenig voran - da hat mir die Deadline für "Tau" sehr geholfen. In den letzten Wochen bin ich jeden Tag früher aufgestanden, um vor meiner Erwerbstätigkeit ein paar Zeilen in den Laptop zu hauen. Wenn ich unterwegs bin, habe ich ein Notizbuch dabei, in dem ich Gedanken und Erlebnisse, aber auch Songtexte niederschreibe.

DUM: Apropos Songtexte. Du bist nicht nur ein Autor, sondern auch Musiker?

Ich hab in einigen Punkbands Gitarre gespielt und gesungen, mein derzeitiges Lieblingsprojekt ist eindeutig "Two on Glue", ein Mundart-Duo, das mittlerweile zum Trio avanciert ist. Darum werden wir uns in Kürze auch in "Glue Crew" umbenennen. Wolfgang Posch, manchen vielleicht als mehrmaliger Gewinner des Red Bull Gstanzl Battles bekannt, Bernhard Breidler und ich machen Mundart-Punk mit vielen stilistischen Einflüssen und werden im Laufe des Jahres unser zweites Album rausbringen.

DUM: Wieder zu TAU. Dein Roman ist ebenso wie FROST in 27 Tagen aufgebaut. Am 12. Tag steht folgendes:
"Meine Antworten sind nichts als Fragen.
Meine Blasphemie ist nichts als Masturbation.
Frost ist nichts als der Tau von morgen."

Jede Aufarbeitung ist immer nur ein Annähern, ein Herantasten. Nichts, was geschrieben steht, ist wahr, weil es in der Natur des Schreibens liegt, zu verfremden, zu abstrahieren, herunter zu brechen. Ich kann nichts objektiv erklären, nur Anspielungen machen, neue Fragen aufwerfen.

Blasphemie bezieht sich einerseits auf das Abarbeiten an Thomas Bernhard, der nach seinem Tod zu so etwas wie einem Heiligen der österreichischen Literatur geworden ist. Andererseits spielt auch die Kirche eine große Rolle in meinem Buch, was ursprünglich überhaupt nicht beabsichtigt war. Dann ist mir klar geworden, wenn man über Weng schreibt, kann man gar nicht anders, als über die Kirche zu schreiben. Sie ist der Mittelpunkt des Dorfes, hier treffen sich die Leute, viel mehr gibt es nicht.

Einige Geschichten im Buch sind von wahren Begebenheiten inspiriert. Die Geschichte über die Partisanen vom Böndlsee etwa, der in meinem Buch Furchensee heißt, wirkt bis heute nach. Es hat zum Beispiel 70 Jahre gedauert, bis am Friedhof in Goldegg neben dem Kriegerdenkmal auch ein Andenken an die Deserteure zu finden ist. Langsam lösen sich die Eisblöcke auf. Es taut.

DUM: Wieviel Fiktion ist im Roman?

Ich habe mich bewusst an meinem literarischen Vorbild orientiert und mit den Stilmitteln der Übertreibung und Zuspitzung gearbeitet. Einige Figuren sind realen Vorbildern nachempfunden, und obwohl ich sie stark verfremdet habe und nicht unbedingt eine direkte Verbindung herstellen wollte, werde ich laufend darauf angesprochen, ob jene Figur nicht dieser Ortsbewohner sei etc. Um das zu verhindern, habe ich Passagen ins Buch integriert, die explizit auf diese Verwechslungsgefahr Bezug nehmen.

DUM: Die Signatur Bernhards als herausgerissene Seite?

Die kommt im Buch vor, aber da muss ich dich enttäuschen - das ist fiktiv.

DUM: Ich finde die Gestaltung des Buches sehr schön.

Mit der Gestaltung bin ich auch sehr zufrieden, besonders der Einband in Holzoptik hat es mir angetan. Eine solch liebevolle und detailverliebte Gestaltung sieht man selten, da hat der Verlag wirklich hervorragende Arbeit geleistet.

DUM: Dürfen wir mit einem neuen Roman rechnen?

Für mein erstes Buch hatte ich das ganze Leben Zeit. Beim zweiten wird es wohl schneller gehen. Außerdem steht "Tau" ein Zitat Bernhards voran: "In das erste Buch, da schreibt man alles hinein." Da jetzt vieles draußen ist, kann ich mich neuen Themen widmen, eine Materie fokussieren, ohne alles hineinschreiben zu müssen. Derzeit sammle ich Ideen, warte ab und lasse es rausfließen, wenn die Zeit gekommen ist.

DUM: Thomas Mulitzer, vielen Dank für das Gespräch.

Eine Frage noch: Auf der Homepage deiner Band habe ich vom Krafttier RABE gelesen. Was hat es damit auf sich?


Eine Freundin von mir ist Schamanin, sie beschäftigt sich mit keltischen und fernöstlichen Riten und bietet zum Beispiel auch schamanische Wanderungen auf den Untersberg an. Da ich in dieser Hinsicht eher skeptisch bin, hat sie mir angeboten, mit mir in die Anderswelt zu reisen, um mein Krafttier zu finden. Von Räucherduft und Trommelklang begleitet, hab ich in der Anderswelt jedes Tier, das ich getroffen hab, gefragt, ob es mein Krafttier werden will. Tiger, Bär und Katze sind weggelaufen, erst der Rabe ist geblieben und hat sich auf meine Schulter gesetzt. Das wirklich Seltsame ist am nächsten Tag auf meinem Weg in die Arbeit passiert: Vor einem Wirtshaus hat ein Rabe Kotze vom Asphalt gefressen. Als er mich bemerkt hat, flog er auf einen Zaunpfahl und schaute mich lange an, ohne wegzufliegen. Der Rabe ist das einzige Krafttier, das in die Anderswelt reisen und von dort wieder zurückkehren kann. Vielleicht passt das tatsächlich zu mir: Ich war im Frost und berichte davon. Ich esse Kotze und spucke einen Text aus.

DUM: Danke und alles Gute ...


Quellenverzeichnis:
www.kremayr-scheriau.at/autoren/thomas-mulitzer-403
www.twoonglue.com


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