Annemarie Regensburger ist die Autorin, die am häufigsten in den vergangenen knapp 25 Jahren in DUM vertreten war, ganze 21 Mal durften wir Texte von ihr abdrucken. Mehr als Grund genug, sie im Jubiläumsjahr zum Interview zu bitten.
DUM: Wann hast Du das erste Mal einen literarischen Text geschrieben, mit dem Du an die Öffentlichkeit getreten bist?
1982 zum Wettbewerb zum Thema "Bauernleben heute". Mein Text handelte von einem Biobauern, der keinen Kunstdünger verwendete. Dieser Text wurde ausgewählt und im ORF gesendet. Viele Jahre später sagte mir eine der Jurorinnen, dass es wegen dieses Textes eine längere Diskussion gab, weil er manchen Juroren zu kritisch war.
DUM: War der im Dialekt oder in "Hochsprache"?
Ich verfasste diesen Text im Dialekt. Bereits mit 12 Jahren schrieb ich eine Ballade in Standardsprache, in der ich den frühen Tod meiner Mama verarbeitete. Gelegenheitstexte verfasste ich als Mädchen auch in Standardsprache.
DUM: Du bist eine der kritischsten Autorinnen, die in DUM vertreten sind. Nicht selten geht es in Deinen Texten um die Rolle der Frau, wobei da durchaus auch Kritik an den Frauen selbst durchdringt, die sich mitunter allzu leicht mit ihrer (untergeordneten) Rolle abfinden. Wie siehst Du das?
In meinem letzten Lyrikband heißt es in einem Text "und wenn d'Weiberleit salber mih als Hex verbrennen / kann ih decht lei / solang ih 's Maul aubring / mih fiar 's Recht vo die Weiberleit eisetzn". Vermutlich kommt mein Einsatz für die Frauen aus frühen Kindheitserfahrungen, denn meine Mama war eine geschlagene Frau. Ich selber bin sehr wertkonservativ aufgewachsen und habe als junge Frau umzudenken begonnen. Heute bin ich feministisch orientiert, das heißt für mich, nicht nur privat, sondern auch in der Gesellschaft für Gleichstellung von Mann und Frau einzutreten. Bereits vor mehr als 20 Jahren habe ich mit meinen Texten bei Lesungen vor allem in Frauenkreisen zur Auseinandersetzung über das Rollenverständnis der Frau beigetragen. Es stimmt, dass Frauen sich oft selbst im Wege stehen und sich auch gegenseitig konkurrieren. Zu lange waren sie in einem traditionellen Frauenbild allein für das Gelingen der Beziehung und auch der Kindererziehung verantwortlich. Deshalb bewerten sich Frauen vor allem in der Erfüllung ihrer Mutterrolle. Die "gute" Mutter bleibt bei ihren Kindern, die Rabenmutter ist bald wieder berufstätig.
DUM: Die Kulturinitiative WORTRAUM - Plattform für Oberländer Autorinnen und Autoren ist literarisch sehr aktiv. Einige Autorinnen durften wir schon in DUM abdrucken. Wie kam es zu dieser Initiative?
Da in Tirol der Mundartkreis eher die traditionelle Mundartdichtung vertritt, war es mir ein großes Bedürfnis, im Oberland eine Kulturinitiative zu gründen. So kam es 2003 mit einigen engagierten Kolleginnen im Rahmen der Imster Kunststraße zur Gründung des "Wortraums". In der Zwischenzeit sind wir in der Tiroler Kulturszene anerkannt und wertgeschätzt.
DUM: Wir haben in all den Jahren meines Wissens noch nie Texte von WORTRAUM-Autoren erhalten. Gibt es überhaupt welche? ☺
Vor Jahren war ein Autor in unserer Gruppe, der leider nach Deutschland verzogen ist. 2003 hat bei der Kunststraße auch Markus Köhle bei uns im Wortraum mitgemacht. Bei unseren Textwerkstätten nehmen immer wieder Männer daran teil. Doch vielleicht tun sich Frauen leichter, regelmäßig in der Gruppe zu schreiben.
DUM: Wie schwierig ist es für Dich, für Deine Dialekt-Texte einen Verlag zu finden?
Ich hatte großes Glück, denn Michael Forcher hatte bereits 1988 in seinem aufstrebenden Haymon Literaturverlag ein offenes Ohr für meine kritische Dialektdichtung und verlegte von mir 4 Dialektbände. In der Zwischenzeit ist auch Martin Kolosz vom Kyreneverlag die Förderung anspruchsvoller Dialektdichtung ein Anliegen. Dies kommt uns auch im Wortraum zugute. 2016 erschien "Eppes tuet sig" von 3 Kolleginnen. Im Mai dieses Jahres erscheint von 9 Wortraumautorinnen "Reifes Korn keimt aufs Neue / Psalmen neu interpretiert". Die Texte sind sowohl im Dialekt als auch in Standardsprache verfasst. Es war ein spannendes Projekt.
DUM: Dialekt und Mundart wird oft gleichwertig verwendet. Worin besteht für Dich der Unterschied?
Als junge Autorin wurde ich noch als Heimatdichterin bezeichnet. Dabei lief mir immer ein kühler Schauer über den Rücken und ich sagte, dass ich in meinen Texten aber nicht gängige Heimatwerte vertrete. Für mich war der Dialekt von Anfang an ein unverbrauchtes Sprachmittel, in dem ich mich am Besten ausdrücken konnte. Erst später wurde mir bewusst, wie stark Heimatdichtung und braune Vergangenheit miteinander verknüpft sind. In der Zwischenzeit hat sich für Heimatdichtung das Wort Mundartdichtung durchgesetzt. Ich bin darüber nicht ganz glücklich, denn den Mundartdichtern und Dichterinnen haftet immer noch beschauliche Heimatdichtung an, die mit Literatur nur wenig oder gar nichts zu tun hat. Im internationalen Dialektinstitut sprechen wir lieber von Dichtung im Dialekt, da das Wort Dialekt nicht besetzt ist, sondern für eine eigenständige regionale Sprache steht. Auch impliziert das Wort Dialektdichtung nicht unbedingt eine dahinterstehende Heimatideologie. Die Zukunftsvision für gegenwartsbezogene Dialektdichtung wäre für mich "Literatur im Dialekt", die auch in der Literaturwissenschaft wahrgenommen und aufgearbeitet wird. Dazu gibt es bereits Ansätze.
DUM: Könntest Du Dir vorstellen, woanders zu leben als in Tirol? Oder ist diese geographische Enge, die mancherorts wohl auch eine Hermetik des Denkens in sich birgt, etwas, das befruchtend ist für Dich?
Als junge Frau war für mich die Übersiedlung von Stams nach Imst bereits ein Stück "leichter schnaufen". Doch auch in Imst gibt es provinziellen Geist, der in manchen Bereichen den Ton angibt. Diese Enge des Tiroler Oberlandes war für mich Herausforderung, dagegen anzuschreiben. Ich fiel am Anfang vor allem mit meinen Texten gegen Gewalt in der Kindererziehung, dem Missbrauch von Religion als Erziehungsmittel, der Ausgrenzung von Menschen aus anderen Kulturen und Religionen auf. Heute immer noch brisante Themen. Die Welt geöffnet hat mir vor allem das Lesen zeitgenössischer Literatur und Seminare im Bereich der Erwachsenenbildung. Als ich das erste Mal mit 37 Jahren zur Kur in Ischia war und die Weite erlebte, waren mir anschließend die Berge Tirols viel zu hoch. Ja, in der Wachau wäre es sicher auch gut zu leben.
DUM: Du hast 2013 "Gewachsen im Schatten. Geschichte einer Befreiung" veröffentlicht und dieses beeindruckende Buch Deinem Heimatdorf Stams gewidmet. Wie war die Reaktion dort?
Die Reaktion in meinem Heimatdorf auf "Gewachsen im Schatten. Geschichte einer Befreiung" wäre eine eigene Geschichte wert. Nach fulminanter Präsentation mit Abt vom Stift Stams, Bürgermeister und über 150 Zuhörenden spaltete sich anschließend fast das Dorf. Der Dorfchronist widmete meinem Werk im 2016 erschienen Dorfbuch zwei Seiten. Zu "Gewachsen im Schatten" schrieb er: "Die Reaktionen im Publikum waren durchaus positiv, wenn auch Ortsbewohner, die das fiktionale Geschehen des Romans mit realen Ereignissen und Erlebnissen in Beziehung zu setzen vermögen, die direkte und wohl auch teilweise sehr subjektive Sichtweise als überzogen und den Zeitpunkt der Veröffentlichung - vor allem da handelnde Personen noch leben - als verfrüht ansahen." Bei der Präsentation des Dorfbuches am 26.10.2016 wurde bei den stamsbezogenen Büchern "Gewachsen im Schatten" nicht erwähnt und ich nur als Mundartdichterin begrüßt.
DUM: Was sind Deine nächsten literarischen Pläne?
Zurzeit schreibe ich an einem längeren Text, in dem ich der Frauenkulturgeschichte im Alpenraum nachgehe und weiblicher Spiritualität wieder einen Platz geben möchte. Zuviel wurde in einer patriarchalen Religion im Laufe der Jahrhunderte abgewürgt, vereinnahmt und umgedeutet. Es gibt noch in vielen Kirchen Spuren von Frauenbildern, deren Symbole aber oft nicht mehr verstanden werden. Lyrik und Kurzgeschichten entstehen immer, wenn der Hut brennt, einfach so, nicht zuletzt durch die Themenausschreibungen im DUM.
DUM: Danke für das Interview, Alles Gute und weiterhin viel Kraft und Kreativität!
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