ICH LIEBE ES, ZU ARBEITEN

Markus Köhle interviewt: Bernhard Moshammer
Alles über Mr. Davis ist die Geschichte des ehemaligen Wehrmachtsoldaten und Papierfachverkäufers Leopold Gassner, der 1964 in Wien dem Hollywood-Star Bette Davis begegnet und einen unvergesslichen Tag mit ihr verbringt (Stadtpark, Würstelstand, Taxi, Heurigen, Hotel Imperial). 50 Jahre später interessiert sich eine junge Journalistin für den 90jährigen und versucht ihm Geschichten über den Zweiten Weltkrieg zu entlocken, doch davon ist er nicht bereit zu berichten.

DUM: "Alles über Mr. Davis" (Milena 2014) ist dein vierter Roman (in fünf Jahren), du bist in diverse musikalische Projekte eingebunden und Burgtheatermusiker. Wie kriegst du das alles unter einen Hut, bzw. wann schreibst du, wann musizierst du?

Irgendwie geht sich immer alles aus. Ich habe einen relativ großen Kopf, also passt auch viel unter meinen Hut. Eine gewisse Getriebenheit kann ich nicht leugnen. Meine Familie schätzt sie nicht so, ich persönlich habe mich an sie gewöhnt - brauche sie wahrscheinlich sogar. Ich mache hauptsächlich Musik fürs Theater, ein bisschen Fernsehen. Im Idealfall schön der Reihe nach. Für das neue Buch habe ich wieder einmal eine CD produziert. Die war gar nicht geplant, ich hab ein paar Lieder im Roman eingebaut, irgendwann gesellten sich Melodien dazu, also hab ich sie aufgenommen. Ich arbeite ziemlich eigenbrötlerisch, konzentriert und schnell. Und - das habe ich mit Bette Davis gemeinsam - ich liebe es, zu arbeiten. Ich arbeite ja in Bereichen, die mich interessieren und mir grundsätzlich Freude machen.

Das stetige Arbeiten macht auch Sinn - ich für meinen Teil habe das Gefühl, immer besser zu werden; und ich war immer ein Spätzünder - vielleicht werde ich ja noch richtig gut ... Jedenfalls habe ich keine romantischen Vorstellungen einer sogenannten Künstlerexistenz, vom Schreiben in Einsamkeit oder irgendwelchen Blockaden. Ich mag das Wort "Künstler" nicht. Das Warten auf Inspiration ist ein Luxus, den ich nicht kenne - ich habe eher immer zu viel im Kopf und auch zu viel zu tun. Aber ich kann zwischen Geschirrspüler Ausräumen und Tochter Abholen einen kleinen Absatz schreiben, an einem Satz feilen oder mir mein Banjo schnappen und eine Melodie ins Handy singen, ohne in Stress zu geraten. Dieses Hin und Her gleicht mich aus, ist für mich Normalität geworden. Vielleicht ist ja auch der Alltag die beste Inspiration.

DUM: An einer Stelle in "Alles über Mr. Davis" heißt es (frei zitiert) "Ideen sind nichts wert". Deckt sich das mit deiner Einstellung? Bzw. was hältst du vom alten Rainald Goetz Motto: "Don't cry - work."?

Ja, das denke ich - und dieses Motte würde ich in fetten Blockbuchstaben unterschreiben. Wahrscheinlich hat jeder täglich gute Ideen, künstlerische, politische ... Das ist wie mit Vorsätzen oder Talenten, die sind an sich auch nix wert. Und es gibt zu viele Menschen, die wirklich Grund zum Jammern haben. Allein die Wahl zu haben, etwas Künstlerisches zu machen, ist schon keiner.

DUM: Dem Roman liegt eine CD bei und es fällt mehrmals der Vorhang und dazwischen spielst du mit formalen Gestaltungsmitteln. Vom Märchen über Briefe bis zu Aufforderungen an den Leser, selbst etwas beizutragen und dazwischen immer wieder Einwürfe des Erzählers, der sich direkt an die Lesenden wendet. Dieses Brechen der Illusion scheint dir ein besonderes Anliegen zu sein. Warum?

Der Vielfalt liegt kein Plan zugrunde. Die Dinge ergeben sich beim Schreiben. Analysieren kann ich das auch nur aus der Distanz. Ich tu mir selber eher schwer mit literarischen Wälzern, die links oben anfangen und 600 Seiten später rechts unten aufhören. Ich mag die Abwechslung. Wahrscheinlich denke ich beim Schreiben ein bisschen filmisch, und manchmal ruft mein Gefühl: Cut! Dann stürze ich mich auf eine Nebengeschichte. Und Liedtexte als literarisches Element mochte ich als Leser schon immer. In ein Konzert oder ein Album versucht man ja auch eine gewisse Struktur zu bringen. Meine erste Platte war das Weiße Album der Beatles - das ist auch ein stilistisches Sammelsurium. Außerdem bin ich im Theater permanent mit Inszenierungsfragen und dramaturgischen Entscheidungen konfrontiert - beim Schreiben geht's doch um Ähnliches: Auch hier ist die Grundidee schnell formuliert, der Rest ist Gestaltung.

DUM: In deinem Roman geht es ja auch um das Geschichtenerzählen an sich. Was macht für dich eine gute Geschichte aus? "Jeder will die sogenannte nackte Wahrheit. Die Peinlichkeiten. Jeder will alles." (S.158) Wie wichtig ist Wahrheit für eine gute Geschichte?

Grundsätzlich gar nicht. In meinem Roman sind alle Geschichten - bis auf die Briefe meines Onkels - komplett erlogen. Dennoch finden sich in allen möglichen Ecken und Schlupfwinkeln, in Liedzeilen oder Gesprächen kleine Wahrheiten; das sollen aber die Leser entscheiden. Wahrheit ist wie Glück oder Gott oder Liebe - die Suche danach oder das Schlüpfrige an diesen Begriffen ergibt zumeist die besseren Geschichten. Dennoch ist der Effekt des Zusatzes "nach einer wahren Begebenheit" immer wieder erstaunlich und bedeutungsschwer. Ich versuche mich um sowas nicht zu kümmern. Glaubwürdigkeit ist mir da schon wichtiger. In meinen Nebengeschichten, in den Märchen, bin ich ganz bewusst ins Fantastische abgedriftet, da existiert eine objektive Wahrheit schon gar nicht - und das ist befreiend. Was eine gute Geschichte ausmacht, weiß ich nicht. Alles, was beim Leser Identifikation oder Fragen provoziert, würde ich sagen. Ich mag keine Formeln - wenn ich als Leser solche entdecke, verliere ich das Interesse.

DUM: Apropos Leser: Die Nachbarn von Mr. Davis haben ein tolles Hobby: Sie lesen sich gegenseitig Romananfänge vor und raten, von wem sie stammen. Was ist dein Lieblingsromananfang?

Da tu ich mir schwer - ich bin so gar nicht der Ranking-Typ. Ich mag es, wenn mit einer gewissen Selbstverständlichkeit einfach eine Tür aufgemacht wird. Der Tom Robbins-Roman VILLA INCOGNITO beispielsweise beginnt mit dem Satz: "Es heißt, Tanuki hätte seinen Hodensack als Fallschirm benutzt, als er vom Himmel fiel." Das ist schön. Aber wie gesagt, nur keine Formeln!

DUM: Und welchen David Lynch Film empfiehlst du?

Der Einfachheit halber, weil er in meinem Buch erwähnt wird, sage ich THE ELEPHANT MAN. Weil ich ihn im letzten Jahr zweimal zufällig im Fernsehen gesehen habe und beide Male gefesselt und gerührt war. Er ist sehr einfach und geradlinig erzählt - wie sein späterer Film THE STRAIGHT STORY über den alten Mann, der seinem Bruder helfen will. Ich mag klassische Erzählformen und minimalistische Herangehensweisen recht gern. Lynchs Platte THE BIG DREAM ist aber auch super.

DUM: Die kenn ich leider nicht. Was macht Lynch für Musik?

Genau die Musik, die man sich zu ihm vorstellt: Sehr atmosphärische, dunkle, archaische, sehr amerikanische, im Blues verwurzelte, wenn auch zumeist elektronisch generierte Songs. Filmmusik eigentlich, was ich super finde. Ein Lied sollte einen Film im Kopf auslösen ... Seine Stimme ist hoch und nasal und indirekt - zumeist in Effekten eingebettet. Sehr schön.

DUM: Die Straight Story passt ja auch ganz gut zu deinem Helden Leopold Gassner. Schon mal Rasenmähtraktor gefahren? Bzw. wie hältst du's mit der Fortbewegung?

Ja, der alte, einsame Mann ist grundsätzlich eine interessante Figur ... Bin noch nie Traktor gefahren - nur mitgefahren; ich hab keinen Führerschein, also fahre ich U-Bahn oder Zug. Fliegen mag ich nicht so, mach ich nur, wenn's sein muss. Ich reise grundsätzlich nicht sehr gern, bin ein Anti-Urlauber, Fernweh kenne ich nicht. Wieder zum Leidwesen meiner Familie ... wahrscheinlich bin ich schwieriger, als ich denke ...

DUM: Und zum Thema Entschleunigung: Flaschen-, Dosen- oder Fassbier?

Flaschenbier. Aber Entschleunigung? Ich weiß nicht ... Saufen verbinde ich eher mit Stress ... Im Moment läuft bei uns Breaking Bad. Alle sind zu Serien-Junkies geworden, oder? Aber manche sind einfach so gut! Ob die aber entschleunigen, weiß ich jetzt wieder nicht ... Ich denke, zum Entschleunigen schlafe ich einfach.

DUM: Das ist ein schöner Schlusssatz. Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg!



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