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HINTERGRUNDMUSIK HILFT BEIM BÜGELN, NICHT BEIM SCHREIBEN

Kathrin Kuna interviewt: Iris Hanika
Im Interview mit Kathrin Kuna beantwortet Iris Hanika Fragen zu ihrem neuen Roman "Tanzen auf Beton", in dem es "nicht um das schöne Leben geht", und was Psychoanalyse für sie und ihr Schreiben bedeutet.


Sie bezeichnen Ihren neuen Roman Tanzen auf Beton auf Ihrer Website als "wüstes Buch". Welches Ihrer letzten drei Bücher hat Ihnen nach Erscheinen am besten gefallen?
Bücher sind doch wie Kinder! Jedes hat seine Besonderheiten und man hat sie alle gleich lieb. Will sagen: Mir gefallen sie alle auch nach ihrem Erscheinen noch, jedes auf seine Weise.

Treffen sich zwei hatte ein deutliches Happyend. Wenngleich in allen drei Büchern der Fokus auf der weiblichen Protagonistin liegt, wird in Ihrem neuen Roman wie auch in Das Eigentliche weniger vom Miteinander erzählt. Ich meine das weniger auf den Inhalt bezogen, als viel mehr auf die Struktur. Wird der nächste Roman nur mehr von einer Person handeln oder sogar in Form eines Inneren Monologs verfasst sein?
In "Treffen sich zwei" liegt der Fokus auf beiden Protagonisten gleichermaßen, in "Das Eigentliche" liegt er deutlich auf dem männlichen Protagonisten! Wie der nächste Roman aussehen wird, weiß ich nicht. Ich habe wirklich keine Ahnung.

Haben Sie beim Fertigstellen eines Buches bereits konkrete Ideen für das nächste?
Nach dem Fertigstellen der letzten Bücher dachte ich bislang jedesmal, daß ich nun alles gesagt habe und nichts mehr folgen wird.

Wo schreiben Sie am liebsten?
An meinem Schreibtisch.

Ihren Büchern zufolge halten Sie das Scheitern von Beziehungen nicht für ein Phänomen, das es vermehrt seit der Nachkriegszeit gibt. Ist aber das Gar-Nicht-Erst-Zustandekommen einer Beziehung ein Zeichen unserer Zeit?
Wenn eine Beziehung sein soll, dann kommt sie auch zustande, und wenn sie scheitern soll, dann scheitert sie. Man ist heute nicht mehr aus finanziellen oder Gründen der allgemeinen Moral gezwungen, unangenehme Beziehungen aufrechtzuerhalten, das ist der Unterschied. Vielleicht ist es jetzt schwerer, vielleicht ist es aber auch leichter. Nix Genaues weiß man nicht, würde ich sagen.

Ich verstehe Ihre stark durch die Psychoanalyse geprägte Figurenkomposition so, dass Sie das grundlegende Problem ganz in der Un-/Möglichkeit der Verbindung zwischen zwei Menschen sehen. Verstehe ich Ihre "Liebestheorie" richtig?
Ich habe keine Liebestheorie. Und ich wüßte auch nicht, wie die Psychoanalyse eine Figurenkomposition prägen könnte. Die Psychoanalyse kann einem nur erklären, wie man zu einer bestimmten Objektwahl gekommen ist, aber das betrifft dann jeweils den Einzelfall. Ich habe von der Psychoanalyse gelernt, daß man das Begehren des Anderen begehrt. Wenn man das bedenkt, versteht man vieles.

In Ihrem neuen Buch Tanzen auf Beton gehen Sie hart mit den Besuchern des Berliner Clubs Berghain ins Gericht. Ich war noch nie da, stelle es mir aber wie in ihrem Buch vor und werde deshalb wohl auch noch etwas warten, bis ich mir das anschaue. Wie oft waren Sie selbst für Recherchen dort?
Ich finde nicht, daß ich mich über die Besucher des "Berghain" überhaupt geäußert hätte, und mit ihnen ins Gericht gehen wollte ich gewiß nicht. Ich habe überhaupt nichts gegen den Berghain! Ich war nur einmal dort, allerdings an einem Freitag, und da ist nur die Panoramabar geöffnet. Ich habe also eine ungefähre Vorstellung davon, wie es dort zugeht, und manchmal überlege ich auch, ob ich noch einmal hingehen soll, aber eigentlich ist mir diese Form des Freizeitvergnügens zu anstrengend; da werden die Sinne zu sehr gereizt, das halte ich nicht lange aus.

Die Entwicklung der Protagonistin zeigt lange das Leiden in einer unbekömmlichen Beziehung und auch mit sich selbst. Sie beschreiben die Emanzipation dieser Frau aus der Opferrolle, indem sie sich genau dem Moment stellt, in dem sie in der Tat ein Opfer eines sexuellen Übergriffs wurde. Nun wird nicht konkret beschrieben was passiert war. Wiederum die Frage: Ist dies mehr eine literarische Entscheidung oder aus analytischer Sicht die Tatsache, dass sich das eigentliche Geschehen durch das verursachte Trauma nur langsam oder möglicherweise auch nie in seiner Vollständigkeit zeigt?
Auf Seite 96 wird konkret beschrieben, was passiert ist. Auf Seite 87 steht, daß in der Analyse sehr oft darüber gesprochen wurde. Die Frau befindet sich in dieser Beziehung nicht in einer Opferposition, vielmehr lebt sie in dieser Beziehung ihre Neurose aus. Sie "stellt sich" nicht dem Moment, in dem die Traumatisierung geschah, vielmehr weiß sie ja längst, was geschehen ist. Sie ordnet jedoch dieses Ereignis nun anders ein, indem sie es in den Zusammenhang der sonstigen Education sentimentale (und Education féminine) stellt.
Was es allgemein mit Traumata auf sich hat, ob die sich vollständig zeigen oder nicht, weiß ich nicht, weil ich nicht viel von der psychoanalytischen Theorie weiß, sondern sie nur praktisch beschreiben kann.

Im Vergleich zum davor beschriebenen Hadern und Suchen, ist der Teil der Erkenntnis, also des Findens und der daraus resultierenden Konsequenzen ungleich kürzer. Wussten Sie von Anfang an, dass die Wende im Roman, also im Leben dieser Figur so passieren würde?
Nein, das wußte ich nicht. Dieser Teil ist viel kürzer, weil es in dem Buch ja nicht um das schöne Leben geht, sondern um die Auflösung der vorherigen unguten, nicht lebbaren Konstruktion. Am Ende gibt es eine neue; ob sich mit der leben läßt, wird sich weisen.

Gegen Ende des Buches liest man den Satz "Vieles, das schön sein könnte, ist es nicht, weil es mit Ausrichtung auf ein Ergebnis betrieben wird." Sie gehen dann näher auf Sport und Sex in Bezug auf dieses Statement ein. Sehen sie das Problem der Instrumentalisierung auch im Bereich der Liebe? Wird Liebe in unserer gegenwärtigen Gesellschaft einerseits nachwievor durch die Ehe institutionalisiert und pragmatisch gemacht? Führt andererseits das zuweilen verzerrte Bild der "bedingungslosen Liebe" zu einer "Verharmlosung" oder Verflachung der romantischen Liebe?
So allgemein will ich mich nicht über die Liebe äußern.

Denken Sie, dass Literatur je von schönen, harmonischen, bekömmlichen Liebesbeziehungen handeln wird? Oder würden diese Bücher als langweilig empfunden und nicht gelesen werden?
Kommt doch ganz auf den Autor an! In "Anna Karenina" zum Beispiel wird eine schöne, harmonische usw. Liebesbeziehung beschrieben, im Kontrast zu einer ganz anderen - und das ist kein langweiliges Buch.

Ist die Liebe Ihrer Protagonistin zu Russland nicht auch Kompensation?
Vielleicht, aber das wäre nicht schlimm. So viel ist Kompensation! Das Erstaunliche an der Liebe zu Rußland ist, daß sich die Protagonistin überhaupt in ein Land verliebt, statt immer nur in irgendwelche Kerle. Wie sie sich ja auch in Heavy Metal und das ganze Drumherum verliebt, also in einen Lebensstil. Das ist in beiden Fällen reine Liebe und tatsächlich ein gewaltiger Fortschritt, also seine Liebe nicht auf eine einzelne Person zu richten, sondern sie zu verströmen.
In dem Buch steht ja auch, daß Lieben interessanter ist als Geliebtwerden, insofern ist es eigentlich logisch, daß man dann auch etwas lieben kann, das gar nicht in der Lage ist zurückzulieben - ein Land, eine Subkultur -, und wäre ein Vorstoß hin zum tatsächlichen Lieben. (Vielleicht beantwortet das auch die Frage zur Liebe.)

Am Ende des Romans, ging es mir erst ein bißchen wie Ihrer Protagonistin. Ich fühlte mich ein bißchen verloren. Auf den letzten Seiten, lernen wir sie als eine mäandernde, eher unwillkürliche Person kennen. Ich schwankte zwischen einem Gefühl von neu gewonnener Freiheit, die zuweilen ja auch verwirren kann, und zaghafter, unsicherer Neuorientierung. Am Ende dachte ich, dass eben viel verstanden und erkannt worden war, dass nun die Reise aber wieder neu beginnt. Wie legen Sie das Ende Ihres Buches aus?
Eben so. Nur würde ich nicht sagen, es beginne eine neue Reise, sondern, daß die Reise immer weitergeht.

Ich verstehe den Untertitel von Tanzen auf Beton, nämlich "Weiterer Bericht von der unendlichen Analyse" auch ironisch. Wie gehen Sie mit der Spannung zwischen psychoanalytischem Wissen und literarischem Schreiben um? In Treffen sich zwei war durch unterschiedliche Textgattungen auch noch sehr deutlich klar gemacht, dass dies nicht "nur" eine Analyse oder eine weitere Erzählung einer Liebesgeschichte ist, sondern ein literarisches Werk. Ihre Bücher sind keine Selbsthilfeliteratur, sondern literarische Texte. Kennen Sie dieses Schreiben von anderen Autorinnen und Autoren?
"Weiterer Bericht von der unendlichen Analyse" verstehe ich als Gattungsbezeichnung, und ich habe sie eigentlich nicht ironisch gemeint; aber sie haben Recht, man könnte sie so verstehen.
Inwiefern ich so schreibe wie andere, ist eine Frage für Literaturwissenschaftler oder -kritiker, nicht für mich. Ich würde sagen, niemand schreibt so wie ich, und genau dasselbe würde ihnen jeder andere Autor auch sagen.

In Tanzen auf Beton spielt die Musik eine große Rolle. Läuft bei Ihnen manchmal Musik im Hintergrund, wenn Sie schreiben?
Nein. Hintergrundmusik hilft beim Bügeln, nicht beim Schreiben.

Nach Jahren bei Suhrkamp erschienen Ihre letzten drei Bücher (auch Ihre erfolgreichsten) im Droschl Verlag in Graz. Gelesen und rezepiert werden Sie aber nach wie vor mehr in Deutschland. Wie fühlt sich das an? Spielt das überhaupt eine Rolle für Sie?
Ob dieses Buch erfolgreich sein wird, muß sich zeigen. Es ist ja gerade erst erschienen. Wo der Verlag seinen Sitz hat, spielt für mich keine Rolle. Ich bin nicht zu Droschl gegangen, weil ich Österreich hätte erobern wollen, sondern weil es der beste Verlag für mich ist. Wegen des Verlags war ich nun auch schon mehrere Male in Graz, wo es mir sehr gut gefällt und wohin ich sonst womöglich nie gekommen wäre. Dabei bin ich gerne in Graz, es ist jedesmal eine große Freude.

Vielen Dank für das Interview!



BESCHREIBUNG DES EINST GELIEBTEN

I

Das Glück kam und blieb.
Es nährte sich einzig und allein aus der Existenz des seinerzeit Geliebten, das heißt, nicht aus seiner bloßen Existenz natürlich, sondern daraus, daß er in meinem Leben war, daß er zu meiner Welt gehörte.
Ich sah ihn nicht oft, wir hatten ein heimliches Verhältnis.
Wir haben dann immer miteinander gevögelt, obwohl wir das eigentlich gar nicht können, also nicht miteinander.
Wir haben wenig miteinander geredet, denn das können wir nun wirklich nicht, und das war viel klarer als die körperliche Inkompatibilität. Darum beschränkten sich unsere Gespräche auf Informationsaustausch, wobei wir uns an seine Redeform hielten. Ich rede normalerweise ganz anders. Als ich ihm das einmal sagte, sagte er, es sei umgekehrt, wir würden miteinander immer so reden, wie ich rede. Unsere Ausgangssprechweisen lagen so weit voneinander entfernt, daß sie nicht zu verbinden waren; wir hätten einen Ozean überbrücken müssen. Er erzählte mir viel, ich erzählte ihm wenig. Wenn ich ihm etwas erzählte, dann in extrem kompakter Form. Er hörte mir sowieso nur aus Höflichkeit zu, um die Zeit herumzubringen, bis er seinen Schwanz in mich hineinsteckte. Zum Glück kann ich das sehr gut, Informationen in die kompaktest mögliche Form verpacken. (Sonst hätte es mein Glück gar nicht gegeben.) Nur darum konnte ich ihm überhaupt etwas erzählen, denn ich dachte immer, ich müsse mich damit beeilen.

Länger als zwei Stunden halten wir uns nicht aus. Alle Begegnungen, die länger als zwei Stunden dauerten, waren am Ende fürchterlich.

Er lebt in einer ganz anderen Welt als ich.
Er hat einen schönen Beruf und geht ganz auf in ihm. Sein Beruf ist, was ihn wirklich glücklich macht. Es ist ein Beruf, in dem er sich an die Vorschriften halten muß.
Mein Beruf ist das Gegenteil. Ich bin dann am besten, wenn ich mich nicht an die Vorschriften halte, sondern sie entweder sachte ausdehne oder komplett ignoriere. Ich stehe immer am Rande der Vorschriften. Meine Aufgabe ist nicht, sie zu erfüllen, sondern ihre Grenzen auszuloten und diese gegebenenfalls zu überschreiten. Oder neue Vorschriften zu finden, die aber nur für mich gelten würden und darum keine wären. (Dieser Umgang mit den Vorschriften war nicht immer so, aber heute ist er so. Natürlich kann man meinen Beruf auch heute anders ausüben, als ich es tue; es ist eine seiner Eigenarten, daß jeder seinen eigenen Weg der Berufsausübung finden muß. Und "Berufsausübung" klingt nun auch falsch; es klingt, als wäre das so einfach. Richtiger ist: Jeder muß seinen eigenen Weg finden, mit diesem Beruf fertigzuwerden.)

Sein zweiter Beruf ist das Schmetterlingssammeln. Er besitzt etwa hunderttausend aufgespießte Schmetterlinge, Hekatomben toter Tiere, vor allem Nachtfalter. Zugleich weiß er alles über lebendige Tiere, über alle Tiere, nicht nur Schmetterlinge, und kann auch über jede Region der Welt sofort Auskunft geben, was deren natürliche Beschaffenheit und die dortigen Schmetterlingspopulationen angeht, wie er überhaupt ein biologisches Weltbild hat und meine Lust stets daran glaubte feststellen zu können, ob ich Minnesymptome zeigte oder nicht.
Ich dagegen weiß wenig über Biologie und über Schmetterlinge schon gleich gar nichts.

What I do know is that I love you,
And I know that if you love me too -
What a wonderful world this would be!

Vor allem sammle ich nichts. Ich kategorisiere nichts und entwerfe keine Ordnungssysteme. Ich interessiere mich nicht für tote Dinge, sondern studiere lebendige.
Ihn zum Beispiel.
Als ich Edith erzählte, daß er schon ganz zutraulich geworden sei, sagte sie, ich würde reden wie eine Zoologin. Und das war ich ja auch.

Manchmal sah er so wild aus wie direkt aus der Steppe importiert. Dann war er mir ein sehr fremdes und sehr kostbares Tier. Er ist der intelligenteste Mensch, den ich kenne, und zugleich der einzige, der sich weigert, seine Intelligenz auch auf andere Dinge als seine Arbeit, Schmetterlinge, das Aufspüren von Sonderangeboten und das Auswendiglernen der Gegebenheiten der Natur anzuwenden. Ich finde es zum Beispiel wichtig, seine Intelligenz auf die Bedingungen des Umgangs miteinander zu richten; das tut er aber nicht, ganz und gar nicht. Darum dachte ich manchmal, daß er doch blöd sei, nicht dumm, sondern blöd. Eine Zeitlang hielt ich ihn für sozial schwerstbehindert, dann dachte ich, daß er womöglich eine milde Form von Autismus habe, das Asperger-Syndrom, denn es macht ihn unruhig, wenn vom Plan abgewichen wird, und er hat, wenn es um seinen Beruf oder Schmetterlinge geht, keinen Hauch von Humor. Sonst fallen ihm aber schon oft lustige Sachen ein. Am Ende dachte ich, daß er einfach merkwürdig sei. Das fand ich sehr attraktiv.
Er ist ein merkwürdiger Mensch, allein und einzig.
Er ist einzig und womöglich auch so einsam, wie er mir immer erschien. (Es ist ein Zeichen der Verliebtheit, den geliebten Menschen für einsam zu halten. Das habe ich bei Walter Benjamin gelernt.)

Weil es in nun meiner Welt genug Leute gibt, mit denen ich reden kann, fand ich es nicht schlimm, daß ich mit ihm, meinem Geliebten, nicht reden konnte.
Das heißt, ich habe nie ernsthaft darüber nachgedacht.
Es dauerte über zwei Jahre, bis ich dachte, daß unser Verhältnis wirklich stattfinde, bis ich das Gefühl hatte, daß er sicher zu meinem Leben gehöre. Da war ich dann wirklich glücklich. Und erst ganz am Ende begriff ich, daß dieses Glücksgefühl daher rührte, daß es mich, wenn ich mit ihm zusammen war, gar nicht gab. In seiner Gegenwart existierte ich nicht.


II

Der einst Geliebte ist zehn Jahre älter als ich, erschien mir aber oft wie ein ganz junger Mann. Er hat etwas Schlaksiges, und er zieht sich an wie ein Student. Einmal saß er in seinen Lederhosen und seinem grauen Sweatshirt an meinem Küchentisch und sah aus, als ginge er gleich zu seiner Foucault-Arbeitsgruppe.
Seine überlangen Beine standen an der einen Seite des Tisches schräg in den Raum hinein, und über dem Tisch ragte sein Oberkörper schräg in die andere Richtung hinaus. Das gefiel mir gut, denn es paßte zu dem Sweatshirt, das ich, wie die Lederhosen, ansonsten ziemlich unmöglich fand.

Er war jung, als Led Zeppelin gerade besonders berühmt waren. Als Whole Lotta Love herauskam, war er siebzehn Jahre alt, und er kam mir vor wie imprägniert von dieser Zeit, als er siebzehn Jahre alt war. Every inch of my love.

Ich war noch jünger als siebzehn, als ich Led Zeppelin zum ersten Mal hörte, die zu jener Zeit schon nicht mehr ganz aktuell waren, aber ich lebte ja auf dem Land. Jedenfalls fühlte ich mich immer sehr jung mit dem einst Geliebten. Manchmal dachte ich an ihn wie an einen aus der zwölften Klasse, den ich aus der neunten Klasse heraus anhimmle. Und weil man denen aus der zwölften Klasse so selten begegnet (höchstens auf dem Pausenhof, aber meistens hocken sie im SMV-Zimmer und rauchen), ist es fast zuviel des Glücks, wenn so einer plötzlich in der eigenen Küche sitzt. Und dann auch noch wirklich wegen einem selbst gekommen ist und nicht aus irgendeinem anderen Grund! Und dann da sitzt, als gehöre er da hin! Das sprengt schier die Vorstellungskraft. Weswegen es mich jedesmal wieder überraschte und in höchste Aufregung versetzte, wenn er tatsächlich zur Tür hereinkam, er selbst, der alle meine Gedanken tränkte, der immer bei mir war, in dem ich lebte, er. Mein Liebster.

Und als wäre ich in der neunten Klasse, er aber in der zwölften, fand ich ihn unglaublich toll und konnte überhaupt nicht damit aufhören, ihn toll zu finden, obwohl ich durchaus bemerkte, daß ich gar nichts mit ihm anfangen konnte, wenn wir zusammen waren, außer, ihn toll zu finden natürlich. Außer, ihn zu lieben. Was ich mir halt so unter Liebe vorstellte, "ihr müßtet ihn nur mal mit meinen Augen seh'n" und so.

Auf diese Weise holte ich meine Pubertät nach.


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