SPANNUNG, BEZAHLTE DRINKS, UNBEZAHLTER SEX - UND ALKOHOL SATT!

Markus Köhle interviewt: Andreas Plammer
Andreas Plammer hat es getan. Er hat einen Kriminalroman geschrieben. "Fauler Zauber" heißt der 400 Seiten Ziegel und der Milena Verlag sagt :"Der beste und amüsanteste Wiener Rotlichtmilieu-Krimi seit der Erfindung des Nachtclubs." Markus Köhle ist auch dieser Meinung und hat den Josefstädter im Café Hummel zum Interview getroffen.

DUM: Dienstag, 23. August 2011, einer der heißesten Tage des Jahres, 35° Celsius im Schatten der Hummel-Sonnenschirme. Ein heißer Tag, ein heißes Buch, ein heißes Cover. "Fauler Zauber" hat ein Softtouch-Cover, das gibt haptisch was her und passt insofern ganz gut zum Thema dieser Nummer: Plüsch, von Couch bis Kitsch. Dein Held heißt Harald. Wie ist Haralds Wohnzimmer eingerichtet? Hat er eine Couch, hat er ein Faible für Kitsch? Hat er überhaupt ein Wohnzimmer?
Harald hat überhaupt keine eigene Wohnung, er ist selber nur ein verlassenes Möbelstück in der Wohnung von der Maria, einer Wohnung, deren Einrichtung er bewusst noch gar nie wahrgenommen hat, geschweige denn, dass er was daran ändern würde. Und die Maria ist seine Ex, die er nicht vergessen kann, obwohl das schon ein Zeiterl her ist.

DUM: Entspricht das seinem Wesen bzw. was sind die Wesensmerkmale Haralds?
Harald lässt sich treiben, ist der Spielball der anderen, lebt so, wie die anderen wollen. Entscheidungen trifft er eher nicht - er bewegt sich im Kreis und landet zum Schluss dann eben in der Wohnung einer anderen Frau. Also alles wie gehabt.

DUM: Apropos Frauen: Nochmal zurück auf die Couch. Wie ist es um Haralds Verhältnis zu Frauen bestellt?
Einerseits ist Harald immer auf der Suche nach der Frau, andererseits legt er sich ungern fest, das ist der große Widerspruch in ihm. Sobald es ernst wird, ist er der erste, der weg ist. In diesem Widerspruch bewegt er sich.

DUM: Haralds Charakter wird auch treffend sprachlich umgesetzt. Was sind die sprachlichen Eigenheiten des Romans?
Typisch ist die schleppende Erzählweise, die wienerische Erzählform, die ständigen Wiederholungen, der Kreislauf eben. Ja, Harald ist nicht der schnellste Denker und das soll auch zum Ausdruck kommen.

DUM: Krimis sind ja sehr plotlastig. Wie gehst du technisch beim Schreiben vor? Hast du Hilfsmittel? Software? Zeichnest du Pläne?
Tagsüber schreibe ich und abends setze ich mich ins Beisel und schau was passiert, ich schnappe Redewendungen auf und bau' sie ein. Ich hab schon auch ein Rohkonzept und mach mir einen Zeitraster auf ein Blatt. Ich skizziere auch Szenen vor, mache sonst aber eigentlich alles im Kopf.

DUM: Guter Kopf. Bravo. Woher kommt denn Haralds Rotlichtaffinität?
Harald liebt die unverbindliche Atmosphäre. Dieses "Für eine Nacht und dann schau ma mal."

DUM: Und was macht Harald zu einem besseren Detektiv/Polizist - was hat er für Fähigkeiten?
Seine Qualitäten sind: Sehnsucht, Langeweile und Insiderwissen.

DUM: Du betreust seit Jahren die wöchentliche Lesungsreihe "ALSO" (Anno Literatur Sonntag), bist Redaktionsmitglied der Literaturzeitschrift "... & Radieschen", Mitglied der Lesebühne "noch dichter" und aktiver Poetry Slammer. Alles eher krimiferne Aktivitäten. Was ist dein Bezug zur Kriminalliteratur?
Ich wollte immer schon einen Krimi schreiben und lese auch gerne Krimis, entstanden ist das erste Kapitel aber eher spontan für eine Lesung im CI. Da hab ich noch was gebraucht und dann das 1. Kapitel geschrieben, worauf die Leute meinten, dass müsse weiter gehen und so hab ich am nächsten Tag das 2. Kapitel geschrieben und so weiter. Zweieinhalb Jahre später kam es dann mehr oder weniger vor dem CI zur Buchübergabe.

DUM: Gibt's krimitechnisch Vorbilder?
Jim Thompson kann vielleicht als Vorbild genannt werden, das ist ein amerikanischer Autor der 1950er 60er Jahre, meine Figurenzeichnung ist der seinen in manchen Aspekten ziemlich ähnlich. Generell Amis der 1930er-50er Jahre und von den Österreichern: Haas, Slupetzky, Steinfest. Außerdem sind das ja alles keine reinen Krimis - da wird das soziale Milieu geschildert, Freunderlwirtschaft angekreidet, da werden Klischees verbraten und Szenen ad absurdum geführt. Wenn man so will, kann man sagen, ich betreibe eine konsequente Überzeichnung des Genres. Übrigens: Genau die Sachen, die LeserInnen als völlig absurd abtun werden, sind meist die, die wirklich auf Tatsachen beruhen.

DUM: Der nächste Harald-Roman ist schon in Arbeit - in welchem Milieu wird er spielen?
Harald macht den Leibwächter für einen Nachtwächter. Es geht also um einen anderen Aspekt des Nachtlebens. Als Person taucht nur Harald wieder auf.

DUM: Du arbeitest ja im Sozialministerium, kann man sich demnächst auch auf Einblicke ins Amtsleben bzw. über Beamtenfachsprache freuen?
Das nicht, aber Sicherheitsfirmen sind sehr hierarchisch strukturiert, gibt es unterschiedliche Anweisungen von Firma und Zentrale und mischt sich dann auch noch eine andere Behörde ein, dann ist das Behördentohuwabohu komplett.

DUM: Harald ist ein Meister der Sager, Sprüche und Weisheiten - was ist Haralds Motto und was deine aktuell liebste Thekenweisheit?
Haralds Motto im nächsten Buch lautet: Zuerst auffallen und dann umfallen. Und mir gefällt gerade folgender aufgeschnappter Spruch: Nur ein Schnaps hat einen Sinn - deshalb lasset uns schauen, dass wir unsere fünf Sinne möglichst schnell beisammen haben.

DUM: In diesem Sinne: Prost, vielen Dank und viel Erfolg mit dem "Faulen Zauber", nein, doch noch was. Nochmal zurück zu Maria und Harald (dem vergessenen Möbelstück) - was ist dein Lieblingsmöbelstück?
Der Barhocker.

Um 16Uhr28 kommt es zum hitzebedingten Abbruch des Interviews (Konsumation: 1 Eiskaffee, 1 kleiner Mokka, zwei große Gläser Wasser, mehr nicht.)



FAULER ZAUBER
(Romanauszug)

Man soll ja nix Schlechtes sagen über die Heimgegangenen. Aber die Nadine war einfach fetzendeppert, soviel muss man schon sagen dürfen, und das ist ja auch gar nix Schlechtes, sondern einfach nur die Wahrheit.

Dumm fickt gut, hat die Marlene immer gesagt, und da hat ihr der Harald auch gar nicht widersprechen können. Nach seinen eigenen Erfahrungen. Einerseits. Andererseits natürlich, hat er sich gedacht, das kann doch nicht sein. Wenn's auf der Welt so viel guten Sex geben würde wie Trotteln, das wär' ja wie im Himmel.

Bei Himmel ist ihm wieder die Nadine eingefallen, und weil er sich nicht sicher war, ob an dem blöden Spruch mit der Dummheit und dem guten Sex von der Marlene nicht vielleicht doch was dran gewesen ist, hat es ihm jetzt fast ein bisserl leidgetan, dass sich mit der Nadine nie was ergeben hat. Damals wäre er aber natürlich nicht einmal auf die Idee gekommen. Weil die Nadine nämlich wirklich fetzendeppert gewesen ist. Obwohl ihre Blödheit zumindest laut Marlene gar kein Nachteil gewesen wäre. Sondern sogar gut. Jedenfalls soweit es den Sex angeht.

Die Nadine hätte sich ihm auch wirklich oft genug angeboten. Der Harald ist aber nie darauf eingestiegen, die Nadine war halt einfach nicht sein Typ, und er hat sich's ja immer aussuchen können. Mit wem. Und mit wem nicht. Hat er sich vorgesagt.

Sogar wenn er die Zeit zurückdrehen könnte und die Nadine wieder lebendig wäre, würde er sich mit ihr auf nix einlassen. Das wäre ja noch schöner. Sowas hat er doch nicht notwendig. Hat er sich auch noch vorgesagt.

Da hätte er womöglich noch eine Nummer ziehen müssen, damit er auch einmal drankommt. Weil die Typen bei der Nadine nämlich geradezu angestellt gestanden sind. Und die Nadine selber ist auch ganz und gar nicht wählerisch gewesen. Eher im Gegenteil. Jeden Typen, den sie nur hat kriegen können, hat sie sich aufgegabelt. Nicht einmal nach Geld hat er ausschauen müssen.

Das hätte natürlich wieder für den Harald gesprochen. Aber der hat eben partout keine Lust auf die Warteschlange vor der Nadine ihrem Schlafzimmer gehabt. Und auf die Nadine selber auch nicht. War halt nicht sein Typ. Schluss. Aus. Basta.

Vielleicht hätte es sich der Harald mit der Zeit ja doch noch anders überlegt. Aber dann ist im Leben von der Nadine auf einmal der Jürgen aufgetaucht. Und damit war sowieso alles anders. Die Nadine ist nämlich beim Jürgen picken geblieben, so schnell hat der Harald gar nicht schauen können. Und von einem Tag auf den anderen beim Jürgen eingezogen. Damals hat ihr der Harald aber wirklich keine Träne nachgeweint.

Jetzt natürlich auch nicht. Obwohl sie dem Jürgen aus dem Fenster gefallen ist. Aus dem fünften Stock. Mit zwei Promille. Angeblich. Weil aus erster Hand hat der Harald ja gar nix gewusst.

Der Harald hat die Nadine nämlich schon ein paar Jahre, bevor sie dem Jürgen aus dem Fenster gefallen ist, aus den Augen verloren. Den Jürgen hat er gar nicht mehr kennen gelernt. War ihm aber eh lieber so. Weil er von den ganzen Typen, die bei der Nadine angestellt gestanden sind, bevor in ihrem Leben auf einmal der Jürgen aufgetaucht ist, sowieso schon mehr wie genug gehabt hat. Weil ihm die Nadine einen nach dem anderen hat vorführen müssen. Ob es ihn interessiert hat oder nicht. Das heißt, interessiert hat es ihn eigentlich überhaupt nie, aber das hat ihm auch nix geholfen. Da hat die Nadine nämlich ganz schön stur sein können.

Und so hat der Harald eben einen nach dem anderen kennen lernen müssen. Natürlich sind da auch ein paar feste Trotteln dabei gewesen. Eigentlich fast nur Trotteln. Dumm fickt gut, funktioniert nämlich auch in die andere Richtung.

Alles in allem hätte dem Harald also eigentlich komplett wurscht sein können, dass die Nadine dem Jürgen aus dem Fenster gefallen ist. War es aber nicht. Obwohl der Harald beim besten Willen nicht hätte sagen können, warum er sich jetzt auf einmal so für die Nadine interessiert. Mehr als damals, wie er sie praktisch jeden Tag gesehen hat. Und sie sich ihm auch oft angeboten hat.

Vielleicht weil die Marlene einmal zu ihm gesagt hat, dass er ein Trottel ist, wenn er sich so eine Gelegenheit wie mit der Nadine entgehen lässt. Weil nämlich jeder ein Trottel ist, der sich eine Gelegenheit entgehen lässt. Die Marlene hat's ja wissen müssen. Die war kein Trottel.

Aber der Harald hat trotzdem lieber mit der Marlene gefickt. Und nur mit der Marlene gefickt. Obwohl er eigentlich schon damals hätte wissen müssen, dass in der Konstellation mit der Marlene nur er selber der Trottel ist. Und das wieder, obwohl der Sex mit der Marlene schon gut war. Sehr gut sogar. So gut, dass er die Marlene mit ihren ganzen anderen Liebhabern geteilt hat. Und das sind nicht gerade wenige gewesen. Jedenfalls nach der Einschätzung vom Harald.

Dabei hat er gar nicht so genau wissen wollen, mit wem die Marlene sonst noch was gehabt hat. Das hat er sich eh ganz gut vorstellen können. Aber das hat er sich eben lieber nicht so genau vorgestellt. Da hat er nicht nur die Augen zugemacht. Sondern sich auch inwendig Scheuklappen zugelegt. Scheuklappen fürs Herz.

Glück und Zufriedenheit ist nix wie mangelnde Fantasie, hat er sich gedacht. Wer sich guten Sex nicht einmal vorstellen kann, dem geht er auch nicht ab. Leider hat er sich guten Sex schon vorstellen können, er hat ihn ja auch gehabt, ab und zu wenigstens. Aber immer nur mit der Marlene.

Darum hat er damals, wie die Marlene gesagt hat, dass man sich keine Gelegenheit entgehen lassen soll, auch gemeint, dass zu einer Gelegenheit aber schon gehört, dass sie auch einen Reiz hat. Seiner Meinung nach. Und die Nadine hat für den Harald halt wirklich gar keinen Reiz gehabt. Die hätte er sich höchstens schön saufen können. Das hat er aber doch nicht notwendig gehabt. Weil er es sich nämlich immer hat aussuchen können. Mit wem. Und mit wem nicht. Hat er sich zumindest eingebildet.

Später, wie die Marlene auch schon Geschichte gewesen ist, und der Harald es sich nicht mehr so einfach hat aussuchen können, hat er sich dann auf zig Gelegenheiten eingelassen, die noch viel weniger Reiz gehabt haben wie die Nadine. Vielleicht hat es ihm damals schon angefangen leidzutun, dass er nie was mit ihr gehabt hat. Jetzt, wo es dafür zu spät gewesen ist, natürlich noch viel mehr. Aber wenigstens hat er sich damit trösten können, dass dieses Gefühl bald wieder vorübergeht. Seiner Erfahrung nach.

So wie er als Kind, wenn er aus den Sommerferien nach Hause gekommen ist, in der ersten Nacht immer geweint hat. Weil er zwei Monate lang draußen am Bauernhof glücklich gewesen und Wien ihm plötzlich so fremd vorgekommen ist wie ein unbekannter Planet. Schon am nächsten Tag hat er sich in Wien aber wieder voll und ganz zu Hause gefühlt. So als ob er keinen einzigen Tag weggewesen wäre. Und an den Bauernhof hat er das ganze Jahr nicht mehr gedacht.

Und der Tod, natürlich nur der Tod von wem anderen, der ist halt auch ein bisserl wie Sommerferien, die vorbei sind. Da kann man vielleicht einen Abend lang traurig sein, aber dann macht man weiter so wie immer.

Hundertprozentig hat der Harald zwar nicht gewusst, ob die Nadine auf der Stelle tot gewesen ist, wie sie dem Jürgen aus dem Fenster gefallen ist oder ob sie vielleicht noch was gesagt hat. Aus erster Hand hat der Harald nämlich gar nix gewusst. Aber er hat es sich halt so vorgestellt. Kunststück, aus dem fünften Stock. Da wäre jeder gleich hin gewesen. Und die Nadine und berühmte letzte Worte, das hätte sowieso nicht zusammengepasst.

Dass der Harald sich das so und nicht anders vorgestellt hat, ist aber wiederum von der Maria gekommen. Die Maria hat ihre Wohnung zwar nur im dritten Stock gehabt, aber Altbau. Und das ist mindestens so hoch wie fünfter Stock bei den Neubauten in der Großfeldsiedlung, wo die Nadine dem Jürgen aus dem Fenster gefallen ist. Nicht dass die Maria irgendwem aus dem Fenster gefallen wäre.

Die Maria hat aber einmal mit anschauen müssen, wie eine Frau aus dem Fenster gesprungen ist. Direkt vor ihrer Wohnungstür. Aus dem Gangfenster. In den Lichthof. Die Männer springen nämlich meistens auf die Straße, aber die Frauen springen fast immer in den Lichthof. Darüber gibt es Statistiken. Auf der Gerichtsmedizin.

Die Maria hat sich später erinnert, dass sie die Frau schon ein paar Tage, bevor sie aus dem Fenster gesprungen ist, im Stiegenhaus gesehen hat. Zwei- oder dreimal sogar. Die Frau ist der Maria nämlich aufgefallen, weil sie fremd im Haus war. Aber sie hat sich gedacht, die geht halt irgendwen besuchen. Die Frau hat nach Schnaps gerochen, aber weil mindestens die Hälfte der Leute in dem Haus sowieso immer angesoffen war, hat die Maria sich gar nix dabei gedacht. Die Frau hat eigentlich richtig gut her gepasst. In das Säuferhaus.

Wie die Frau dann aus dem Gangfenster in den Lichthof gesprungen ist, ist die Maria gerade an ihrem Küchenfenster gestanden. Ganz ohne Grund. Weil zu sehen gibt's da ja nix. Normalerweise.

Das Küchenfenster von der Maria geht aber auch auf den Lichthof. Und wie sie ganz ohne Grund zum Gangfenster hinübergeschaut hat, ist die Frau am Fensterbrett gesessen. Die Füße schon draußen. Auch da kein Grund mehr. Oder jedenfalls ganz weit weg. Weil das war ja im dritten Stock. Der Maria ist es nachher so vorgekommen, als ob die Frau nur darauf gewartet hätte, dass sie zu ihr hinüberschaut. Weil wer weiß, wie lange die da schon gesessen ist. Aber erst wie die Maria zu ihr hinübergeschaut hat, ist sie gesprungen. Und natürlich auch gleich tot gewesen. Einen Abschiedsbrief oder sowas hat die Polizei bei ihr nicht gefunden. Nur eine leere Flasche Metaxa.


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