DIE RACHE DES ERZÄHLERS

Markus Köhle interviewt: Stefan Abermann
Stefan Abermanns Romandebüt "Hundestaffel" ist soeben im Skarabaeus-Verlag erschienen. Der erfolgreiche Poetry Slammer und Innsbrucker Lesebühnenautor ("Text ohne Reiter") ließ sich von Markus Köhle per Mail interviewen.

DUM: Die Protagonisten der Geschichte lassen sich vermutlich schwer mit LODEN in Verbindung bringen, doch den Vater von Hannes könnte ich mir gut mit einem Lodenjacket vorstellen. Hannes Verhältnis zur Niedertracht hingegen ist evident. Stellst du uns deine Helden bitte kurz vor?
Der Roman ist eigentlich eine Aktualisierung des Don-Juan-Mythos - angesiedelt in der Clubszene. In diesen Geschichten gibt es meist zwei Hauptfiguren: den Don-Juan, diesen großen Verführer, und daneben seinen Diener, wie z.B. Leporello in Mozarts Don Giovanni. Diesen Part nimmt bei mir der Ich-Erzähler Thomas ein, der im Nachhinein zu verstehen versucht, wie sich seine ganze Clique innerhalb einer Woche in ein Desaster hineinmanövrieren konnte. Drahtzieher der Geschehnisse ist wiederum Hannes, sozusagen der Chef der Gruppe. Ihn kann man aber wohl doch auch mit dem Thema Loden in Verbindung bringen: Er ist im Kern nämlich auch ein ewiger Jäger. Er verfolgt die Frauen, das ewige Leben und sucht ein ewig wiederholbares Glück. Dabei geht er absolut kompromisslos vor und missbraucht dafür selbst seine Freunde. Insofern eben ein typischer Don Juan.

DUM: Es geht um die Rekonstruktion (oder doch Retusche?) der Ereignisse einer Osterwoche. Welche Bedeutung kommt dabei dem zugrunde liegenden katholischen Brimborium zu?
Das "Brimborium" dient vielleicht vor allem der Illustrierung von Hannes' Allmachtsphantasien. Er fühlt sich ja als junger Gott und ist verärgert, wenn die Realität dabei nicht mitspielt. In diesem Furor übersieht er auch, dass seine eigene Geschichte schon einmal vorgezeichnet wurde. Ich würde aber nicht sagen, dass das nur biblische Verweise sind. Da krachen ja diverse Mythen, Theaterstücke und andere Romane zusammen. Da kollidiert der katholische Osterritus mit griechischen Mythen und einem Soundtrack von The Prodigy. Das sind allesamt Bausteine in einem Setzkasten, jeweils mit reicher Tradition ausgestattet. Und genau das fand ich beim Schreiben sehr interessant: Eine Handlung in der Club-Szene anzusiedeln, die aber ständig mit diesen althergebrachten Geschichten illustriert wird. Und dann ist da natürlich auch die Tradition des Erzählens selbst, die stark mit diesen alten Geschichten verbunden ist. Du hast die Retusche ja angesprochen: Dieser Erzähler flunkert vielleicht manchmal. Er baut sich auch seinen eigenen Mythos, er verformt die Figuren, erhält Macht über sie. Das ist bis zu einem gewissen Grad die Rache des Erzählers.

DUM: Der Ich-Erzähler verteilt Erinnerungen, kleidet Figuren aus und hält Erinnerungen für Anna auf ("In meiner Erinnerung bleibst du immer die Einzige."). Doch auch eine Liebesgeschichte?
Würde ich nicht sagen. Diese unerfüllte Liebesgeschichte ist eher typisch für die Diener des Don-Juan. Das sind ja eigentlich lebende Tragödien: Ständig knapp am Geschehen, dennoch immer einen Schritt zurück und ohne wirkliche Möglichkeit zur Einflussnahme. Sie bewegen sich neben einem dauergeilen Alpha-Männchen und können selbst nur die Brösel aufsammeln, die er ihnen übrig lässt. Und wenn der Don Juan schließlich zur Hölle fährt, bleibt der Diener auch noch mittellos zurück. Das hat mich z.B. an Molières Stück immer fasziniert: Bei ihm hat der Diener das letzte Wort - und was hat er zu sagen? Er beschwert sich darüber, dass er von einem Toten keinen Lohn mehr bekommen kann. "Mes gages, mes gages ...", raunzt er, während der Vorhang fällt. Damit kommen wir zurück zur Rache des Erzählers, die wir vorher angesprochen haben: Mein Erzähler weicht von dieser Tradition ab und es hat mir Spaß gemacht, dass sich der Diener in meinem Roman am Ende emanzipiert, dass er aus dem Schatten des Don Juan heraustritt und das Heft in die Hand nimmt, um einige Seiten selbst zu schreiben.

DUM: Ein teuflischer Plan, in dem eine bestimmte Drogenmischung die wesentliche Rolle spielt, ist der Höhepunkt der Geschichte. Die Frage nach der Recherche drängt sich natürlich auf. Selbststudium oder Verlassen auf Quellen?
Meine Tante wollte als erstes wissen, ob ich das denn alles selbst erlebt hätte - eine interessante Frage bei einem Buch, in dem fast in jedem Kapitel eine Straftat vorkommt, für die man ins Gefängnis wandert. Ich habe also doch auf das Selbststudium verzichtet. Auch ist die Konzeption des Romans so, dass Realismus irgendwann keine Rolle mehr spielt.

DUM: "Ich neige zum Pathos.", räumt der Erzähler ein. Wozu neigst du?
Am Ehesten zum Spiel. Selbst beim Schreiben. Ich probiere ja gerne Stile aus, Textkonzepte etc.

DUM: Thematisch machst du ein großes Fass auf. Es geht u. a. um das Erwachsenwerden, das Mitläufer-Täter-Verhältnis, um Machtausübung und Manipulation von Menschen. Hab ich was Wesentliches vergessen?
Natürlich Himmel, Hölle, Sex und was noch dazugehört ... Für mich stand beim Schreiben hauptsächlich das Spiel mit dem Erzählen selbst im Mittelpunkt. Alles, was du angeführt hast, ist natürlich Thema, doch es sind auch Motive, die den Erzähler zum Verfassen seiner Geschichte drängen. Und je weiter er sich an diesen Problemen abarbeitet, desto mehr füllt er selbst die Machtposition aus. Er wird also auch durch das Erzählen erwachsen.

DUM: Bei der Lektüre von "Hundestaffel" musste ich an "Unter Null" von Bret Easten Ellis denken. Ein Vorbild, bzw. wer sind deine Vorbilder?
Danke für das Kompliment. Ellis bewundere ich sehr, auch wenn ich "Unter Null" nicht als Vorbild für den Roman bezeichnen würde. Aber wahrscheinlich hat ohnehin jeder Text, den man schreibt, andere Vorbilder. Bei "Hundestaffel" kommt sehr vieles von Molière. Aber wenn ich jetzt eine Liste mit meinen 3 Lieblingsautoren erstellen müsste, würde ich sagen: Michel Houellebecq, Joseph Roth und Daniel Kehlmann.

DUM: Dein Erzähler sehnt sich nach einem Ort ohne Vergangenheit - nur Zukunft. Was steht bei dir so an?
In Bezug auf "Hundestaffel" eine interessante Frage. Der Text ist über Jahre gewachsen und entstanden, mittlerweile würde ich so etwas wahrscheinlich nicht mehr schreiben. Und mittlerweile wünsche ich mir vor allem einen anderen Zugang zu meinen Figuren. "Hundestaffel" ist voll von negativen Helden. Bei Houellebecq und Roth bewundere ich immer ihre Liebe zu ihren Figuren. Das habe ich mir auch für zukünftige Texte vorgenommen.

DUM: Blackout, Filmriss, Mattscheibe. Den Protagonisten in deinem Roman ist ausgelassenes Feiern mit all seinen Konsequenzen nicht fremd, wie hältst du es damit?
Heute weniger als früher. Reicht das als Antwort?

DUM: Ach ja, die Hundestaffel besteht aus zwei Rottweilern. Deine Lieblingshundeart?
Die Katze.


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