"Im Schein der Pfütze" war eines der "Bücher des Jahres" für DUM-Redakteur Wolfgang Kühn. Noch dazu handelte es sich um einen Debütroman. Was also lag näher, als sich die Mailadresse des Autors, den er vor ein paar Monaten schon mal persönlich kennen lernen durfte, zu besorgen und um ein Interview anzufragen. Und erfreulicherweise hat Jimmy Brainless sofort zugesagt.
Wie bist auf die Idee gekommen, dieses Buch zu schreiben?
Ich habe während meiner Taiwan-Aufenthalte begonnen, vor allem mit einem meiner Onkel über sein Leben zu sprechen. Da waren teilweise so absurde und lustige Geschichten dabei, dass ich sicherheitshalber mal Notizen gemacht habe. Ausschlaggebend waren dann aber Gespräche mit anderen Familienmitgliedern, die dieselben Geschichten ganz anders erzählt haben. Diese Inkohärenz fand ich total spannend. Auch die Geschichte Taiwans wird - je nach politischer Fraktion - sehr unterschiedlich dargestellt. Dieses Spannungsfeld der unterschiedlichen Perspektiven hat mich motiviert, eine Geschichte daraus zu machen.
Ich habe deinen Debütroman mit großem Interesse und ebensolcher Begeisterung gelesen. Für mich trifft da viel selbst Erlebtes auf Fiktion. Wie würdest du das Verhältnis "beziffern"?
Bedeutet "selbst Erlebtes", dass ich es wirklich selbst erlebt habe? Falls ja, dann würde ich diesen Teil auf höchstens 20% schätzen. Wenn damit gemeint ist, dass andere Menschen Dinge erlebt und mir weitererzählt haben bzw. ich es dann weitergesponnen habe, dann wahrscheinlich 80%.
Wie schwierig war es für Dein doch ungewöhnliches Buch einen Verlag zu finden?
Im Nachhinein gesehen, war es nicht so schwierig wie befürchtet. Ich habe zuerst versucht, mein Buch bei einer Agentur unterzubringen, bin da aber ziemlich abgeblitzt. September 2023 habe ich dann einigen Verlagen mein Buch angeboten - drei Verlage haben sich daraufhin gemeldet. Diese drei Verlage habe ich bei der Buch Wien 23 besucht und beim Müry Salzmann Verlag war sehr schnell klar, dass wir ähnliche Vorstellungen haben, wie eine Veröffentlichung aussehen könnte. Bevor ich zugesagt habe, habe ich innerhalb kürzester Zeit einige ihrer Buch-Veröffentlichungen gelesen und war ziemlich begeistert: Die wissen ganz genau, was sie machen.
Du bist vermutlich in deinem Leben schon des Öfteren in Taiwan gewesen. Wie wirst du als quasi "Auslands-Taiwanese" in deiner "Zweiten Heimat" aufgenommen?
Da ich nicht unbedingt taiwanisch aussehe, werde ich oft als Tourist eingestuft. Die Einheimischen sind dann meist recht überrascht, wenn ich mit ihnen Mandarin spreche - das ist ein guter Eisbrecher. Aber auch ohne ortsübliche Sprachkenntnisse wird man meist sehr warmherzig und entgegenkommend empfangen.
Wie würdest du einem Durchschnittsösterreicher die auffälligsten Wesensunterschiede zwischen Chinesen und Taiwanesen erklären?
Mir ist aufgefallen, dass man in Taiwan ziemlich entspannt U-Bahn fahren kann: die Menschen sind sehr diszipliniert, lassen alle zuerst aussteigen, bevor sie selbst einsteigen etc. In China war das etwas hektischer und mit wesentlich mehr Ellbogen und Gedränge verbunden. Man hat förmlich gespürt, dass die Menschen Angst haben, den Kürzeren zu ziehen. Was man angesichts der Menschenmengen auch total nachvollziehen kann.
Dein Protagonist, der Ich-Erzähler Simon, hat eine ganz eigene Marotte - er steht gerne über Pfützen gebeugt und versucht, aus der Reflexion des Wassers schlau zu werden.
Hat er sich das von dir abgeschaut oder wie ist Simon darauf gekommen?
Simon wird ja von starker Schlaflosigkeit geplagt. Irgendwann dürfte er begonnen haben, nachts die Stadt zu durchkämmen und ist dann bei den Pfützen hängengeblieben. Ich kann dazu nur sagen, dass ich mich mal testweise über Pfützen gebeugt habe, um sein seltsames Hobby nachzuvollziehen - mir gegenüber hat sich das Wasser aber keinesfalls offenbart. Simon hat wohl was, was ich nicht habe ...
Du machst Dich an manchen Stellen im Buch über den Aberglauben der Taiwanesen lustig. Gibt es auch in Österreich Beispiele für Aberglauben, die es wert wären, in die Literatur einzugehen?
Ja, sicherlich. Aber ich habe das Gefühl, dass es in Österreich nur wenig Aberglauben gibt, der das Leben aktiv komplizierter macht. In Taiwan hingegen ist es tatsächlich öfters vorgekommen, dass ich mich gewundert habe, warum eine Person super umständlich dies und jenes macht und mir Einheimische erklären mussten, dass das abergläubische Beweggründe hat. Mehr über den taiwanischen Aberglauben zu erfahren, hat mir sehr geholfen, mehr Verständnis für die Menschen und ihre Verhaltensmuster zu entwickeln.
Dein Roman ist ungemein witzig geschrieben und mit schönen Sprachspielen gespickt. Mir drängen sich Vergleiche zu Radek Knapp oder Jaroslav Rudiš auf. Wenn man die beiden Onkel deines Protagonisten, Hán-Jié und Hán-Chún, näher betrachtet, dann könnte man gut und gerne von einem "Schelmenroman" sprechen. Wie siehst du das?
Danke für das Kompliment - das freut mich besonders, weil ich literarisch mit vielen Schelmen aufgewachsen bin, die ich nach wie vor großartig finde. Die Geschichten der beiden Onkel haben tatsächlich sehr schelmische Elemente, dem würde ich mich anschließen - insgesamt würde ich das Buch (inklusive dem noch folgenden zweiten Teil) aber eher als Entwicklungsroman bezeichnen.
Deine Bio verrät, dass Du 2017 und 2019 mit Elias Hirschl durch Asien gereist bist und ihr über 30 Auftritte gespielt habt. Was waren das für Auftritte und gibt es eine besondere Anekdote?
Unser Programm bestand aus Poetry Slam Texten von Elias und Liedern von mir. Weil wir beide unsere Texte auf Deutsch verfassen, haben wir vor allem Auftritte in deutschsprachigen Institutionen gespielt: Germanistik-Abteilungen, Deutsche Schulen, österreichische Bibliotheken und Kulturforen, manchmal sogar deutschsprachige Stammtische. Wir haben währenddessen einen Blog beim Standard geschrieben und ein Redakteur hat dann vorm Veröffentlichen noch recht fragwürdige Überschriften zu unseren Texten gebastelt. Meine Lieblingsüberschrift war: "Von Vibratoren und Menschen, die sich beim Essen filmen" ...
Wann dürfen wir mit dem bereits avisierten zweiten Teil, der noch weiter in die Familiengeschichte zurückgeht, rechnen?
Fix ist nix - aber es deutet einiges auf 2025 hin ...
Und last but not least, weil das unsere Leserinnen und Leser bestimmt auch interessiert - was für eine Bewandtnis hat es mit dem Namen "Jimmy Brainless"?
Vor allem in meiner Jugend wurde mir oft vorgeworfen, dass ich stets "unter meinen Möglichkeiten" geblieben bin. Mein 14-jähriges Ich hat den Namen "Jimmy Brainless" als gute Lösung empfunden, um die Erwartungshaltungen der anderen etwas nach unten zu schrauben.
Vielen Dank für das Interview und alles Gute!
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