©Zoe Goldstein
ASZENDENT NACKTSCHNECKE

Markus Köhle interviewt: Dominika Meindl
Dominika Meindl ist eine Seele von einem Menschen. Sie hat Herz für vier und Fäuste der Begeisterung für alle. Seit Jahren rehkitzt sie umsichtig durch die Literaturlandschaft, endlich ist sie ins Visier der medialen Jagdgesellschaft geraten. Mit dem Interviewer gehen die Vergleiche grad ein wenig durch. Denn er ist deklarierter Fan von Dominika Meindl, ihrer Bühnenfigur und ihres Romans "Selbe Stadt anderer Planet" (Picus 2024). Außerdem ist es – im Verlauf dieses Interviews, das sich über mehrere Tage zieht – konstant heiß (33 Grad plus)! Der Interviewer (Markus Köhle) ist also leicht hirnweich aber schwer euphorisch, weil Dominika Meindl auch eine außerordentliche Interviewpartnerin ist und wie nebenbei poetische Perlen in ihre Antworten einfädelt. Im Folgenden also alles über alpine Rastlosigkeit und inneralpine Bräuche, das Zischen der Haut beim Sprung in den Grundlsee, Knackwurstkranz-Belohnungen, den höheren Sinn von Gartenarbeit, Harscheisen auf 5200 Buchmeter, Schädeldecken von Gebirgsschweißhunden und die Restdisziplin von Labradoren.


Das Thema dieses DUMs ist "Regen. Von Aufregen bis Regenbogen." Fühlst du dich in diesem Thema gut aufgehoben?
Regen ist gut, und noch besser, seit ich für einen verwilderten Garten zuständig bin.

Wann hast du das letzte Mal unter einem Regenbogen getanzt (oder so)?
Ich habe noch nie unter einem Regenbogen getanzt, ein Skandal! Unter den letzten habe ich den Hund gescheucht, damit ein Bild entsteht, das den wenig reizvollen Zentralraum in ein mildes Licht stellt.

Was regt dich grad ur auf?
Aufregen: Es klingt ein wenig nach Hass-Edith-Klinger, aber gegenüber dem FPÖ-Lokalpolitiker, der vergangene Woche sechs Rehkitze totgemäht hat, hege ich bunte Gewaltfantasien. Dazu die konservativreaktionären Politiker (Gendern drängt sich nicht auf), die uns gegen die Wand fahren und in die Apokalypse reiten wollen.

Was macht dich grad voll happy?
Das Glück klingt wie das Zischen der Haut beim Sprung in den Grundlsee, nachdem ich 12 Stunden durch meine geliebte Wildnis gehirscht bin. Es rotiert wie der Hund, der sich sogar dann über meine Wiederkehr freut, wenn ich bloß vom Kompostaustragen zurückkomme. Es riecht nach den Seiten des Buches, auf dem tatsächlich mein Name steht. Es fühlt sich an wie die Backen der Menschen, die sich gern von mir küssen lassen.

Küsst du auch die Backen deines Hundes?
Der kriegt die Schädeldecke geküsst, da ist man keim-mäßig auf der besseren Seite.

Ist das quasi dein Instantglück bzw. dein Glück to go Gassi?
Instantglück ist je nach Wochentag und Tageszeit der erste Schluck Kaffee oder Bier bzw. Frühstück, Mittag- oder Abendessen. Ist es nicht fantastisch eingerichtet, dass man mindestens dreimal am Tag essen kann?! Manchmal freue ich mich beim Schlafengehen schon aufs Frühstück. Wäre ich ein Tier, ich wär ein Labrador mit Restdisziplin.

Und - als balkonloser Stadtmensch muss ich das fragen - was ist das mit dem Gartenglück?
Das Gartenglück ist Frucht viel sinnloser Arbeit, es erwächst aus der Einsicht in die fundamentale Sinnlosigkeit unserer ganzen Hantierungen. Gerade darum muss man sie aber tun, weil aus dem Graben, Rupfen, Pflegen, Gießen, Anschauen selbst die Halluzination von Sinn wächst. (Und manchmal liegt man erschöpft im Gras und freut sich, weil man für alles andere die Kraft vertan hat).

Sind da aktuell nicht nur Nacktschnecken?
Sie sind immer, aber jetzt haben sie alles gefressen, was ich vor ihnen bewahren wollte.

Und wenn dein aktueller Bestseller ein Tier wäre, welches?
Ein Labrador mit Restdisziplin. Er frisst das Gute, das über ihn gesagt wird. Man könnte ihm noch einige Tricks beibringen, aber es reicht so auch. Aszendent des Romans ist aber auch die Gämse, die eine gewisse alpine Rastlosigkeit reinbringt.

Und an welchem Tier schreibst du gerade?
An einem Gebirgsschweißhund, der Verunglückte findet und mit einem Knackwurstkranz belohnt wird. An Vögeln, die mit Schlapfen vor Nachbarskatzen verteidigt werden. An einem Hirschen, der in der ersten Sekunde seiner Freiheit, mitten im Sprung aus dem Gehege von einem Auto erwischt wird.

Um der Leser*innenschaft die zeitliche Breite dieses Interviews zu veranschaulichen: Du liest in zwei Tagen im MQ beim Festival o-töne gemeinsam mit Anna Mitgutsch. Geht damit so eine Art Lebenswunschlistenwunsch in Erfüllung?
Nein, denn ich habe aus purem Zweckpessimismus nie wahrgenommen, was so ein Autorinnenleben alles an Schönem zu bieten hat! Das ist nur leicht übertrieben. Es ist aber auf alle Fälle sehr ehrhaft für mich. Und Anna Mitgutsch ist eine der ganz wenigen Schriftstellerinnen, die tatsächlich in Oberösterreich leben und arbeiten.

Umgemünzt auf das Berggipfel-Erklimmungs-Feeling was sind die o-töne, ein 4000er?
Ja, das kommt hin - der Mont Blanc über eine selten begangene Route, vielleicht.

Hat die Buchverkaufszahl schon die Höhenmeter deines bisher höchsten Berges überflügelt?
Das wäre eben der Mont Blanc, und mit ein bisschen elbow grease schaffen der Picus Verlag und ich das vielleicht nächstes Jahr. Und 5200 dann insgesamt, das entspräche dem höchsten Punkt, auf dem ich je stand (ein Pass in Tibet).

Welche Gipfel - da wie dort - willst du dir demnächst vornehmen?
Den zweiten Roman + den Grimming. Letzteres wird im Vergleich ein Volksschulausflug, so wie ich Weh mich kenne.

Lässt der o-töne-Mont-Blanc deine Freusynapsen noch immer schlackern?
Na klar, ich hab ja ein Herz aus heißem Fleisch im Leib, keinen polternden Steinbrocken!

Wie dünn war die Luft da oben auf der o-töne-Bühne und wird sich dort danach ganz profan betrunken oder sich anderweitig hochgeistig verlustiert?
Es war warm, meteorologisch und menschlich. Und auf gute Art absurd, so viele hören zu - bei der Lesebühne wird ja mitkommentiert, protestiert, gelacht und geprostet, da spürt man die Leut besser. Und ich nehme dort das Geschriebene nicht für voll, das Lachen darf auf meine Kosten gehen. Beim Roman ist es ganz anders, den meine ich schon über sehr weite Strecken ernst und möchte ihn beim Lesen für ein paar Lacher nicht verdodeln. Danach gab's Bier, aber in bürgerlich vernünftigen Gebinden.

Was waren deine bis dato skurrilsten Begegnungen beziehungsweise Erlebnisse bei Lesungen?
Bei der Lesebühne übernehmen wir das Skurrile meistens selbst, wenn etwa René Monet mit einer viel zu großen Stichflamme beim Feuerspucken beinah den Rothen Krebsen abfackelt, Professor Buttinger uns Glasflaschen aus Zucker auf die Köpfe haut, die Leute von Bord der Florentine ihre Tombolapreise "unabsichtlich" in die Donau schmeißen oder der Hund das Bühnenbild zerlegt. Beim Romanvorlesen ist das Absurde milder dosiert. Da hat es mir etwa gut gefallen, wie die Leute bei der Leipziger Buchmesse einfach sitzen bleiben und den wechselnden Lesungen lauschen: eine historische Betrachtung der Uckermark, gefolgt von der chinesischen Raubkopie Hallstatts, dann eine Graphic Novel über Olaf Scholz (wtf?!)

Wie wirst du im Großraum Hallstatt behandelt?
Dort bin ich sehr, sehr anonym - was wahrscheinlich gar nicht dumm ist!

Auf welche Verständnisschwierigkeiten stoßen Leser*innen in Deutschland?
Meine damalige Agentin Anna Jung hat mich nach dem ersten Lesen des Manuskripts gefragt, ob ich auch auf dem norddeutschen Markt was reißen will - dann müsste ich einiges umschreiben. Ihr Kollege aus Dresden etwa habe lange nicht gecheckt, was die beiden Schwestern ganz zu Beginn des Buches überhaupt tun, in den aperen Schneisen und oben mit den Harscheisen in den Spitzkehren. Aber vielleicht gefällt den guten Menschen nördlich des Weißwurstäquators ja der exotische Reiz inneralpiner Bräuche.

Welcher inneralpine Brauch gehörte sofort abgeschafft und welcher erfunden?
1. Vogelfang, Leistungs-Berglauf und Patriarchat. 2. Ein Anti-Wettbewerb der schönsten Wanderung. In einer Art Bachmann-Lesen haben die Teilnehmenden 10 Minuten Zeit, mit glänzenden Augerln von ihren anrührendsten Bergstunden zu berichten (Steinadler gesehen, besonders tiefes Mittagsschlaferl neben murmelndem Bach, von Murmeltieren verpfiffen und mitten drin top gejausnet zB).

Kannst du dir vorstellen, künftig nur mehr aufs Romanschreiben zu setzen oder möchtest du weiterhin mehrgleisig unterwegs sein? Oder ist Bundespräsidentin ohnehin ein Amt auf Lebenszeit?
Tatsächlich habe ich mir schon manchmal ausgemalt, pro Jahr nur eine Sache zu machen (die dafür ordentlich), und ich weiß, dass ich mich fragen würde, welches der Jahre ich am meisten hassen würde. Also lieber weiterhin alles gleichzeitig in improvisierter Just-in-time-Produktion. Die Bundespräsidentin gibt's mindestens so lange, bis eine akzeptable Nachfolgerin mich auf demokratisch weniger anfechtbare Weise ablöst. In Pension kann ich aus vielen Gründen nie gehen - es wird sich einerseits nicht auszahlen, andererseits bin ich seit meiner Geburt eigentlich schon Pensionistin (Aszendent Trödlerin).


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