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WAS WIR WOLLEN IST EINFACH. … WIR WOLLEN, DASS MAN NINCSHOF VERGISST

Martin Heidl interviewt: Johanna Sebauer
Am 17. April 2024 ab 17.30 Uhr im Hotel Hauser in Wels treffen wir uns im Frühstücksraum des Kunst- und Boutiquehotels (aufgeputzt für die Businessreisenden mit auffälligen Kunstbildern an der Wand), da der einzig zur Verfügung stehende ruhige, störungsfreie Platz. Es wird improvisiert in Wels, vielleicht eine Stärke der Stadt? Habe zu wenig von dieser gesehen. Es wird Wasser kredenzt.
Johanna Sebauer kommt direkt vom Zug aus Hamburg zum Interview. Um 19.30 geht es bereits weiter zu einer Veranstaltung im Schlachthof mit Dominika Meindl und Elias Hirschl.
Im Hof wird Suppe kredenzt ...



Liebe Johanna, du hast 2023 deinen Debütroman "Nincshof" herausgebracht und er hat "eingeschlagen" - sozusagen. Überrascht?
Ich kenne die Maßstäbe nicht für einen "erfolgreichen" Roman. Bis 7.12.2023 wurden lt. Verlag - DuMont - 20.000 Exemplare verkauft. Ich bin zufrieden. Ich hatte Glück; es stellte sich die Frage, wie passt die Geschichte ins Programm der Verlage? Eine Agentur hat das eingefädelt mit dem DuMont-Verlag. Es gab auch Absagen, war aber nie gekränkt. Angst vor Bedrückung war dennoch da. Mein Agent und meine Lektorin waren euphorisch. Es wurden sogar 1.200 Leseexemplare herausgegeben, die schon vor Erscheinungstermin im Umlauf waren, sodass die Buchhändler und Literaturjournalisten schon reinlesen konnten. "Es rumorte!" Ein halbes Jahr später bin ich noch immer unterwegs.

"Nincshof" ist dekoriert mit dem Debütpreis des Harbour Front Literaturfestivals und stand auch auf der Shortlist für das Hamburger Buch 2023. Was fangen die Hamburger mit einem Burgenland-Roman an?
Beim Debütpreis des Festivals waren 8 Romane nominiert. Es gab Leseabende. Ich war die letzte Leserin am letzten Abend, die Stimmung im Saal war toll und die Jury entschied sich für mich.
Das Burgenland; als würde jeder das Burgenland kennen. Ja man kennt es in Verbindung mit Fahrrad und Wein. Und die Medienmeldungen, dass der Neusiedlersee im Austrocknen ist - die sind auch in Hamburg angekommen.

Nincshof, rund um den fiktiven Ort existieren viele "Höfe" ...; und heute Abend die Lesung im Schlacht-Hof. Was bieten Höfe für dich?
Es gibt so viele Höfe im Seewinkel. Nincs bedeutet im Ungarischen das "Nichts", oder "es gibt es nicht mehr". Auf Google Maps gibt es rechts unten im Seewinkel, wo mein "Nincshof" ist, einen Fleck, der zu keiner Gemeinde dazugehört. Das mag ein Fehler von Google Maps sein. Vielleicht ist es aber auch ein kleines verschwundenes Dörfchen. Die Ortschaften Tadten und Andau gibt es, dazwischen keinerlei Höfe.

Im Roman steht "Wir wollen, dass man Nincshof vergisst". Sehnen sich Menschen nach Stabilität, Fadesse, nach Ungestörtheit?
Die 3 Oblivisten, die wiederum verschiedene Beweggründe haben, berufen sich auf eine Legende, die noch immer im Dorf fließt. Sie wollen ihre Ruhe haben. Eine gute Freundin sagte über mich: "Du schreibst das, denn du willst auch deine Ruhe haben."
Die Welt ist so spannungsgeladen. Die digitalen Medien haben ihren Anteil daran. Nicht stattfinden zu müssen ist ein Wunsch. Die Tendenzen reichen von einfachen Belohnungsmomenten bis zu langfristigen Glücksmomenten. Minimalismus, Tiny Houses, Digital Detox, Fastenkuren, Dopamin Detox usw. sind die Blickrichtungen.

Wenn man Nincshof googelt, kommt eine wohlfeile Homepage. Wessen Idee war das?
Die hat der Verlag gemacht. Sie geben sich jede Menge Mühe um das Buch herum. Man kann auch nach Irrziegen, Pusztafeigenschnaps, etc. googeln.
Eine Anekdote: Eine Schweizer Veranstalterin hat nach Pusztafeigenschnaps in allen Kaufhäusern gesucht und nirgends gefunden. Ein findiger Kaufhausleiter hat ihr dann einen Barack empfohlen - ungarischer Marillenschnaps. Es gibt keinen Pusztafeigenschnaps (vielleicht noch nicht ...).

In einer Stelle in deinem Buch heißt es "Aus dem Zeitvertreib war Irrsinn geworden". Ausgerechnet "Zuagraste" züchten die seltenen Irrziegen. Ist der Sinn des Lebens zum Irr-Sinn geworden?
Der Sinn des Lebens besteht aus einem gewissen Prozentsatz aus Irrsinn. Eine Portion Absurdität führt manchmal zu etwas Größeren. Zum Beispiel dieser Roman, der 4 Jahre mein Lebensbegleiter war, mit irre viel Arbeit. Ein Irrsinn, der unglaublich erfüllend ist. Irrsinn als Lebensnotwendigkeit.

Du verwendest im Buch selten verwendete Dialekt-Worte, wie "Abort" oder "Tschumsn". Sprichst du Dialekt in Hamburg?
Ich rede in Hamburg komplett anders. Das geht automatisch. Ich passe mich meinem Gegenüber an.

Du lebst als Burgenländerin in Hamburg. Bist im Hamburger Jahrbuch für Literatur 2021 und 2023; bist bei Zinnober, der monatlichen Lesebühne in der Zinnschmelze Barmbek. Bist du literarisch angekommen in Hamburg?
Ich lebe bereits 10 Jahre in Hamburg. Ich bin in Hamburg zur Autorin geworden. In der Stadt ist literarisch sehr viel los. Mit strategischem Vorgehen hat sich ernsthaftes Schreiben entwickelt (zum Beispiel konnte ich um viele Stipendien ansuchen).
Hamburg ist auch die "Poetry-Slam-Stadt". Die Autorenschaft ist untereinander sehr kollegial, sehr bestärkend. Das sind entspannte liebe Leute. Beim Schreiben bist ja alleine und froh über jeglichen Austausch. Es gibt eine Coworking-Space für Autor*innen in Form eines Writer's Room. Wie vorhin erwähnt kommt alle 2 Jahre ein Hamburger Jahrbuch heraus. Da hat mich dann auch mein Agent gefunden. Er ist auf mich zugekommen und hat mich "betreut". Ein ehemaliger Verlagslektor, der sich mit einer Agentur selbstständig machte und "Talente" sucht und findet. Die letzte Korrekturschleife von Nincshof hat mit dem Agenten stattgefunden, da die Verlage fast fertige Romane wollen.

Im April 2021 ist ein Sammelband erschienen, herausgegeben von Peter Menasse, mit dem Titel "Vom Kommen und Gehen - Burgenland". Weg vom Burgenland?
Die Idee dahinter war: Wie fühlt sich die Heimat aus der Ferne an. Ich war als Studentin viel unterwegs. Zum Beispiel bin ich durch die argentinische Pampa 10h mit dem Bus gefahren. Da konnte ich erkennen, welch große landschaftliche Vielfalt wir in Österreich haben. Ich habe mich schon als junge Burgenländerin verabschiedet.

Dein Beitrag in der Anthologie ist: "Ein Versuch übers Sowohl-als-auch". Hamburg und Burgenland? Wo bist du beheimatet?
Da stellen sich für mich die Fragen: Wo will ich sein, wenn ich ans Alt werden denke? Zum Beispiel waren während der Corona-Zeit die Grenzen dicht, was mich natürlich beschäftigte. Ich würde sagen, der Alltag in Hamburg, die Wurzeln im Burgenland. Für ein Kunstprojekt im Burgenland der Kulturvereinigung KUGA schrieb ich folgendes Gedicht:

"Heimat ist wo man Geheimnisse hat und Tote unter der Erde,
wo einem der Wahnsinn verfolgt auf einem Trekkingrad mit 18 Gängen"


Mein Roman ist ein Heimatroman. Ich finde, wir sollen uns den Heimatbegriff nicht von den Rechtspopulisten wegnehmen lassen. Heimat ist absolute Geborgenheit und Richtigkeit, ohne jemanden auszuschließen. Sich trauen den Begriff zu verwenden! Meine Heimat ist eine dörfliche Struktur - ich habe mehr Toleranz im Dorf gelernt. In der Stadt befinden sich Gleichdenkende in meinem Umfeld.

Lässt es sich leben von der "Schriftstellerei"?
Ich habe einen normalen Job. Arbeite in einem Forschungsinstitut und mache da die Öffentlichkeitsarbeit. Will weiterhin zweigleisig fahren. Letztes Jahr, ja da konnte ich vom Schreiben leben. Der Druck liefern zu müssen ist groß; es ist eine einsame Arbeit, dabei versinke ich in eine andere Welt. Ich mag den Bürojob, er tut mir gut, gut tun mir auch die Kollegen.

Wo schreibst du?
Ich brauche einfach Ruhe. Ein Raum für mich allein, wie Virginia Woolf sagte. Ich kann nicht im Kaffeehaus oder im Zug schreiben. Und ich schreibe mit der Hand. Die Geschwindigkeit meiner Gedanken passt zum händischen Schreibfluss. Der erste Roman-Entwurf war 60-70% handgeschrieben.

Du bist viel unterwegs zu Lesereisen, Auftritten, Diskussionen. Ein Leben auf Achse?
Momentan ist es echt viel, sehr aufregend und unglaublich schön. Bin so dankbar. Wenn ich das nicht mehr wertschätzen kann, höre ich auf damit.

Ist schon der nächste Roman angedacht?
Eine Idee existiert. Ich habe zuerst die Figuren, denen schleiche ich nach, sie zappeln mir im Nacken herum. Derzeit geht es sich zeitmäßig nicht aus. Brauche längeren Zeitraum am Stück. Irgendwo im Sommer, oder im Urlaub ... Schreiben macht mir so viel Freude, es sind so schöne anregende Stunden. Es ist ein Teil von mir.

Du liest im September 2024 bei den Literaturtagen im Weinwerk in Neusiedl am See, eine Herausforderung?
"Na, hob i nie so empfundn". Hatte 2 Premieren: eine in Hamburg, die andere in Mattersburg. Habe in meiner Heimatgemeinde im Turnsaal gelesen. Es war ein Heimspiel. Habe auch eher die lustigen Stellen im Buch ausgesucht.

Was bringt die nahe Zukunft?
Ich bin von "Klaus Kastberger" zum Bachmannpreis im Juni 2024 in Klagenfurt eingeladen worden. Der Text wird "Das Gurkerl" heißen.

Vielen Dank für das Interview und weiterhin alles Gute, insbesondere für die anstehende Bachmann-Lesung!


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