©M.Poor
"DAS ERFAHRENE ERZÄHLEN"

Martin Heidl interviewt: Isabella Feimer
Treffpunkt mit Isabella Feimer ist das Hotel am Brillantengrund im 7. Wiener Gemeindebezirk gegen 17.00 Uhr Ende Jänner 2022. Mittlerweile ist das schicke Retro-Hotel für ukrainische Flüchtlinge "geöffnet"; als Zwischenankunftsmöglichkeit, wie der Kurier vom Wochenende Anfang März 2022 berichtet. DUM feiert das 30-jährige Bestehen im Literaturhaus Wien mit einer feinen Abendveranstaltung ... Isabella Feimer hat auch bei "uns" ihre Texte eingereicht und veröffentlicht (DUM 53, 55 und 56); und sie liest heute aus ihrem neuesten Buch - "Cadavre exquis", erschienen in der Literaturedition NÖ.

Auf dem Weg ins Literaturhaus ein Fitnesscenter mit Öffentlichkeit - große Fenster mit Durchblick lassen in eine Welt blicken, die mir unbekannt ist; durchtrainierte, bunte, junge Menschen auf Maschinen, schaufensterpuppengleich, sind von der Straße aus zu bewundern. Wir wenden uns dem Literaturhaus zu. Das scheint uns willkommener und tatsächlich, die Bibliothek ist geschlossen und leer, der Empfang ist mehr als "nett". Ein wunderbarer stiller Arbeitsplatz zwischen all den tausenden Büchern ..., während draußen die Pandemie herrscht und beim Niederschreiben des Interviews im März seit 11 Tagen Krieg in der Ukraine.



DUM: Auf der Homepage der Literaturedition NÖ steht folgendes Zitat von Ihnen: "Schreiben heißt für mich, die Welt begreifen zu wollen, in Fremdes und Vertrautes einzutauchen, in Ungewissheit und Heimat, und das Erfahrene zu erzählen und die Möglichkeit zu haben, es erzählen zu können."

ISABELLA FEIMER: Schreiben heißt immer, etwas begreifen zu wollen, tatsächlich angreifbar zu machen und es heißt, die Wirren der Welt verstehen zu wollen und hinterfragen zu können. Man schreibt über das, was man erlebt hat. Das Erfahrene - egal ob es geschehen ist oder nicht.

Sie sind eine Vielschreiberin - Schreiben als eine Ausdrucksform. Wie hat alles begonnen?

Ich habe schon während der Gymnasiumszeit in Schwechat begonnen zu schreiben - nur die Deutschprofessorin hat es nicht so gut gemeint mit mir. Die "James-Bond-Geschichten" - Abenteuer, Verfolgungsjagden, usw. missfielen ihr. Später beschloss ich dann mit einer Freundin nach Wien zu ziehen, um zu studieren. Das war ein unüberwindbarer Weg für mich, denn draußen (Schwechat) habe ich mich sehr beengt gefühlt.

Sie haben dann trotz der Professorin, die Sie nicht "förderte", weitergeschrieben?

Ich habe mich in Theaterregie versucht und eines Tages bei einem Stück, das wir geprobt haben, fehlte ein Schlussdialog. Den habe ich dann geschrieben. "Alice im Wunderland" war das Stück und ich merkte, wie schön ich das Schreiben wieder finde. Dann kam es zu einem Schreibworkshop bei Gustav Ernst an der Leondinger Akademie, den ich mit einer Freundin besuchte. Ich hatte auch Interesse am Kulturmanagement, habe mich aber letztendlich für's Schreiben entschieden, und es war die richtige Entscheidung.

Mittlerweile haben Sie das 14. Buch veröffentlicht: "Langeweile", erschienen im Verlag Kremayr & Scheriau in der Reihe ÜberMorgen.

Das erste Buch war der "Afghanische Koch", 2013 im Septime-Verlag erschienen, und das war sicher das autobiographischste Buch von mir, danach habe ich das Erfinden der Realität für mich entdeckt. Und auf all diese Bücher rückblickend kann ich sagen, es war ein langer, aber guter Weg bis zur Langeweile. Mit jedem Buch hat sich mein Schreiben entwickelt.

Romane, Kurzprosa, Lyrik, Essays ...? Ihr Repertoire ist von großer Vielfalt geprägt.

Ich möchte mich in den verschiedenen Ausdrucksformen versuchen. Prosa ist aber eigentlich meins. Als Lyrikerin sehe ich mich prinzipiell nicht, obwohl Gegenteiliges behauptet wird, aber in der Lyrik kann ich versinken, kann die Welt anders sehen, nämlich in ihrer emotionalen Essenz. Ich habe mir Lyrik ganz lange nicht zugetraut. Doch unter der Leitung von Gaby Ecker (Literaturedition NÖ) verfasste ich "Lyrische Prosa", oder auch "Reiseprosa" - in "In Erwartung einer Fremde", 2015. Dieses Buch hat mir den Weg zur Lyrik geöffnet. Da war viel Vertrauen da von ihrer Seite und dieses Vertrauen hat mein Tun bestärkt. Und mit der Langeweile bin ich in die Welt des Essays eingetaucht. ...

Reisen sind, wenn man die Bücher betrachtet, eine Leidenschaft von Ihnen?

Reisen sind in den meisten Büchern drinnen. Das ist der Teil meines Lebens, den ich lieber mag als Schreiben. Der mich ausmacht und definiert, der Sehnsucht und Wunscherfüllung ist. Auch ein Antrieb fürs Schreiben. Das Unerwartete im Unterwegssein ist der Reiz. Die Begegnungen mit einem Selber, in den ewig weiten Landschaften, stundenlang im Nichts. In den Kleinigkeiten sich verfangen, in der Angst, die da ist, in der latenten Bedrohung des Außen und dem Schwebezustand im Inneren.

Reisen Sie alleine?

Ich reise, sofern möglich, mit meinem Ehemann Manfred Poor - er ist Fotograf und Graphiker. Manchmal entstehen gemeinsame Bücher. In diesem Tun ist dann zuerst das Bild da, und ich mache Notizen, die Texte, die ich dann zu Hause schreibe, werden nicht aufs Bild geschrieben, sondern aus der Erinnerung. Aber natürlich inspiriert mich auch Manfreds Fotografie sehr.
Für den eigentlichen Schreibprozess brauche ich auch Bücher und Material zum Recherchieren. Manchmal braucht man die Gedanken anderer, um die eigenen zu verstehen; das Verknüpfen mit dem Eigenen. Das Eigene durchs andere erzählen.

Pier Paolo Pasolini ist ein eigenes Buch gewidmet. In der Edition Thurnhof (Horn / NÖ). "Zorn" ein Textkörper nach Pasolinis Gesängen "La Rabbia". Er würde 2022 seinen 100-sten Geburtstag begehen. Ein Hellsichtiger, wird er auch genannt.

Ich habe eine kleine Liebe zu ihm entdeckt, während eines Romaufenthaltes (Stipendium). Erwin Uhrmann hat einmal in seinem Nachwort zu "American apocalypse" meine Gedichte mit Pasolinis Gedichten verglichen ...; ich glaube zwar nicht, dass das stimmt, aber natürlich freue ich mich über diesen Vergleich.
Wie Pasolini versuche ich mit allen Sinnen zu schreiben und das sollte in die Sprache umgesetzt werden. Was den Zorn, La Rabbia, betrifft, so habe ich meine Zeit mit meinem Zorn geschrieben, so wie es damals Pasolini für sich tat.

Ihre Bücher sind ungeheuer schön gestaltet, vielfältig in Sprache, Form, Bildern ...

Ich liebe es mit Bildern und graphischen Elementen zu arbeiten. Und mit Kolleginnen und Kollegen. Insbesondere die Bilder von Manfred Poor; und über Toni Kurz (Edition Thurnhof) habe ich Käthe Schönle (Graphikerin) kennengelernt, woraus sich eine Freundschaft entwickelt hat; und sie hat "zufällig" ihr Atelier in derselben Gasse, in der ich wohne ... Und Sprache ist überhaupt die schönste aller gestalterischen Möglichkeiten.

Woraus ist das Buch die "Langeweile" entstanden? Was bedeutet die Langeweile für Sie?

Die Langeweile ist aus ihrer Zeit entstanden, aus dem Stillstand der Zeit, aber auch aus einem tiefen Bedürfnis heraus, dieses komplexe Thema zu verstehen und auch zu poetisieren. Ich habe Selbstversuche in Langeweile gemacht. Dazu hat mich eine liebe Freundin, die Wissenschaftlerin ist, verleitet, ich habe darin Reis gezählt und Zeit als Dauer erfahren.

In der Literaturedition NÖ ist 2021 das Buch "Cadavre exquis" erschienen, aus dem Sie im Literaturhaus Wien am Abend vorlesen?

Leonora Carrington, an deren Leben und Werk ich mich orientiere, ist eine der schillerndsten Figuren der surrealen Kunst; in ihrem Roman "Unten" schreibt sie von ihrem Aufenthalt in der psychiatrischen Klinik während des 2. Weltkrieges. Das ist zutiefst bewegend, und diese Geschichte neu zu interpretieren, hat mich sehr interessiert. Die Eingeschlossenheit, die Gespenster, die einen in dieser Eingeschlossenheit heimsuchen.

Woran schreiben Sie im Moment?

Ich arbeite derzeit an einem Text, der im Herbst erscheint. Das wird eine Geschichte über das Sterben; eine Art Totenlied, lose angelehnt an das Leben meiner Großmutter. In der Literatur versuche ich das Eigene zu einer Fiktion zu machen. Auch schreibe ich an einem Roman zum Thema Revolution. Aber die Arbeit daran fällt mir im Moment sehr schwer. Die Welt scheint derzeit zu zerfallen und es ist gerade schwer, etwas zu konstruieren, am Bauplan eines Romans weiter zu zeichnen, etwas zu erschaffen.

Was machen Sie außerhalb der Reisen und dem Schreiben als Ablenkung?

Ich gehe gerne ins Kino. Ich schaue Superheldenfilme, mag Krimiserien, insbesondere den Kommissar Wallander. Gute Krimiplots bewundere ich sehr; und anmerken muss ich, Schreiben ist mir nie eine Ablenkung, auch das Reisen nicht, beides ist das pure Sein.

Vielen herzlichen Dank für das Gespräch. Und Alles Gute für kommende Projekte ...



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