Für die 100. Ausgabe von DUM haben wir jene Autorin zum Interview eingeladen, die in den letzten fünf Jahren am häufigsten in DUM vertreten war – Daniela Dangl, die uns immer wieder mit berührenden Kurzgeschichten zu überzeugen vermochte.
DUM: Deine Kurzgeschichten handeln oft von Kindheits- und Jugenderinnerungen, wie etwa Dein Text "Cat Content" in DUM 99. Ist das eine häppchenweise Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit oder ist alles Fiktion?
Daniela Dangl: Es ist alles genau so, wie es hätte sein können. Außerdem darf ich meiner Erinnerung nicht trauen, die lässt für den Augenblick, in dem ich auf Vergangenes draufschauen möchte, auch gerne einmal Unwichtiges weg und erfindet Spannenderes. Und trotzdem entspricht alles einer Wahrheit; denn wer weiß schon, wie mein Leben mit Wind aus einer anderen Richtung ausgesehen hätte?
Ich habe aber kein Verlangen, meine Vergangenheit "aufzuarbeiten". Schreiben ist für mich eine Möglichkeit, nur genauer auf etwas drauf zu schauen. Ich vermute, dass zwar jeden seine Kindheit prägt, dass man aber später hoffentlich eigene Entscheidungen treffen darf und nicht ständig seine Vergangenheit als Entschuldigung für Unzulänglichkeiten vorschiebt.
Die Kindheit hervorzukramen, erklärt mir manchmal meinen Zugang zum Leben; manchmal erklärt es gar nichts und ist einfach nur - im Vergleich dazu, wie Situationen heute ablaufen würden - skurril oder witzig.
Ich bin dankbar dafür, dass ich im großen Ganzen in vielen Hinsichten privilegiert aufwachsen durfte.
Wie entsteht bei Daniela Dangl eine Geschichte?
Zuerst brauche ich ein Thema (danke, DUM!), das ist dann einmal im Hinterkopf und "reift". Manchmal ist es ein Satz, der plötzlich da ist, manchmal ein Setting, das passt. Ich versuche mir klarzumachen, was ich erzählen will, welches Gefühl im Vordergrund steht. Wenn mir ein guter erster Satz gelingt, ist die Motivation da, mich hineinfallen zu lassen.
Am schönsten ist das Schreiben, wenn ich versinke und sich ungewöhnliche Wortbilder schaffen. Oft schreibt dann die Geschichte mit mir, biegt ab, nimmt eine andere Ausfahrt, als von mir geplant, und ich muss sie wieder einfangen. Diese widerspenstigen Geschichten mag ich am liebsten, auch wenn sie mir weh tun. Ich muss immer in meine Figuren schlüpfen - und zuweilen sind die ganz schön gebeutelt.
Das ist meine Version davon, wie ich schreibe. Meine Familie sieht das anders: "Zuerst suderst du vierzehn Tage herum, dass dir nichts einfällt, dann schreibst du, kriegst von rundherum nichts mit und nervst uns, dass die Geschichte nicht aufgeht, dann überarbeitest du ewig und zum Schluss dürfen wir sie lesen."
Du unterrichtest an einer humanberuflichen Schule in Horn. Ist da zeitgenössische Literatur ein Thema im Deutschunterricht?
Ja! Wenn wir unsere SchülerInnen schon dressieren, dass sie "Textsorten" bei der Zentralmatura abliefern können, ist es für mich unerlässlich, uns aktuellen Themen auszusetzen. Das funktioniert auch über zeitgenössische Literatur, deren Sprache näher an der Lebenswirklichkeit junger Menschen ist als jene eines 200 Jahre alten Romans aus einem vor 50 Jahren postulierten Literaturkanon. Das heißt nicht, dass in meinem Unterricht Klassiker keinen Platz hätten! Ich versuche, Literatur in Beziehung zu setzen - zur jeweiligen Entstehungszeit, zu heute, zu anderen Romanen / Gedichten / Novellen.
Am spannendsten ist es für mich, AutorInnen an die Schule zu holen und mit meinen SchülerInnen zusammenzubringen. Da gab es schon einige überraschende, ehrliche Diskussionen.
Man darf sich aber nicht der Illusion hingeben, dass Literatur für alle ein Quell der Freude ist.
Beruf, Familie - wie viel Zeit bleibt da fürs Schreiben übrig?
So viel, dass ich für DUM Texte einreichen kann. Vielleicht wird es kommendes Semester ruhiger, wenn die Kinder in Wien auf die Uni können. Vorzugsweise verwende ich zum Texte-Denken und Schreiben freie Tage oder die Ferien. Wenn ich unterrichte, geht kaum etwas.
Hast Du Ideen / Pläne, einmal einen Roman zu schreiben?
Bis jetzt waren Pläne immer nur da, um verworfen zu werden. Ich weiß, dass mir die Kurzform liegt, vielleicht auch, weil ich sie zeitlich bewältigen kann. Außerdem sind für mich die Leerstellen, die Kurzgeschichten haben müssen, um mit der Ideenwelt der Lesenden gefüllt werden zu können, das kräftigste sprachliche Element. Reduktion ist mein bevorzugtes Stilmittel. Ein Erzählband wäre deshalb schön!
Vielleicht muss ich für einen Roman ein bisschen strenger mit mir und meinen Texten sein, muss die Ungeduld mit meinen eigenen Geschichten bändigen und darf die Arbeit mit dem Leerstellen-Füllen nicht immer auslagern.
Was bedeutet Dir, die ja eine Zeitlang in Wien gelebt hat, das Waldviertel?
Seit den Lockdowns mehr denn je! Ich möchte mir nicht vorstellen, wie es ist, so eine Zeit ohne Wald durchzustehen. Das Privileg der Freiheit war mir nicht bewusst. Mir hat die Natur Gelassenheit gegeben. In den Waldmomenten waren das Vogelgezwitscher und Insektensummen wichtig oder taunasse Spinnweben im Gesicht.
Die "Oaschicht" lässt einen in Ruhe und ich schätze das sehr, auch wenn ich immer wieder gerne in Wien bin, mir pulsierende Menschenmassen gebe und die kulturelle Infrastruktur genieße, in kleinen Design-Boutiquen stöbere oder auf Vintage-Plastikschnursesseln Espresso trinke und Sanddorn-Kurkuma-Cookies esse. Ich mag beide Welten, in pandemischen Zeiten aber doch lieber das W4.
Wie bist Du mir der "Kulturellen Nahversorgung!" im Waldviertel zufrieden? Wirst Du gelegentlich zu Lesungen eingeladen?
Es gibt schon einiges, was wirklich gut ist - Musikfeste und -lokale, Theater, kleine, feine Kultur-Initiativen in Zusammenarbeit mit Dorfmuseen, Schüttkasten-Events, Vernissagen, Veranstaltungen in Verbindung mit Bier & Wein - es tut sich was (wenn nicht gerade eine Pandemie Striche durch Rechnungen macht), man muss nur hingehen.
Ich wurde auch schon zu Lesungen eingeladen, durfte mit Thomas Sautner und Günther Nowak (Akkordeon) einen Abend gestalten - und die kleine Rampensau in mir genießt solche Veranstaltungen sehr! Es könnte viel öfter sein! Ich komme gerne!
Hat Corona Dein Schreiben beeinflusst? Wenn ja, inwiefern?
Ich habe weniger geschrieben, ich konnte mich weder dazu motivieren, noch hatte ich genügend ruhige Momente. Ich war in den Lockdowns und dazwischen ein bisschen Hausfrau, Online-Teams-Distance-Unterrichtende, Video-Motivations-Klassenmama, Maturanten-Hintern-Treterin, musste mit meiner Gesundheit haushalten und war Waldwanderin. Ich hätte nicht einmal mehr das Bananenbrotbacken untergebracht.
Wie bist Du auf DUM gestoßen?
Durch die wunderbare Trixi Kramlovsky, die eine begnadete Autorin, Kritikerin und Textpassagen-Streicherin ist und mich so vieles gelehrt hat.
In Deiner Geschichte "Seesternstunden", die Du zur Anthologie "auftauchen - Neue Literatur aus Niederösterreich" beigesteuert hast, taucht der Schauspieler Rudolf Prack auf. Was hat es damit für eine Bewandtnis?
Seit ich denken kann, war der Name in unserer Familie präsent. An Samstagnachmittagen lag ich am kalten oder warmen Nachtspeicherofen im Wohnzimmer meiner Großeltern und wir warteten auf den Nachmittagsfilm, schwarz-weiß oder in Farbe, jedenfalls aus den österreichischen Filmstudios. Die Wahrscheinlichkeit war groß, dass wir wieder den feschen Rudi sahen. Obwohl ihn niemand aus meiner Familie persönlich gekannt hatte, war er trotzdem irgendwie Teil der Familie, weil seine Tochter regelmäßig zu uns zu Besuch kam.
Adelheid Prack wurde von der Schwester des Vaters meiner Oma aufgezogen. Früher gingen viele Bauernmädchen in die "Stadt", um bei den "Herrschaften" als Dienstbotinnen zu arbeiten. Leopoldine Kainz war eine von ihnen und landete im Hause Prack. Das kleine Mädchen fand im Waldviertler Kindermädchen, das in Wien heiratete und kinderlos blieb, eine lebenslange mütterliche Freundin.
Die beiden alten Damen (Adi war etwa 60, Poldi-Tante 80) kamen in den 80er Jahren jeden Sommer zu meinen Großeltern. Ich freute mich, wenn Adi da war - die orangestichigen Fotos im Familienalbum sprechen Bände. Sie war für mich eine Berühmtheit, auch wenn das in Waidhofen niemand interessierte. Außerdem war sie die großzügigste, dickste, ungewöhnlichste Frau, die ich kannte. Niemand sonst hatte mir je wieder Bussi-Bär-Hefte gekauft.
Vielen Dank für das Interview und weiterhin alles Gute!
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