Aufmerksamen LeserInnen ist der Name Verena Mermer bereits ein Begriff, war sie doch in den letzten Jahren schon mehrmals in DUM vertreten (Ausgaben # 65 / 68 / 71). Nun hat sie im renommierten Residenz Verlag ihren Debütroman veröffentlicht und Wolfgang Kühn hat sie zum Interview gebeten.
DUM: Dein Debütroman "die stimme über den dächern" ist in Baku angesiedelt. Aus Deiner Biographie erfährt man, dass Du zu einem Arbeitsaufenthalt in Baku warst. Wann war das, wie lange warst Du dort und was war Deine Tätigkeit?
Nach Baku hat es mich 2011 verschlagen, aus zugegebenermaßen sehr pragmatischen Gründen: die Praktikumsstelle dort war noch zu haben - eine willkommene Alternative zur Erwerbslosigkeit direkt nach dem Studienabschluss ...
DUM: Hattest Du damals schon die Idee, einmal einen Roman zu schreiben, der in Aserbaidschan "spielt"?
Als ich Anfang Februar am Heydar Aliyev International Airport landete, hatte ich keinerlei Ambitionen in diese Richtung. Der Schreibprozess begann recht zögerlich, mit einigen Notizen und einem kurzen, in sich geschlossenen Text. Als ich mehr und mehr verstand, wie stark die Diktatur den Alltag in der Stadt dominiert, und mitbekam, wie eine Protestbewegung im Keim erstickt wurde, füllte sich das Notizbuch. Irgendwann wurde aus den Beobachtungen eine Kurzgeschichte und gegen Ende meines Aufenthalts trieb ich mich abwechselnd auf den Straßen herum für letzte Recherchen vor Ort und zog mich ins Zimmer zurück, um zu schreiben. Da wusste ich bereits, dass ich an einem Roman arbeite.
DUM: Was hat es mit dem Satz "Das Gespenst der Freiheit geht um ..." auf sich?
Der Satz stammt von meiner Lektorin. Er verweist einerseits auf das Kommunistische Manifest, andererseits nimmt er das Schlüsselwort "Freiheit" (auf Aserbaidschanisch "azadlιq") auf. Ersteres erklärt sich vor allem dadurch, dass der Text Bezug nimmt auf die Revolutionsgeschichte und zum Symbol gewordene Akteur_innen. Zugleich bezieht sich das verfremdete Zitat auf die vom Arabischen Frühling inspirierten Proteste. Auf einer Kundgebung "Freiheit" zu rufen endete allerdings in den meisten Fällen mit einer Festnahme.
DUM: Wie viele reale Personen sind in diesen Roman eingeflossen?
Che (Guevara) und Frida (Kahlo) haben offensichtlich reale Vorbilder, auch das Präsidentenportrait ist kein anderes als jenes, das in öffentlichen Gebäuden hängt, in Lokalen und in jedem Copy Shop. Der Opernsänger Rǝşid Behbudov ist eine weitere historische Figur ... und den Autor des Zeitungsartikels (am Ende des Textauszugs) wird es ebenso gegeben haben. Die Protagonist_innen der Handlung müssen allerdings Kunstfiguren sein, Aserbaidschan ist schließlich ein Polizeistaat. Wenn z.B. Nino oder Fuad nicht rein fiktiv wären, würde ich sie mit der Darstellung ihrer politischen Haltung, ihres Alltags, ihrer sexuellen Aktivitäten potenziell in Gefahr bringen.
DUM: Welche der vier Hauptfiguren (Ali / Nino / Frida / Che) magst Du am liebsten und warum?
Die Frage kann ich so nicht beantworten ... Die vier gehören eng zusammen; in der Arbeit am Text habe ich des Öfteren ein Attribut, einen Satz, einen Charakterzug einer Figur weggenommen und einer anderen zugeschrieben. Che war schwierig in Worte zu fassen (ich wollte Pathos vermeiden und dennoch die historische Person an mehrere Textstellen erkennbar auftauchen lassen ...). Nino nimmt viel Platz ein - ich denke, es ist der Platz, von dem Ali sie in der Romanvorlage verdrängt ...
DUM: Das Buch sticht nicht nur inhaltlich heraus, auch optisch. Prosa, die nicht im Blocksatz gedruckt in Buchform erscheint, ist eher selten. Was steckt da dahinter?
Die kursiven Passagen als Figurenrede finden sich bereits in den frühen Fassungen. Im Zuge des Verlagslektorats stellte sich allerdings die Frage, ob auch wirklich an jeder Stelle klar ersichtlich ist, wer spricht. Um dies zu markieren und zugleich so wenig wie möglich in den Rhythmus des Textes einzugreifen, stehen die Namen der Sprecher_innen in Klammern am Seitenrand. Je kürzer die Zeile, desto problematischer wird allerdings die Anwendung von Blocksatz, daher ist der Text linksbündig gesetzt.
DUM: Neben Baku warst Du auch längere Zeit in Delhi und in Cluj Napoca. Besteht die Chance, dass diese beiden Städte auch irgendwann einmal in Romanen von Dir auftauchen?
Letzteres ist sehr wahrscheinlich und bereits in Arbeit. Ob der Text tatsächlich ein Roman wird und wann er erscheint, weiß ich allerdings noch nicht. Über Delhi zu schreiben hat mich damals überfordert ... es besteht die Gefahr, dass starke Reizüberflutung Texte zu einem Flickwerk aus einzelnen Eindrücken werden lässt. Aber falls ich mich für ein Thema entscheiden kann und es sich in eine literarische Form fügt, werde ich auch dort eine Geschichte ansiedeln.
DUM: Ab wann hast Du gewusst, dass das, was tief in Dir drinnen ist, als Literatur aus Dir herauskommen muss?
Geschrieben habe ich, seit ich schreiben kann. Als Literatur bezeichne ich das noch nicht so lange ... es war vermutlich ein schleichender Prozess von den ersten lyrischen und prosaischen Sätzen zur Autorinnen-Identität. Ich zweifle allerdings immer mehr daran, dass es das tiefe Innere ist, worüber geschrieben werden soll. Sicherlich muss ich einen persönlichen Bezug zu jedem Schreibprojekt haben (oder finden), sonst gerät das Resultat schablonenhaft und leblos. Allerdings ist es für mich vor einer Veröffentlichung (oder der endgültigen Verbannung in die Schublade) immer entscheidend, ob der Text thematisch auch für andere relevant ist ... Manchmal schreibe ich explizit politisch, in anderen Texten spiegeln sich Machtverhältnisse in den Personenkonstellationen wider. Emotionen sind für mich dann wichtig, wenn sie Empathie für eine Figur herstellen - oder wenn sie die Lesenden auf ihr eigenes Empfinden zurückwerfen. Für einen Abriss meines Seelenlebens in Versen oder Sätzen bin ich jedenfalls zu uninteressant und zu zurückhaltend.
DUM: Welches Gefühl war es, den Debütroman erstmals in Händen zu halten?
Das Buch habe ich im Postfach gefunden, als ich nicht damit rechnete und zu sehr in Eile war, um mir diese Frage zu stellen. Freude war schon dabei und Verwunderung auch. Die Arbeit am Text hatte ich einige Wochen davor abgeschlossen, und mich somit auch schon von ihm distanziert. Mit dem gedruckten Buch in der Hand geht einher, dass der Kopf frei werden kann für Neues ...
DUM: Du hattest im Sommer ein einmonatiges Stipendium in Prag. Woran hast Du da gearbeitet bzw. was sind Deine nächsten literarischen
Pläne?
Ich habe an einer Short Story gearbeitet, deren Rohfassung immer noch roh ist. (Texte liegen zu lassen, ist aber nicht nur schlecht - es kann auch vor Betriebsblindheit bewahren.) Für den Autor_innen-Blog des Prager Literaturhauses habe ich einen Gedichtzyklus zu verschiedenen Stadtteilen geschrieben. Seit ca. zwei Jahren arbeite ich auch an einem längeren Prosatext über Arbeitsmigration zwischen Rumänien und Österreich. Auch wenn diejenigen, die Stammtischparolen klopfen, meine Bücher ziemlich sicher nicht in die Hand nehmen werden, erscheint es mir wichtig, hierzulande Verständnis für die Lage der so genannten "Wirtschaftsflüchtlinge" zu schaffen. Und zu erzählen, dass viele weggehen, weil Familienmitglieder medizinische Versorgung brauchen, die Kinder studieren wollen oder ein Kredit in Euro bzw. Franken zurückgezahlt werden muss ...
DUM: Danke für das Interview!
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