Lesung: Markus Köhle aus "Das Dorf ist wie das Internet, es vergisst nichts" (Sonderzahl, 2023)
Film: "Abteil Nr. 6" (2022) von Juho Kuosmanen, 107 min.
Beginn: 19 Uhr
Einlass / Gastronomie Herdsache: ab 18 Uhr - herdsache.at
Eintritt: € 14,-- (AK) bzw. 12,-- (VVK)
In Zeiten der Klimakrise wird der Ruf nach Fortbewegung in öffentlichen Verkehrsmitteln immer lauter. Dieser Abend zeigt, dass das Reisen im Zug - abgesehen von der klimafreundlichen Komponente - auch den zusätzlichen Aspekt überraschender Begegnungen in sich birgt ...
DAS DORF IST WIE DAS INTERNET, ES VERGISST NICHTS
Wer einen realistischen Eindruck vom Zustand Österreichs gewinnen möchte, braucht das Land bloß mit dem Zug zu durchreisen - die freiwillig und halbfreiwillig geführten Gespräche in den Railjets und Speisewägen der Nation geben einen tiefen Einblick in die hiesige Verfasstheit, die zwischen "Fernsehkaisern und Kurzschlusskanzlern" kaum unterscheiden zu können scheint.
Eine solche Tour de force unternimmt Markus Köhle mit viel Sprachwitz in seinem Romandebüt, in dem er seinen aufmerksam registrierenden Protagonisten Lukas auf seinen Zugreisen durch die Bundesländer den großen Themen unserer Zeit begegnen lässt: Deutlich zu spüren ist da das "Stadt-Land-Kluft-Schlamassel", die sture Ignoranz gegenüber der nötigen Veränderung ("die Füße schischuhschwer, aber die Nase immer oben"), ein bestenfalls halbes Bewusstsein von Überalterung und Pflegenotstand und, natürlich, eine große Unlust, sich mit all dem ernsthaft auseinanderzusetzen.
Für Lukas, der als freiberuflicher Texter ein offenes Ohr für die Problematik und sprachliche Wirklichkeit all dessen hat, kommt es aber noch schlimmer: Denn was im Argen liegt, hat auch noch mit ihm persönlich zu tun. Das begreift er spätestens dann, als sich der Bürgermeister seines Tiroler Heimatdorfes meldet, um ihm - gut österreichisch kuhhandelnd - einen Literaturpreis im Tausch gegen eine literarische Lobeshymne auf sein Fleckchen Muttererde zu "verleihen". Da Lukas den Auftrag nicht ausschlagen kann, mischt sich zu den Konversationen im Zugabteil nun noch die mémoire involontaire einer Jugend am Land, mit all ihren Senken und Tiefen, unerfüllter Liebe, Sehnsucht und unentrinnbarer Kleingeistigkeit.
Zur Wehr setzen kann er sich mittlerweile aber doch: Wir reisen mit ihm nicht nur der Preisverleihung und Gemeindelesung entgegen, sondern auch dem literarischen Befreiungsschlag gegen die Zustände. Ob er gelingen kann? "Das geht sich aus, weil Österreich auch Schönred-, Ausreden- und Wurschtlweltmeister ist. Ja, in Österreich ist sich - über Kurz oder Ibiza - noch immer alles ausgegangen."
(Verlagstext)
"Wenn es so etwas wie ein heimisches Pendant zur Great American Novel gibt, eines mit Augenzwinkern und Selbstironie, nämlich den zwiespältigen Österreich-Roman, dann hat Markus Köhle sich dieses Prädikat für sein beißend-vergnügliches Buch redlich verdient."
(Erwin Uhrmann, Die Presse)
MARKUS KÖHLE
Geboren 1975 in Nassereith, Tirol, studierte Germanistik und Romanistik. Seit 2001 ist er literarisch, literaturkritisch, literaturwissenschaftlich und auch als Literaturveranstalter im In- und Ausland aktiv. Seit 2004 lebt und arbeitet er in Wien. Er ist Sprachinstallateur, Literaturzeitschriftenaktivist (www.dum.at) und Poetry Slammer der ersten Stunde.
ABTEIL NR. 6
Der finnische Regisseur Juho Kuosmanen schickt zwei Außenseiter auf eine amüsante und zutiefst berührende Reise, auf der sie - ganz ohne Kitsch - mit der Wahrheit ihrer Gefühle konfrontiert werden.
Nur wenige Menschen zieht es im Winter ins eisige Murmansk am nördlichen Polarkreis. Die schüchterne finnische Archäologiestudentin Laura aber ist fest entschlossen, die berühmten Felsenmalereien der Stadt zu besichtigen - eine unglückliche Romanze, die sie in Moskau hinter sich lässt, motiviert ihren Entschluss umso mehr. Die Aussicht auf eine beschauliche Eisenbahnreise zerschlägt sich schnell als Laura ihren Mitreisenden im Abteil Nr. 6 kennenlernt: Ljoha ist Bergarbeiter, trinkfest und laut, ein Typ, der keine Grenzen zu kennen scheint und Lauras schlichtweg ignoriert. Doch während der nächsten Tage ihrer gemeinsamen Reise müssen die ungleichen Passagiere auf engstem Raum miteinander auskommen lernen. Der Beginn einer unerwarteten Annäherung.
Zum Sound von VOYAGE VOYAGE nimmt uns Juho Kuosmanen ("Der glücklichste Tag im Leben des Olli Mäki") mit auf eine atmosphärische Reise durch das winterliche Russland der späten 1990er Jahre, auf der sich zwei Außenseiter über alle Kultur- und Klassengrenzen hinweg begegnen und näher kommen. Ein liebevoll raues, melancholisch-komisches Roadmovie auf Schienen, inspiriert durch den gleichnamigen Roman von Rosa Liksom.
Film-Trailer: polyfilm.at/film/abteil-nr-6