IN DIESER WILDNIS

AUTOR: CONSTANTIN GÖTTFERT
REZENSION: Kathrin Kuna
Diese Sammlung voneinander unabhängiger Erzählungen ist nichts für schwache Nerven. Trotz schnörkellosen Stils und geradlinigen, schnellen und stringenten Erzählens kreisen diese Geschichten immer nur um das Übel. Die Katastrophe wird nur geahnt, unterbewusst wahrgenommen - und das macht diese Geschichten rund um Familie, Freundschaft und Sehnsuchtssuche beinahe unerträglich. In Wirklichkeit könnte man sagen, dass es vielleicht auch das Erschrecken vor den eigenen Phantasien und Schlussfolgerungen ist. Doch den Anstoß dafür liefert ja der Autor durch die gewählte Perspektive und Sichtweise, die sich durch alle Erzählungen zieht. Es gibt kein Aufatmen zwischendurch, keine versöhnlichen Momente, ständig liegt etwas Pathologisches in der Luft. Hier ein kleines Beispiel aus der Erzählung Im Schatten des Drachenbaums:

"Meine Freundin ist nicht krank", sagte ich.
Als jemand plötzlich auflachte, blickte ich zu den Bediensteten am Tisch. Zuvor waren es noch drei gewesen, der Koch, der Wirt und zwischen ihnen die Kellnerin. Von beiden Seiten hatten die Männer ihr auf die nackten Schenkel gegriffen. Ihre Haut war dunkel, fast schwarz, und wenn sie lachte, traten an ihrem dünnen Hals die Muskeln hervor. "Deiner Beschreibung nach muss deine Freundin aussehen wie die Kellnerin, die vorhin hier gesessen ist", sagte der Schweizer.
Die Hände der beiden Männer lagen noch auf dem Stuhl zwischen ihnen. Die Spitzen ihrer Finger berührten sich.
"Aber du hast keine Ahnung", sagte der Schweizer. "Du erfindest einfach, wenn du nicht weiter weißt. Dabei siehst du doch, dass auch sie, die du beschrieben hast, schon wieder verschwunden ist."

"Die Wildnis ist überall" heißt es auch in der Kurzbeschreibung auf dem Klappentext. Dass Wildnis allerdings immer nur zu Betrug, Tierquälereien und psychotischen Verhaltensmustern führen muss, ist wohl ein etwas pessimistischer Ansatz. Sicherlich wissen wir spätestens seit Büchner, dass jeder Mensch ein Abgrund ist, doch reicht es, wenn einem schwindelt, es muss einem doch nicht ohne Erklärung schlecht werden. Die Figuren in den Erzählungen sind von einer derartig oberflächlichen Stumpfheit, dass nicht sie einem hilflos erscheinen, sondern der Autor im Versuch sie zum Leben zu erwecken. Man wünscht sich eben, dass sie wild und lebendig sind, nicht nur eitel und mit dem Wahnsinn kokettierend. Das ist eigentlich sehr schade, denn so ist dieser Erzählband am Ende trotz eigentlich ausgezeichneten Stils in Bezug auf das Erzähltempo und wirklich sehr sympathischen Verlags kein Buch, das man gerne weiterempfehlen möchte.

CONSTANTIN GÖTTFERT. IN DIESER WILDNIS. Erzählungen. poetenladen 2010. ISBN 978-3-940691-15-6