Anscheinend ist was dran, dass man manchmal warten muss und
Abstand zu etwas bekommen muss, um darüber schreiben
zu können. Vor einer Woche hätte ich über
den ersten Roman von Eva Menasse, der heuer im Frühling
bei Kiepenheuer & Witsch erschienen ist, noch geschrieben,
dass er nett, aber todlangweilig ist.
Da habe ich mich noch von Anekdote zu Anekdote gehantelt,
um über diese halb jüdische, halb katholische
Familie und ihre Geschichte zu lesen, und versucht den Überblick
nicht zu verlieren, weil einem ständig neue Personen
vorgestellt werden, die zum Teil stark an Tante Jolesch,
zum Teil an Figuren aus einem Woody Allen-Film erinnern
(was man mit dem am Buch-Cover bereits angekündigten
„klassischen Jüdischen Witz / Charme“
eben assoziiert).
Bis Seite 350 stellte ich mir stets dieselbe Frage: Warum
erzählt uns die Autorin das so genau? (Bzw. auch: Was
wohl der Herr Bruder [Robert Menasse] dazu sagt?)
Nachdem ich das Buch nun schon seit ein paar Tagen fertig
gelesen habe, finde ich es einfach wirklich schade, dass
nach jeder netten Pointe immer zwei, drei überflüssige
Sätze kommen, wo einfach Raum sein sollte, um den Leser
in Ruhe den Kopf schütteln oder nicken oder einfach
schmunzeln zu lassen.
Nach dem Kapitel „Rückblick“, in dem die
Erzählerin der Familiengeschichte mit ihrem Vater nach
England an den Ort reist, wo er als Jugendlicher bei einer
Ziehfamilie vor den Nazis flüchten konnte und sein
Talent als Fußballspieler entdeckt wurde, wird einem
plötzlich bewusst, warum alles so genau geschildert
wird: Die Erzählerin (die man mit der Autorin mehr
oder weniger gleichsetzen kann) hat sehr genau und sensibel
beobachtet – und alles genau so wiedergegeben. Zu
genau.
Gleichzeitig ist die Liebe, mit der die Personen in ihrer
Einzigartigkeit beschrieben werden, und im Gegensatz dazu
die Nüchternheit, mit der über Themen wie den
Holocaust oder den Zweiten Weltkrieg berichtet wird, genau
das Besondere an diesem Roman. Vielleicht habe ich nicht
von Anfang an sensibel genug gelesen, vielleicht können
Sie das schon.
Wenn nicht, lohnt es sich auf jeden Fall Geduld aufzubringen
und an den langatmigen Stellen und den überflüssigen
Erklärungen „vorbei zu lesen“. Denn dazwischen
liegt eine besondere Familiengeschichte. Ein im Prinzip
wunderbarer Roman, dessen einzige Schwäche ist, dass
man ihn vielleicht noch einmal Korrektur lesen hätte
sollen, dass er eben einfach eine Spur zu früh publiziert
wurde.
EVA MENASSE, VIENNA, Roman, Kiepenheuer & Witsch: 2005,
ISBN 3-462-03465-0