TREFFEN SICH ZWEI

AUTORIN: IRIS HANIKA
REZENSION: KATHRIN KUNA
Also war es jetzt so weit. Die Liebe sollte beginnen.
Wenn sich zwei treffen, kann vieles passieren. Muss es immer gut enden, wenn es schlecht beginnt? Muss es immer schlecht anfangen, um gut enden zu können?

Senta und Thomas begegnen einander in einer Bar in Kreuzberg und gehen zu ihr. Er verspricht am nächsten Morgen, dass er sich melden wird. Sie ist skeptisch, aber wartet. Und er meldet sich wieder. Dazwischen ihre Erwartungen. Eine Fülle davon. Die Geister der Vergangenheit, die sich melden und die bereits erlebten Enttäuschungen mitbringen. Dazu kommen neue Befürchtungen, aber auch die Möglichkeit Überraschungen zu erleben.

Iris Hanikas Roman unterscheidet sich in einigen Punkten vom klassischen Liebesroman. Die Verwendung verschiedener Textformen lässt zunächst den Eindruck verschiedener Perspektiven auf das Geschehen entstehen. Vielmehr beginnt die Autorin hier aber den Leser auf die Konstruktion von Liebe hinzuweisen. Die alles umspannende Frage wird zwischen zwei extremen Polen festgemacht: War es bloß eine leidenschaftliche Nacht zusammen oder Liebe auf den ersten Blick?

Komplexität der Liebe

Der Leser wird durch den zwischen Leseanleitung, Tagebucheintrag, Lexikontext, Drehbuchausschnitt, Dialog und Erzählerstimme wechselnden Erzählton nicht nur gedanklich, sondern auch sprachlich immer wieder in diesen Gefühlswirbel gezogen und dann wieder in die Position des außenstehenden Betrachters versetzt. Auch mit Einschränkungen wird man konfrontiert, so wird z.B. nach den ersten Seiten klargestellt, dass es in diesem Roman wohl auch um Sex geht, aber dazu an keiner Stelle Beschreibungen zu finden sein werden. Seiten später wird dann schnell ein 1,5 Seiten langer, scheinbar einem Sexualratgeber entnommener Artikel über die Belebung einer Partnerschaft durch Quickies eingestreut. Verweise auf Lieder, Gedichte und Filme rufen zusätzliche Bilder in uns wach und konfrontieren uns mit unserem eigenen, voreingenommenen Bild von Liebe und Beziehungen. Gekonnt spielt die Autorin mit den Erwartungen ihrer Protagonisten ebenso wie mit denen ihrer Leser. Noch bevor der Roman beginnt, lehrt uns ein Gedicht von T.S. Eliot: Desire itself is movement, not in itself desirable.

Der Text wirkt nicht gekünstelt, die Geschichte nicht überfrachtet. Vielmehr gelingt es Iris Hanika die Komplexität der Liebe, nicht nur zwischen zwei Menschen, sondern allgemein, als Konzept in unserer Kultur so gut es eben möglich ist, darzustellen und auch ironisch zu beleuchten. Gleichzeitig wirkt der Text nie nüchtern, gefühlskalt oder zynisch. Einerseits wird die Verwirrung und Aufgeregtheit der Protagonisten intensiv geschildert, andererseits holt der zwischendrin eingesetzte analytische Ton auf den Boden der Tatsachen zurück.

Was ist das überhaupt?

Die Verworrenheit der Gedanken zeigt sich auf textlicher Ebene durch Kleinschreibung und fehlende Interpunktion. Inwiefern Liebende in ihrem eigenen Bewusstseinsstrom und ihrer Ich-Bezogenheit gefangen sind, zeigen die aus der Realität eingestreuten Splitter: Draußen gehen die Leute vorbei und werden immer fremder. Die Idee der romantischen Liebe wird auf die Probe gestellt, nicht aber verworfen. So heißt es zwischendurch beispielsweise: Zwei Leiber, denen die Verbindung zueinander, zu überhaupt einem anderen Leib geglückt ist. Pseudowissenschaftliche Ansätze werden ebenso eingebracht wie philosophische, systemtheoretische und vor allem natürlich psychologische Konzepte.

Anfangs lautet die Frage: Was ist das zwischen diesen beiden Menschen? Am Ende fragt man sich: Was ist das überhaupt? Was ist Liebe überhaupt? Wie kann sie sich anfühlen? Und wo setzt man ihr Grenzen? Selbst. Und wo werden ihr Grenzen gesetzt? Durch den anderen. Durch Freunde. Von der Gesellschaft. Der Kultur. Und warum? Antworten gibt es keine, aber verschiedene Theorien, über die man dann mal nachdenken kann. Zum Beispiel:
Übersättigungen an Glück sind tödlich. Beim Belohnen ist es eine Geschicklichkeit, nie gänzlich zufriedenzustellen. Ist nichts mehr zu wünschen, so ist alles zu fürchten: unglückliches Glück! Wo der Wunsch aufhört, beginnt die Furcht.

IRIS HANIKA. TREFFEN SICH ZWEI. Roman, Droschl, 2008, ISBN 9783854207375