ERFREULICHER LITERATURBETRIEBS
GLITCH
AUTOR: CLEMENS J. SETZ
Rezension von Markus Köhle
Clemens J. Setz ist - was Originalität und Produktivität anbelangt - hierzulande einzigartig. Dieses Jahr erschienen bereits die Nacherzählungen eigener Geschichten aus frühen Schreibjahren ("Glücklich wie Blei im Getreide"), die Nacherzählungen von Till Eulenspiegel Geschichten ("Dreißig Streiche und Narreteien") sowie der über 1000 Seiten Roman "Die Stunde zwischen Frau und Gitarre". Dazu kommen noch Übersetzungen aus dem Englischen und Feuilleton-Beiträge über leicht Abartiges. Sein jüngster Wurf war auf der Longlist des Deutschen Buchpreises und der Bestenliste des ORF und im Netz gibt es gleich mehrere Blogs, die betreutes Setz-Lesen anbieten. Da und dort vernahm man schon das Wort "Kultroman", die Besprechungen waren vorwiegend positiv bis ausgelassen euphorisch, live ist es ohnehin ein reines Vergnügen einerseits dem Vortrag, andererseits seinen bereitwillig eingestreuten Anekdoten zu lauschen. Das mediale Rundherum passt also schon mal, jetzt also ran an den Edelschinken mit gepfefferter Setz-Kruste.
"Ohrwurm-Cleaner"
Die weibliche Heldin heißt Natalie. Sie ist jung (21, Figur: "Laufente"), tough und Ex-Epileptikerin. Sie arbeitet als "Bezugi" in einem Wohnheim für behinderte Menschen, hat einen Kater, hält sich imaginäre Tiere als Gesprächspartner und hat sich kürzlich von Markus getrennt. Sie ist tonaufnahmen- und oralsexfixiert. Ersteres befriedigt sie beispielsweise mit Podcasts von Essensgeräuschen oder "Ohrwurm-Cleanern", zweiteres beim Streunen in der Nähe von Fußgängerunterführungen. Sie ist Synästhetikerin, fühlt Wörter und liebt sowohl virtuell als auch in real live zusammenhangslose Nonseq-Kommunikation. Sie hat ein Händchen für schwierige Beziehungen: Ex Markus schreibt, ist Updike-Fan und langweilig; ihre aktuelle Flamme Mario ist unnahbarer, obdachloser Stricher und Frank ist Natalie zwar egal, steht aber auf sie. Natalie trägt stolz einen Gefühlspanzer, darunter verbirgt sich aber große Geborgenheitssehnsucht. Das sind schon mal viele und nicht die einfachsten Seiten und Eigenschaften für eine Figur. Aber es kommt noch dicker: Herr Dorm, einer ihrer Klienten, ist Stalker, Schwuler, Rollstuhlfahrer. Er war einst Täter und ist nun Opfer von Herrn Hellberg. Das Ex-Opfer quält - geregelt durch das "Arrangement" - nunmehr rundum geduldet den Ex-Täter.
Wer oder was noch normal ist, verwischt sich zunehmend. Natalie will aber Klarheit und vertieft sich in diese seltsame und grausame Foltergeschichte. Das ist spannend, spitzt sich zu und wird hier nicht weiter verraten. Verraten kann aber werden, wie es Setz schafft, dass man immer mehr von Natalies Welt will. Dass man trotz der kranken, krassen Geschichte Tag für Tag oder Nacht für Nacht weiterlesen will, ja, muss. Der Setz-Sog macht nämlich süchtig und hat was von einer Fernsehserie. Die Lektüre ist nicht sehr schwierig, die Kapitel nie sehr lang. Es wird mit Wiederholungen gearbeitet, Gedankenabschweifungen Tür und Tor geöffnet und dazwischen finden sich auch Tipps bzw. Anleitungen für poetische Alltagshandlungen, dann wieder ein bestechender, magischer Satz oder ein unvergessliches Bild. Denn, ja, Setz baut Bilder auf, setzt auf "luminous details" und vergisst dabei nie, auch noch prächtig zu unterhalten. In Summe ist das alles so faszinierend anders, so alles andere als mainstreamig, dass einen der Erfolg etwas überrascht, aber mehr freut. Der Winter wird lang - ran an den Setz!
CLEMENS J. SETZ. DIE STUNDE ZWISCHEN FRAU UND GITARRE. Suhrkamp. 2015. ISBN 9783518424957
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