"Ein großer Dichter lässt sein Leben an sich und uns vorüberziehen und betrachtet es mit ruhiger Seele, gelassen und erfahrungsreich. Florjan Lipuš bringt es fertig, darin nicht nur ein ganzes Leben, sondern vor allem das Leben als Ganzes unterzubringen: von den ersten Wahrnehmungen und den Nöten des Aufwachsens und den Schwierigkeiten, sich in der Welt der anderen zurechtzufinden, über die ersten Glücksmomente der Begierde und der Liebe bis zu dem letzten Blick der Augen auf eine Welt, die man, auch wenn sie nicht immer verlockend war, doch nur ungern verließe.
Der Autor berichtet mit erstaunlicher Gelassenheit seine Biografie vom Aufwachsen in bäuerlicher Umgebung und gebunden in einer Familie, die von den Entsetzlichkeiten der Geschichte nicht verschont wurde. Ebenso erzählt er vom Aufwachen unter den verstohlenen Blicken einer Jungen, mit der er noch als Alter das Leben teilt. Lipuš erzählt so, dass man die Erde riecht, auf der sein Protagonist aufwächst, und die Luft einatmet, die die Menschen dort wie überall mit der Natur teilen."
Soweit der Verlag und genauso trifft das "Büchlein" mit bloß an die hundert Seiten auf die geneigte Leserin und den geneigten Leser. Übersetzt aus dem Slowenischen von Johann Strutz, geboren 1949, der als Literaturwissenschaftler und Übersetzer in Ruden / Ruda, Kärnten, lebt.
Deportation und Ermordung
"Florjan Lipuš wurde 1937 in Lobnig/Lobnik in der Gemeinde Eisenkappel/Železna Kapla geboren, seine Mutter wurde im KZ Ravensbrück umgebracht - die Verfolgung der Kärntner Slowenen während des NS-Terrors ist bis heute ein wenig bekanntes Kapitel österreichischer Zeitgeschichte. Die Deportation und Ermordung der Mutter als Angehörige der slowenischen Minderheit in Kärnten während der NS-Zeit: sie sind Dreh- und Angelpunkte des literarischen Schaffens von Florjan Lipuš. Und es ist die Figur des Vaters, der zur Wehrmacht eingezogen wurde, nach dem Krieg zurückkehrte, noch einmal heiratete und sich vor allem durch Härte in allem und gegen alles auszeichnete, die maßgeblich das Werk von Florjan Lipuš prägt."
"Der Stein mit seinem fest in der Erde vergrabenen Schweigen war der passende Ort, an dem er sich an alles Vergangene erinnerte und sich voll Eifer und nicht zum ersten Mal darüber wunderte, daß gerade er unwiderruflich da ist, unter jenen Auserwählten, die am Leben sind." Steht auf der Rückseite des Einbandes. Auf der Vorderseite das Bild einer verrosteten Dose, befüllt mit schweigenden Steinen. Das macht die Schönheit des Buches aus; das kleine Detail, welches eine große Wirkung hat und eine Seelenschau ins Sein bewirken kann.
Schweigender Vater
Florjan Lipuš nimmt uns seelenruhig mit auf die Reise durch das Leben. Zur Versöhnung mit seinem schweigenden Vater - "Er ist zum Ort der Kindheit zurückgekehrt, aber es war kein Anfang, kein Ende, keine Mitte, sondern eine kaum erkennbare Markierung auf der Zeitlinie, eine Notiz nur, ein neuer Abdruck in diesem Kreisen, ein flüchtiger Kratzer" teilt er uns mit auf Seite 104, beinahe am Ende des Buches.
Man achtet darauf langsam und konzentriert zu lesen, das Tempo des Verfassers zu erreichen, um nur ja nichts zu versäumen, kein Bild zu verpassen, welches da mit sprachlicher Wucht, poetisch schön, vorbei zieht und Spuren des eigenen Erinnerns hinterläßt. Ein Buch, welches man immer wieder gern zur Hand nimmt, um darin zu blättern und gedankenverloren auf einer Parkbank dem Fließen des Flusses zusieht.
FLORJAN LIPUŠ. SEELENRUHIG. Erzählung. Jung und Jung. 2017. Das Original erschien 2015 im Verlag Litera in Maribor. ISBN: 978-3-99027-099-8