Wieder eine Autorin, die vor geraumer Zeit (Ausgabe DUM 74 / Sommer 2015) in DUM vertreten war und jetzt mit ihrem Debütroman für Aufsehen sorgt. Die 1978 in Kirchdorf an der Krems geborene und in Wien lebende Verena Stauffer hat ihr Romandebüt "Orchis" bei Kremayr & Scheriau, einem der engagiertesten Verlage für JungautorInnen veröffentlicht. Die Flora dürfte es der Autorin angetan haben, wie schon der Titel ihres Lyrikdebüts aus dem Jahr 2014, "Zitronen der Macht" (hochroth) vermuten lässt.
Mit "Orchis" war Verena Stauffer sowohl auf der Shortlist für den Literaturpreis Alpha 2018 der Casinos Austria, als auch auf der Hotlist 2018 der zehn Bücher des Jahres aus unabhängigen Verlagen. Der ca. 250 Seiten dicke Roman erzählt die Geschichte des innerlich getriebenen Orchideenforschers Anselm, der sich Mitte des 19. Jahrhunderts auf eine Expedition nach Madagaskar begibt, um dort die Angreacum Sesquipedale, die schönste Orchidee der Welt, zu finden. Vor Ort lernt er den englischen Botaniker Lendy kennen, der mit demselben Ziel nach Madagaskar gereist war. Die beiden freunden sich an und durchqueren gemeinsam die Insel Richtung Osten, zunächst von einigen Einheimischen geführt, dann ganz auf sich allein gestellt, und finden tatsächlich die begehrte Orchidee.
Im Sturm von Deck
In einem aus Europa mitgebrachten und vor Ort zusammengebauten Wardschen Kasten transportiert Anselm den Großteil der gesammelten Orchideen, um sie so sicher nach Europa zu bringen. Doch ein Unwetter mit kräftigem Sturm fegt den Wardschen Kasten bei der Rückfahrt vom Deck des Schiffes.
"Gott im Himmel! Er schwimmt! Da draußen im Meer!"
Stille. Es stürmte, das Schiff schien nicht mehr unter Kontrolle zu sein, die Ochsen schrien, nur Anselm hörte nichts mehr. Lendy fand ihn, als das Gewitter vorbei war, in einer Ecke kauernd, er zitterte wie Espenlaub.
Der Verlust des Großteils seiner Orchideen scheint Anselm in einen Wahn zu treiben, denn plötzlich hat er das Gefühl, aus seiner Schulter wachse eine Orchidee. Zurück in Europa bringen ihn seine Eltern in eine Nervenheilanstalt, wo sich Anselm langsam, aber doch erholt. Wieder genesen tritt er dank Fürsprache seines Vaters eine Stelle an der Akademie für Land- und Forstwirtschaft an, wo er den angesehenen Professor Rössler vertritt und sich binnen kürzester Zeit einen Namen als angesehener Botaniker macht.
Anselm wird eingeladen, an einem Orchideenkongress in Kew Gardens einen Vortrag zu halten und freut sich über die Gelegenheit, dort seine Theorie zur Befruchtung der Angreacum Sesquipedale darzulegen, um damit dem berühmten Charles Darwin zu widersprechen, der behauptet, Orchideen seien auf Schmetterlinge oder andere Insekten zur Befruchtung angewiesen.
Der Frauenschuh
In England trifft Anselm auch seinen Freund Lendy wieder und lernt auf einer Ausstellung einen Botaniker namens Nendelli kennen, der von einer seltenen Orchidee, dem Chinesischen Frauenschuh, schwärmt. Nendelli gibt vor, am Sprung nach China zu sein, um als erster diese besondere Orchidee nach Europa zu importieren. Das weckt in Anselm eine neue Besessenheit, den Wahn, selbst dieser erste sein zu müssen. Der getriebene Orchideenforscher lässt den Orchideenkongress in Kew Gardens, zu dem selbst Darwin angereist war, kurzerhand platzen und macht sich überstürzt auf den Weg nach China ...
Verena Stauffer überzeugt in ihrem Debütroman nicht nur mit einer spannenden und ausgeklügelten Geschichte, sondern vor allem auch mit einer ungeahnten botanischen Detailverliebtheit in ihren Naturschilderungen:
Das Erdreich war ein einziger blauer Teppich, eine Welle, ein Schwall. Tausende Blumen wuchsen hinter all den Flüssen, die sie gequert hatten. Eine duftende Wolke stieg auf, verbreitete sich in den Blättern, hob an und wurde zu hunderten Himmeln. Das Erdreich bedeckt von festen, dunklen Beeren in glatter Haut, kleinen Sträuchern wie Zwerg-Holunder. Dazwischen die hohen, gestreiften Blätter der Chinaorchidee. Ihre blutroten Stängel, die Blüten wie Saphire trugen.
VERENA STAUFFER. ORCHIS. Kremayr & Scheriau. 2018. ISBN 978-3-218-01104-4