OBEN ERDE, UNTEN HIMMEL

Autor*in: MILENA MICHIKO FLAŠAR
REZENSION: Martin Heidl
"Alleinstehend. Mit Hamster, so beschreibt sie sich selbst. Suzu lebt in einer japanischen Großstadt. Unscheinbar. Durchscheinend fast. Der neue Job aber verändert alles. Ein umwerfender Roman über Nachsicht, Umsicht und gegenseitige Achtung.
Herr Ono ist unbemerkt verstorben. Allein. Es gibt viele wie ihn, immer mehr. Erst wenn es wärmer wird, rufen die Nachbarn die Polizei. Und dann Herrn Sakai mit dem Putztrupp, zu dem Suzu nun gehört. Sie sind spezialisiert auf solche Kodokushi-Fälle. Fräulein Suzu, wie der Chef sie nennt, fügt sich widerstrebend in die neuen Aufgaben. Es braucht dafür viel Geduld, Ehrfurcht und Sorgfalt, außerdem einen robusten Magen. Die Städte wachsen, zugleich entfernt man sich voneinander, und häufig verschwimmt die Grenze zwischen Desinteresse und Diskretion."
Soweit der Klappentext des Wagenbach-Verlages, der den Roman so ankündigt, wie er auch ist ...

Schon das Titelbild in Form von Blumen mit gelben Blüten und dünnen, grünen Stängeln auf weißem Hintergrund, verspricht genau das, was folgt.
Milena Michiko Flašar bearbeitet in ihrem dritten, bei Wagenbach erschienenen Roman den Tod, den einsamen Tod.
Es sind Kleinode der Zartheit, der Zugewandtheit zu den Außenseiter:innen, der Hoffnung auf Glück im Irgendwann mit der Zuspielung von Zufällen, die das Leben querstellen, und somit Veränderungen ermöglichen.
Der nächste Beruf der jungen Suzu ist eine "Leichenfundortreinigerin", der Ausmaße annimmt, die eine Teilhabe am Gesellschaftsleben praktisch "erzwingt". Der Tod als Schritt ins Leben ...

Drop-Out

Ich mag die leisen Töne der Autorin, um das Laute zu beschreiben; ich mag die Einblicke in den Alltag der Verlorenen und Übersehenen, die selbst ihr eigenes Leben übersehen; ich mag die Gedankenstränge, die erzählt werden, die den Blick auf scheinbar Banales lenken; ich mag es, dass Flašar der Leserschaft die Möglichkeit lässt, sich im Buch selbst zu finden und eigene Verbindungen zu kreieren ...
"Mein Drop-Out war gewissermaßen ein Sayonara an den Trampelpfad der lauteren Mehrheit. Leise zweigte ich von ihm ab." - meint Fräulein Suzu auf Seite 43. Und genau damit vollzieht sie den Schritt in die Welt hinaus.
Und die Leserschaft kann "lernen" und "erkennen". Die Autorin beschreibt zum Beispiel das Ghosting; das einfach so verlassen werden. Für mich ein neuer Begriff als beinahe "verbindungsloser" Zeitgenosse.

Die Erklärungen des Japanischen am Ende des Buches sind eine Reise für sich. Japanische Lebensgewohnheiten gewähren einen Einblick in eine Fremde, die keine Fremde ist, denn sie kann überall sein ...

Eine Leseempfehlung. Empfehlen kann ich auch, die Autorin live zu hören und zu sehen ...

MILENA MICHIKO FLAŠAR. OBEN ERDE, UNTEN HIMMEL. Wagenbach Verlag. 2023. ISBN 978-3-8031-3353-3