BETEILIGUNG AM WIEDERAUFBAU DER ZUVERSICHT

AUTORIN: SIMONE HIRTH
Rezension von Markus Köhle
Ein schönes Buch. Ein grünes Buch. Ein ungewöhnliches Autorinnen-Foto. Ein alles andere als herkömmlicher Buchtitel. Ein ungewöhnliches Cover (mit Dübel, Zange, Bohrer, Ziegel, Schrauben und im Inneren werden die Kapitel dann genagelt). Genug der Äußerlichkeiten. Lasset uns losrezensieren!

Die Heldin ist Mitte zwanzig, das Elternhaus zerstört, sämtliche Lebensentwürfe eingestürzt, es gilt, sich eine vorübergehende Notunterkunft einzurichten und den Wiederaufbau zu schaffen. Auf den Herkunftsverlust folgt der Systemausbruch und die einstweilige Selbstversorgung. Ziel ist aber dennoch eine moderate Wiedereingliederung. Mit allen sprachlichen Mitteln. Nein, mit anderen sprachlichen Mitteln als gewohnt.

Das Ich saugt Stimmen auf

Das Ich - die Fleischertochter und Schusterliebe - saugt Stimmen aus der Umgebung auf, macht interessante Beobachtungen (Bollerwagentransporte und Schrebergartenkoloniegesetzte betreffend) hat ein Faible für Wörter (Betriebsratte, Notfallhammer, Herdplattenheiligkeit, Hagebutten und ausgerechnet Pelargonien), betreibt Einsamkeits-Singen (eine Art Anti-Isolations-Ansingen, später dann hat sie den Beratungsstellen-Blues), hantiert mit Sprachtrümmern, hat ihre Baumarktsünden (Saatgut- und Zementdiebstahl etc.) abzuarbeiten, leidet unter massivem Alltagsverlust aber blühender Phantasie (Insekten statt Sozialversicherung, um ins Nest getragen zu werden) und intensiven Traumausritten.

Formal ist das überzeugend realisiert, eine paradebeispielhafte Dekonstruktion auf allen Ebenen. Es werden Bruchstücke präsentiert: Gebetsabwandlungen, Pilzwissenseinschübe, Listen, Wand-Ansprachen, Lautmalerein ("Drridridrüh") und eben romantische Hymnen und Lieder. Weltfremdheit ist Programm, Zivilisations- und Fortschritts-, nein, Status-Quo-Kritik untermauert das Romangebäude.

Als Romanhaus hat dieses Buch ein gutes Fundament und ist alles andere als eine Notunterkunft vielmehr eine exzentrische, wagemutige aber solide Konstruktion mit vielen Fenstern und Türen (und gutem Blick in den Himmel). Auch das Konterkarieren von BWL-Lehrsätzen und Ernstfallsverhalten entwickelt eine überraschende Komik. Generell überrascht dieser Roman mit seiner Sprache, seiner Form, seiner Absicht. Das ist eine neue Art Trümmerliteratur: lustvoll, experimentierfreudig und dennoch zielgerichtet. Form vermörtelt Inhalt. Absolute Empfehlung!

SIMONE HIRTH. LIED ÜBER DIE GEEIGNETE STELLE FÜR EINE NOTUNTERKUNFT. Kremayr & Scheriau Wien 2016. ISBN 978-3-218-01045-0