LIEBE WIRD OFT ÜBERBEWERTET

AUTORIN: CHRISTIANE RÖSINGER
REZENSION: Kathrin Kuna
Konsequenterweise veröffentlicht Christiane Rösinger nach dem 2010 erschienen Album "Songs of L. And Hate" nun ein Buch, in dem sie sich mit Liebe beschäftigt, eine Auseinandersetzung - wie könnte es anders sein - mit viel Ehrlichkeit und Ironie. Nach dem lakonischen Titel "Liebe wird oft überbewertet", wird das Buch im Paratext als "Sachbuch" bezeichnet, das es natürlich nicht ist. Christiane Rösinger kennen viele als Sängerin der Lassie Singers. Wir erinnern uns an einen Sommer, in dem man herrlich mitjaulen konnte: "Es ist so schade, dass Du so bist wie Du bist! Dass Du leider nicht ein anderer bist ..." Auch "Liebe wird oft überbewertet" ist ein Lied der Lassie Singers. Es ist zur Gänze am Ende des Buches abgedruckt, die erste Strophe lautet:

Liebe wird oft überbewertet
Liebe ist nicht so wichtig, wie man denkt
Liebe ist nur ein Teilaspekt des Lebens
Und die anderen Teile sind auch nicht schlecht

Diese Einstellung vertritt Christiane Rösinger konsequent, während sie sich ausführlich mit genau diesem Teilaspekt des Lebens beschäftigt. Das Buch ist in vier große Bereiche unterteilt, jeweils einer der vier Jahreszeiten zugeordnet. Alles beginnt mit dem Winter in Berlin. Tagebuchartige Einträge stimmen sozusagen auf das Thema ein bzw. erzählen am Rande eine biographische Entwicklung. Auf der zweiten, der "Sachbuch"-Ebene wird sowohl Sekundärliteratur zum Thema "Liebe" diskutiert wie auch zeitgenössische Phänomene von der Autorin selbst analysiert. Während sie in der Theorie sogar auf Plato und Aristoteles zurückgreift (wie auch die Autoren der wissenschaftlichen Publikationen, auf die sie eingeht, es zum Großteil tun), beschäftigt sie sich dazwischen mit dem zeitgenössischen Mainstream und gibt uns erhellende, vor allem aber unterhaltsame Einblicke in die Vampirbeziehungen und den Liebeskomplex von "Bauer sucht Frau". Zwischendurch wird sogar auf eine Zeitungsmeldung aus der österreichischen Tageszeitung "Der Standard" eingegangen. Kunterbunt gemischt sind die Ansätze, Einflüsse und Eindrücke.

Illusion romantischer Liebe

Immer wieder stützt sie sich auf die Biologie, um die Unmöglichkeit der Monogamie zu verteidigen und die Illusion der romantischen Liebe, so wie sie uns seit Erfindung der Massenmedien vorgegaukelt wird, zu dekonstruieren. Erstaunlich ist dabei, dass es in erster Linie um die "RZB" geht, die romantische Zweierbeziehung und nur sehr wenig um Alternativ-Modelle wie Polyamory. In Kapiteln mit den Titeln "Geld und Liebe", "Pärchen in Hotels" und "Psychologische Liebestheorien" wird auf die Bücher und Thesen von bekannten Vertretern der Liebesforschung eingegangen. Die Soziologin Eva Illouz wird zitiert und kritisiert, mit der Anthropologin Helen Fisher kann Rösinger etwas mehr anfangen, ebenso mit den Liebesmodellen des Soziologen John Lee. Interessant ist dabei, dass Christiane Rösinger weder auf das 2010 von Richard David Precht verfasste Buch "Liebe. Ein unordentliches Gefühl" noch auf Sven Hillenkamps "Das Ende der Liebe. Gefühle im Zeitalter unendlicher Freiheit" eingeht. Bei Precht hätte sie vermutlich nicht so viel Neues für ihre Argumentation finden können, Hillenkamp hätte aber vielleicht geholfen, den einen oder anderen Punkt noch etwas stichhaltiger auszuformulieren.

Am Ende ist es vor allem ein Buch, das man mit gebrochenem Herzen lesen sollte. Genau im richtigen Maße wird man durch die Lektüre nämlich auf eine rationale Ebene "heruntergeholt" ohne dabei den Humor und die Relativität der Dinge zu vergessen. Textstellen wie gleich zu Beginn, wo Christiane Rösinger auf das Phänomen "Knut" eingeht und ihn als Justin Bieber der Eisbären bezeichnet, machen die Lektüre unterhaltsam und die Ansichten der Autorin sympathisch. Rösinger ist ein Plädoyer für eine gesunde Distanz zum Thema "Liebe" gelungen - rar in unserer einerseits völlig romantisch verkitschten virtuellen Welt, andererseits in der Realität, der von Selbsthilfeliteratur und Datingplattformen überfluteten Single-Wirtschaft. So konsequent die Liebe aus der Hysterie schälen ohne zu entzaubern, ironisch darzustellen ohne dabei zynisch abgeklärt zu wirken, kann vermutlich nur jemand, der gleichzeitig so großartige Lieder wie "Ich muss immer an dich denken" und "Die Pärchenlüge" geschrieben hat.

CHRISTIANE RÖSINGER. LIEBE WIRD OFT ÜBERBEWERTET. Fischer Verlag. 2012, ISBN 978-3-10-092946-4