KLEINFAMILIENALLTAGSHORROR AUS ST. PÖLTEN

Autor*in: JESSICA LIND
REZENSION: Markus Köhle
Die kleinen Monster sind die Kinder. So viel darf schon mal verraten werden. Was die Kinder untereinander machen und was sie mit den Eltern machen. Wie sie die Eltern um den Finger wickeln und in den Bann ziehen und wie sich dadurch die Eltern verändern in überfürsorgliche, alles tolerierende oder eben strenge, maßregelnde Menschen. Klar ist, nichts ist mehr wie vorher. So ist der Roman natürlich auch ein Buch über Beziehungen und die diversen Belastungen, denen sie ausgesetzt sind. Der Titel "Kleine Monster" wäre nicht von Anfang an so aufgeladen, wäre da nicht dieses Buchcover. Im Anhang schreibt die Autorin darüber, dass das Cover die Seele des Buches einfange. Wir sehen: Himmel, Wald, See. Wir sehen einen weißblauen Himmel, einen sattgrünen Nadelbaumwald und die Spiegelung desselben im Wasser des Sees UND wir sehen einen Spalt der sich durch das idyllische Bild zieht, einen Spalt, durch den eine Hand greift.

Wird hier der Vorhang zugemacht oder beiseite geschoben? Wird was entdeckt oder verhüllt? Wer greift da ein und durch? Gar die Hand Gottes? Nein, Maradonna spielt keine Rolle in diesem großartigen Roman, katholische Erziehung und die ewige Schuld allerdings sehr wohl. Im Mittelpunkt des Geschehens eine Mutter-Vater-Sohn-Familie. Pia, die Ich-Erzählerin, arbeitet in einem Antiquitätenladen in St. Pölten, Jakob ist Schlagzeuglehrer und vorbildlicher Vater, Luca ist sieben und Volksschüler. Es gibt einen Vorfall in der Schule, der aus Spannungsgründen hier nicht weiter erläutert werden soll. Es wird damit aber etwas losgetreten, das sich über das ganze Buch hinweg aufbaut. Wir sind der Sichtweise der Ich-Erzählerin ausgeliefert, die von sich selbst behauptet, die Unkooperative und Feindselige zu sein, wohingegen Jakob der Tröster und Versteher ist und Luca ist einfach nur Kind.

Wald / Angst

Die Gegenwart ist schon mal nicht ganz lupenrein, weil sich in Pias Kopf immer alles mit allem verschwört, richtig bedrohlich und schauerlich wird es dann aber, wenn Vergangenheitskapitel eingeschoben werden. Da hat dann der Wald seinen Auftritt. Es werden Kindheitserinnerungen aufgerollt und der finstre Wald macht, was er auch in Märchen schon immer gut konnte, er schürt Angst. Pia hatte zwei Schwestern: Linda und Roni. Die Präteritum-Form ist bewusst gewählt, mehr sei auch hier nicht verraten. Pia träumt gern und sie mag nicht nur die schönen Träume sondern auch die anderen, die sie verschwitzt oder weinend aufwachen lassen: "Dennoch sehne ich mich gerade nach diesen, weil die Gefühle so stark sind und gleichzeitig ohne Konsequenzen. Aus dem gleichen Grund habe ich Horrorfilme immer gemocht." (S. 26)

Oh ja, starke Gefühle und ein Horrorfilm der abläuft, ob nur im Kopf von Pia oder im Hintergrund, wir wissen es noch nicht aber wir ahnen Schlimmes, das ist spannend und gruselig. Der Wald und Pia bergen ein Geheimnis, das ist klar. Aber wer ist das Ungeheuer? Die fahrige Mutter? Der tiefe Wald? Das unschuldige Kind? Oder gar der gute Jakob? Selber lesen und mitfiebern. "Kleine Monster" ist bester Kleinfamilienalltagshorror aus St. Pölten. Es geht um überforderte Eltern, grausame Kinder und überzogene Reaktionen. Es geht um Kommunikationsunfähigkeit, Familiengeheimnisse und spooky Kinderspiele. Es geht um alles. Der Text ist superrealistisch und ein Horrorfilmskript. Denn der Horror ist immer im eigenen Kopf.

JESSICA LIND. KLEINE MONSTER. Hanser. 2024. ISBN 978-3-446-28144-8