Juhu liebe DUM-Leser*in! Ich habe soeben mein persönliches Lieblingsbuch des Jahres gelesen und weil ich aus diesem weiß, wie wertvoll Buchtipps sein können, möchte ich es dir auch empfehlen. Es heißt "Kilometer Null" und ist von Stefan Kutzenberger. An Kutzenberger wird man künftig nicht vorbei kommen, will man über moderne (falsches Wort, aber da fehlt halt noch das Vokabular) Literatur in Österreich reden (und nicht bloß smalltalken). Es geht darin nicht nur alles auf, der Autor geht auch auf alles ein, was er nicht nur in diesem Buch sondern auch schon in den zwei Vorgängern (Friedinger, Jokerman) aufbereitet hat. Er verliert dabei weder seinen Humor noch den langen Atem. Das ist dermaßen erfrischend und wohltuend (wie ein gut gezapftes Bier), dass man dem Buch möglichst viele Leser*innen wünschte, wenngleich man schon auch gerne hätte, dass es ein Geheimtipp bliebe, den man als Wissender noch unwissenden Lesenden unter leicht vorgehaltener Hand (und "Literatur-Literatur von einer anderen Welt und doch aus Österreich" wispernd) weitergeben könnte.
Ja, Friedinger ist leichter, Jokerman lustiger zu lesen. Aber Kilometer Null ist schon der absolute Höhepunkt und in den kompositorischen Details vermutlich erst bei der zweiten Lektüre gänzlich fasslich. Aber das ist auch das Besondere am Buch, man muss nicht alles gleich ganz genau durchschauen, man kann sich tragen lassen, kann den unzuverlässigen (korrupter, österreichischer Beamter) Erzähler machen lassen und schauen, wohin das alles führt und freut sich narrisch, wenn all die Um- und Abwege schließlich doch schön zusammenschnurren. Vermutlich werde auch ich, wenn ich demnächst mal auf ein Buch von Onetti stoße, dieses zumindest kaufen, neugierig auf den Autor bin ich schon. Alles kommt wieder in "Kilometer Null", alles, außer dem Kulturbeutel und selbst da ist man froh, dass dieser eben keinen Auftritt hat, denn T-Shirts, Jeans und der Joghurt lassen sich eher verkraften als der unsägliche Kulturbeutel.
Wundertüte
Ja, "Kilometer Null" ist eine literarische Wundertüte und da wäre Wundersackerl oder Wunderbeutel nun wirklich nicht besser. Wobei natürlich auch "literarische Wundertüte" allenfalls blurbtauglich, aber nicht ganz treffend ist, weil durch das Vorschieben des Literarischen (was das Buch natürlich hat) so viel anderes verdrängt wird, was es eben auch hat. Denn "Kilometer Null" ist rotzfrech, goschert und dermaßen nicht deppert, dass sich dieser Text alles erlauben kann und er macht es auch, das ist ja das Grandiose. Dieser Autor will sich nicht in den Literaturbetrieb betten, er will diesen eher sprengen und dem so geschaffenen, neuen Literaturraum einen neuen Anstrich geben: "Bis auf Gesichtshöhe waren die Wände mit dunkelblauem Lack angemalt, darüber in schmutzigem Weiß."
Und weil mir grad das "Sprengen" ausgekommen ist, sei auch gleich erwähnt, dass es dem Erzähler gelingt, zu wissen, wann der geneigte Leser, die gewillte Leserin vermeint, es wäre zu dick aufgetragen worden. Denn zwei-drei Kapitel später wird die Erklärung nachgeliefert und immer hat er damit Recht. Denn über Krieg zu schreiben und die Gräuel nicht auszusprechen, macht Literatur (die alles darf und alles kann) zu schlechter Literatur. Der finale Kutzenberger-Trilogie-Band aber ist saugute Literatur. Zumindest ich wünsche mir jetzt nicht nur möglichst bald einen neuen Roman von diesem Kutzenberger, sondern ich wünsche mir überdies, als Schwein wiedergeboren zu werden. Auf dieses Buch gehört angestoßen, vielleicht mit einem Salutaris Mineralwasser, gerne auch mit einem gepflegten Bier, am besten mit einem aus Freistadt.
STEFAN KUTZENBERGER. KILOMETER NULL. Berlin Verlag. 2022. ISBN 978-3-8270-1441-2