"In lyrischen Texten, Fotografien und als Komposition inventarisieren die Schriftstellerin Angelika Reitzer, der Fotograf Ditz Fejer und die Komponistin Maria Gstättner das steirische Mürztal poetisch, geografisch und musikalisch und stellen in Buch und Musik-CD - ausgehend von dieser Gegend - überregional relevante und zeitgenössische Fragen, etwa jene nach den Voraussetzungen eines guten Lebens." "Die Edition Kürbis läuft unter Kulturinitiative Kürbis Wies in der Steiermark. Diese versteht sich als Plattform für aktive Kulturarbeit im ländlichen Raum und entwickelt bzw. produziert eigene Formate." Die Kürbismacherinnen und -macher treten dem entgegen, dass kulturelle Angebote und Schwerpunkte sich noch immer zu sehr auf urbane Ballungsräume beschränken - www.kuerbis.at
Aufmerksam auf das Inventar der Gegend wurde ich durch das auserlesene Magazin "Augustin", das ich irgendwann mal in der Kremser Innenstadt ergatterte. Der Augustin-Verkäufer gehört ebenda zum "Inventar" ... Aus der 1. Auflage von 500 Stück erhalte ich die Nummer 317; das Coverbild läßt beim Einstieg in das Mürztal - eine Straße, eine Einbahnstraße, wie es aussieht, führt durch eine Bahnunterführung in eine Gemeindebaugegend mit schneeangezuckertem Wald - eine gewisse Tristesse erahnen. Farblich dominiert Weiß in so mancherlei Schattierungen, unterbrochen von Farbtupfern, die von Kaminen, einer PKW-Heckleuchte stammen, und einem Rosa, das die besten Zeiten am Brückenaufbau schon hinter sich hat.
Und es beginnt mit der "Inventur" - womit denn sonst?
Die Inventur mittels Fragenkatalog für die "Dagebliebenen" aus allen Generationen stammend.
Die Themen Gehen / Bleiben / (Zurück-)Kommen werden anhand eines geografisch-poetischen Inventars der Region Mürztal verhandelt: Nebenbei ist das Inventar der Gegend auch ein Versuch, eine Reihe zeitgenössischer und überregionaler Antworten auf die Frage nach dem guten Leben zu geben.
Und das ist dem Dreier-Team aus unterschiedlichen Professionen vollends gelungen.
Die Fotografien geben schichtweise einen Einblick in die Gegend frei. Ausschnitte ohne Menschen - das Hinterbliebene zweifelsohne von Menschenhand "geschaffen" und / oder zerstört, ist nicht wirklich einladend.
Ich bin immer schon hier
Und doch lebt man(n) / frau hier. Die Stelleninserate machen einem das Glauben ... und die "Sprachzitate" der Bewohnerinnen und Bewohner geben einen möglichen Ausblick auf die Gegend frei:
"Ich bin immer schon hier / Immer schon da / Zufall da geborn / Wo mir die Menschen ähnlich geworden / Und mich die Landschaft nervt
...
Beweg mich nicht vom Fleck / Mag, dass mir die andern ähnlich sind / Reden alle gleich
...
Wir wollen alle / Luftveränderung / Weltveränderung / dachten früher / Weltverbesserung / Da musst du gehen aufbrechen / Oder genau an der Stelle / Den Blickwinkel drehen
..."
Dazwischen dann Betrachtungen aus dem fahrenden Zug heraus; in dem Tempo, wo die Menschen nicht mehr wahrnehmbar sind, die die Gegend beleben. Die Unschärfe der Bilder für das Tempo des Lebensalltags - genaues Hinsehen ist nicht drinnen.
"Sag, was du willst / Zeig, wer du bist / In deiner Sprache / Lass Reden übers Aufbrechen / Ankommen Hiersein Hör zu ..."
Beeindruckend die Lesart einer Gegend; zum Nachdenken anregend für das "Eigene", die Hintergründe, die Absichten, das Aussichtslose ...
Noch verfeinert mit einer Musik-CD, die die Reise begleitet - eine Achterbahnfahrt durch das Mürztal mit einem bleibenden Eindruck.
Das Mürztal - ich werde es besuchen gehen.
ANGELIKA REITZER / DITZ FEJER / MARIA GSTÄTTNER. INVENTAR DER GEGEND. Buch inklusive CD. Edition Kürbis. 2020. ISBN 978-3-900965-57-0