INTERTEXTUALITÄTS-
VEXIERSPIEL

AUTOR: Martin Fritz
Rezension von Markus Köhle
Das Debüt von Martin Fritz war längst fällig. Jetzt liegt mit "intrinsische süßigkeit" ein Lyrik-Band vor, den sie beim neuen Lyrik-Verlag Berger oder im guten Buchhandel bestellen können, weiterempfehlen sollen, ernst und leicht nehmen dürfen aber lesen müssen (mehrmals!). Fritz bittet zum Tanz: Er gibt Synapsenzumba oder "alles macht nichts wenn wir tanzen meine katze".

Nach dem Geleitwort von Luhmann hebt Fritz an mit der programmatischen Tierbaby-Elegie "die tierbabies um uns sind unruhig", darin werden der Ton und die Marschrichtung vorgegeben. Ein hoher lyrischer Ton volle Kraft voraus in des Moormaulwurfs Territorium: Tief in die Abgründe des Netzes und hoch in poetische Gefilde wird die Reise gehen. Für Fallhöhe die knallt ist gesorgt. Und wer wird schon nicht gerne geknallt, so zur Einstimmung auf Kommendes? Apropos: Tierbabies ficken die Kritikfähigkeit, Tierbabies sind der kleinste gemeinsame Niedlichkeitsbekennungsnenner, Tierbabies fiepen uns ins Hirn und Lyrik und Tierbabies sind wie Tofu und Stelze, wie Kümmelschnaps und Eierlikör, wie Crocs und Clarks, wie schlechte Vergleiche und Geschlechtervergleiche.
Einerseits also die Tierbabyflut - andererseits kein Mond, kein Meer, keine Rose aber Links, Zitate und Statusmeldungen (Tierbabies sind im Netz ja auch realer als in der Natur).

Gedankenprügelei

Es folgt "the definition of correctness": Auseinandersetzungen des analogen Karpfens und der digitalen Katze, des Süßwasserrosses und der felinen Opposition und klar wie Obstler, es geht um die Wurst. Macht heutzutage wer in Lyrik, muss es um die Wurst gehen; um die Wurst und alles. Die Wurst ist das Leben und das Alles das Internet. Das eine hat zwei Enden und das andere ist unendlich.
Hier wird angewandte Netzwelterdung genauso ernsthaft betrieben wie seriös unterfütterte Hirnleerlaufzeitrechtfertigung. Hier geht es um Differenzsichtbarmachung. Hier werden Beziehungsmodelle und Lebensentwürfe präsentiert, die es nachzuzeichnen lohnt. Das ist in dieser raffinierten Machart gut dosierte, nebenbei noch fein humorige Diskursliteratur. Jedes Gedicht ein Denkanstoß. Ja, manches Gedicht gar eine Gedankenprügelei (bis zum Karpfen-K.O.); dabei aber immer wissend: "der hauptfeind ist das eigene denken" (29)
Das ist mitunter sperrig im Sinne von gut verschlüsselt, aber immer ansprechend. Kluger Unfug, Alltagsalbernheiten und Blitzgescheites halten sich dabei die Waage. Eure Schwäche ist unsre Ausgewogenheit - würde das lyrische Ich dazu wohl sagen. Denn dieses lyrische Ich ist kein Schaf, vielmehr ein sympathischer Nerd im Tierbabypelz. "es geht hier nur um eins sagt die katze: um plankton und darum zu leuchten" (19)
Diese Verse flackern ureigen, sind eher schmirgelpapierig als blitzblank und never forget: "alles ist tief intertwingled" (23). Aber die Katze hat natürlich leicht reden, die hat noch sieben Leben. Der Karpfen aber kommt zu Weihnachten auf den Teller. Die Zeit ist also knapp und an Weihnachtswunder wird ebenso wenig geglaubt wie an die Besten der Generation.

Als Beweis wird ein Ginsberg re-reloaded Geheul angestimmt. Das ist zeitgemäß hochgepitchte Beatdichtung, die sich selbst leider bald schon wieder überholt haben wird, aber einen Moment lang schmerzhaft wahr war.
Und im letzten Teil der "intrinsischen süßigkeit" tritt das Wir in Erscheinung, es wird erlebt, dazwischen heult (als running gag) irgendwo ein Wolf, die Liebe zu Katzen aber bleibt. Überhaupt: die Liebe. In diesem Buch steckt mehr Liebe (stecken mehr Liebesgedichte) als erwartbar; zwar lieber verklausuliert als gefühlsduselig, lieber vertrackt als erichfriedig. Aber so ist die Liebe ja nicht selten: Katzen schnurren und schmusen nicht nur, sie fauchen auch und haben Krallen.

Gegenteil eines Tierbabies

Die Gedichte von Martin Fritz haben feine Widerhaken und hohen Wiedererkennungseffekt, sie sind dermaßen präsent, dass sie für TurmbundtraditionalistInnen und sonstige ästhetisch Rückwärtsgewandte als fremde Zukunftsmusik daher kommen müssen. Sie sind also in Summe das Gegenteil eines Tierbabies; sie sind eine beinahe ausgestorbene Art. Danke für diesen geglückten und glücklich machenden Wiederbelebungsversuch einer in dieser Ausprägung leider immer rareren Gattung der Dichtung.
Die "intrinsische süßigkeit" ist keine zart-scheue Lyricke, sie ist ein radikal-süßes, hinterfotzig-scharfes Einhörnchenbaby. Yummy!


MARTIN FRITZ. INTRINSISCHE SÜSSIGKEIT. Lyrik. Berger Verlag 2013. ISBN 978-3-85028-578-0