Er irritiert (kennt man derartige Empfehlungen doch eher von Videokassetten), hält einen natürlich aber nicht davon ab, das Buch zu lesen. Im Gegenteil. Nach der Lektüre versteht man allerdings, dass sich der Verlag vielleicht absichern wollte.
Wie für Ernst bekannt, handelt es sich um einen Monolog. In "Die Frau des Kanzlers" waren die Worte, derer sich der Autor bemächtigte, schon so brutal wie hier. Schonungslos. Dem Inhalt angepasst. Und das ist in diesem Fall besonders unangenehm, denn es geht um einen Bereich des Lebens, der (nicht nur) in der Literatur gerne romantisch und schön dargestellt wird. Gerne in Verbindung mit Liebe. Es geht um Sex. Um das körperliche Bedürfnis. Nur um dieses. Um das Geschlechtsleben. "Das Geschlechtsleben ist ein Hund." - wie der erste Satz in diesem Buch lautet.
Ein Mann mittleren Alters lernt auf der Strandpromenade in Grado eine junge Frau kennen, die er zum Abendessen einlädt. Und das aus genau einem Grund. Das Angebot eines One-Night-Stands wird weder von ihm noch von ihr ausgesprochen, dennoch erweckt die vom Protagonisten initiierte Situation derartiges Unbehagen in ihm, dass er in einem einen Minderwertigkeitskomplex nach dem anderen aufzeigenden Geständnis genau deklariert, warum er nicht mit der ihm gegenüber Speisenden schlafen will. Warum er generell zum Entschluss gekommen ist, seine Bedürfnisse mit sich und für sich selbst zu stillen. Warum er den weiblichen Körper satt hat. Die Frau reagiert in diesem Fall nie.
In diesen Worten steckt viel Abgeklärtheit. Resignation. Und zwischendurch doch auch sehr viel Hass und Frust und Enttäuschung, was darauf schließen lässt, dass dieser Protagonist einmal anders gefühlt hat. Einen Funken Selbstironie spürt man in den Passagen, in denen er sich der Beschreibung und Erläuterung des delikaten Essens widmet. Da lässt sich die ehemalige Leidenschaft dieses Mannes noch erahnen, dem die Vorspeise soviel Spaß und Freude bereitet wie früher wahrscheinlich einmal das Vorspiel.
Eine bittere Erkenntnis eines verbitterten Mannes in einer süßen Nacht.
Das Cover und der Titel versprechen nicht, was der Inhalt erfüllt. Wenn schon ein Sticker, dann vielleicht: Nicht vor dem ersten One-Night-Stand empfohlen. Mit Alter hat das, denke ich, nichts zu tun.
Gustav Ernst, Grado. Süße Nacht, Deuticke, Wien: 2004, 164 Seiten, ISBN 3-216-30730-1