Das ist kein ganz normaler Rezensions-Titel. Gotland ist kein ganz normales Buch. Gotland ist ein schräges Buch. Schräg ist keine Kategorie. Gotland ist ein mutiges Unterfangen, in dem der Autor laut Eigenaussage, einen gänzlich neuen Zugang zum Romanschreiben für sich gefunden hat. Gotland ist ein wahnwitziger und ja, auch größenwahnsinniger, dabei glaubensskeptischer und relegionskritischer Roman. Gotland ist eine schamlose Wucht mit Bibelpathos und Schalk im Nacken.
Gezielte Verstörung ist in Gotland Programm. Das beginnt schon beim Cover, dass doch eine sehr darke, düstere Geschichte suggeriert. So dunkel ist die Geschichte über weite Strecken dann gar nicht. Aber sie ist schwarzhumorig, das schon.
Zum Text: Am Anfang steht ein irres Vorwort, das sich einem erst nach der Lektüre des Epilogs vollständig erschließt. Aber man ahnt schon, dass hier wer Großes vor hat. Ein Textgebirge wird ausgebreitet, aufgeschichtet und so viel ist bereits zu Beginn sicher: Hier geht es nicht ganz mit normalen Dingen zu. Hier muss man sich einlassen auf eine Welt, die für einen gebaut wird. Eine Welt samt metaphysischem Überbau und psychologischer Tiefenstruktur. Eine abgründige Romanwelt in der sich Reales und Surreales vermischen.
Gotlands Gott
Auf das Vorwort folgt der Prolog: Gotland. Einerseits eine eindringliche Beschreibung dieser schwedischen Insel. Andererseits wird darin die Existenz Gottes bewiesen und verworfen. Darüber hinaus wird ein Bild von Gotlands Gott gezeichnet. Aber was heißt es eigentlich, Gott gefunden zu haben?
Gotland ist übrigens eine Insel in der Ostsee. Der Finnische und Bottnische Meerbusen sowie jener von Riga sind nicht weit. Unseren Helden erinnert die Form Gotlands - als er die Insel zum ersten Mal auf einer Landkarte sieht - an das weibliche Geschlecht. Ja, die Mutter-Sohn-Geschichte in Gotland hat eine erotische und eine religiöse Komponente.
Es folgt also die Genesis. Wir folgen in sieben Kapiteln dem Aufwachsen des Protagonisten. 1. Schöpfung 2. Noah und die Sintflut 3. Kain und Abel 4. Abrahams Opfer 5. Der Turnlehrer 6. Die Unreinheit der Ziege 7. Die Schulärztin
Der Protagonist ist Sohn einer alleinerziehenden Zahnärztin in Wien. Die Bibel, das Katholische hat die Vaterfunktion zu übernehmen. Der Heranwachsende zweifelt an seinem Ersatzvater, stellt ihn mehrmals auf die Probe. Archaischer Bibelduktus dort, naiv-forschende Kinderperspektive da. Das reibt sich angenehm und hat sprachlich humoristische Effekte. Das hat aber auf die Entwicklung des Kindes auch psychologische Effekte. Was also kann passieren, wenn man die Bibel zu wörtlich nimmt, wenn man die Vaterfigur im Herrn sucht und immer wieder von Gott dem Herrn enttäuscht wird?
Gott anlocken
Es kann passieren, was im großen Kapitel "Das Buch Charles" geschrieben steht. Dieses Buch (1. Mutter 2. Schiffssetzung 3. Intimrasur 4. Die Zahnärztin 5. Die Unsterblichkeit 6. Ungeheuer 7. Das Gelände 8. Permerüd 9. Die Werkstatt 10. Der Engel 11. Tunguska 12. Der Fallturm) möchte ich an dieser Stelle nicht für sie öffnen. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass das absolute Gegenteil von gottgefällig, Gott zu Fall bringen ist. Gott anzulocken und in die Knie zu zwingen. Gott endlich zu töten, noch intensiver zu vermarkten und schließlich total auszuverkaufen.
Was dann allerdings passierte, was also nach der Ausschlachtung Gottes, passieren und folgen könnte, (eine Mischung aus Rinderwahn und Vogelgrippe, nennen wir es Wahngottgrippe) ist natürlich individuell in Gotland zu erlesen.
MICHAEL STAVARIČ. GOTLAND. Luchterhand. 2017. ISBN 978-3-6308-7543-9