Was bedeuten Grenzen in einer Zeit, in der man immer und überall versucht sie vollständig aufzuheben, zumindest aber zu überwinden? Thomas Podhostniks Debütroman zeigt sehr gut, was Grenzen für das Individuum bedeuten können. Dass sie mitunter notwendig sind, um so etwas wie seine eigene Identität überhaupt finden bzw. kreieren zu können. Um dann gegen sie anzukämpfen. Oder auch nicht. Je besser man sie kennt, umso besser kann man sie einsetzen. Da es der Leser hier in erster Linie mit einem Pubertierenden zu tun hat, sieht das Ausloten der Grenzen zuweilen ungefähr so aus:
Ich erwachte und konnte die Schulter nicht heben, der Arm war taub. Ich schlug mit der Faust dagegen, da kam das Gefühl zurück. Ich hatte von einem Spatz geträumt, er hatte mir ins Auge gepickt. Später riss ich das Kohlepapier aus einem Lottozettel. Ich saß am Schreibtisch. Ich schob ein Blatt aus dem Zeichenblock unter das nackte Ausfaltmädchen eines Magazins. Ich hatte es aus einem Papiercontainer geholt.
Zu den Nebenpersonen im Roman zählen u. a. ein Vater, eine Mutter, sowie eine Tante Anna. Mit diesen Personen wird eine eigene Mischform aus Deutsch und Slowenisch gesprochen. Die Familie ist nach Österreich eingewandert, der Ich-Erzähler, Svivo, vertritt die erste Generation im neuen Land. Neben den Verwandten ist besonders der Schulfreund Lars für den Ich-Erzähler und seine Sozialisierung von Bedeutung, später seine Freundin Vera. Inwiefern all diese Menschen Svivos Grenzen jedoch überwinden, sich im positiven Sinne darüber hinwegsetzen können bzw. sie nicht achtend überschreiten, hängt in den einzelnen Situationen immer von der Beurteilung des Lesers ab, ebenso die Frage.
Besonderheit unkompliziert und unkünstlich dargestellt
Im Großen und Ganzen wird hier zuerst das Personal eines Jugendlichen vorgeführt, wie man sich das in den USA ebenso wie in Russland, Österreich, Deutschland, Frankreich oder eben auch Slowenien vorstellt. Zu den tagtäglichen Problemen scheinen noch wie nebenbei die der Migration hinzuzukommen. Ohne Klischees bemühen zu müssen kann Thomas Podhostnik das nicht unkomplizierte Leben darstellen. Die Besonderheit unkompliziert und damit unkünstlich darzustellen gelingt ihm besonders durch seinen sehr sensiblen Umgang mit Sprache. Mit Worten zeichnet er, was das Leben dieses Jungen ausmacht, der nicht einsieht, warum er das ihm zugedachte Schicksal überhaupt auch nur ansatzweise annehmen soll.
Mutter hängte ihren Mantel an die Garderobe. Sie nahm den grünen Filzhut ab und zog sich die Stiefel aus. Auf ihrer Nasenspitze war ein roter Farbtupfer, auf der Wange ein weißes Herz. Vater saß am Schreibtisch, er lernte Deutsch aus gelben Heften. Er hatte sich bei einer Fernschule angemeldet, für einen Abschluss als Techniker. Mutter zog sich den Rock übers Knie. Pizda, fluchte sie. Sie hatte eine Laufmasche entdeckt. Ich saß auf der Couch, der Fernseher war an. Mutter ging ins Bad. Ob es noch genug Arbeit für sie gäbe, wollte Vater wissen. Später kam sie zurück, setzte sich in den Sessel, streckte die Beine aus.
Die Jugendtage werden ohne Verurteilung erzählt. In den späteren Kapiteln, in denen Svivo als Erwachsener in einem spanisch-sprechenden Land ist, verdichten sich die Handlungen. Heimatlosigkeit wird hier wiederum an Sprache festgemacht, scheint aber im Protagonisten selbst bis zur Unerträglichkeit zu wachsen und mit einer gewissen Brutalität gegen seine Grenzen zu schlagen. 100 Seiten Einsamkeit? Nicht wirklich. Beim Wachsen werden neue Räume geschaffen, beim Erwachsenwerden entdeckt man sie und muss sich der Frage stellen, ob und wie man sie zu füllen bzw. zu schützen gedenkt. Davon erzählt dieser Roman sehr eindrucksvoll.
THOMAS PODHOSTNIK, DER GEZEICHNETE HUND, Edition Luftschacht, 2008, ISBN 978-3-902373-29-8