GESICHERTES

AUTORIN: HANNA LEMKE
REZENSION: KATHRIN KUNA
Diese 18 Erzählungen, die jede einzelne wie Skizzen zu Romanen oder Drehbüchern wirken, werden durch eine Stimme verbunden. Die Ich-Erzählerin scheint oft dieselbe zu sein, aber das ist eine Vermutung. Gesichertes weiß man nicht, weil es das nicht gibt. Eine junge Frau, die entweder alles genau beobachtet hat in ihrem Freundeskreis und ihrer Familie oder aber selbst Teil des Geschehens war, selbst die Grenzen zwischen Freundschaft und romantischer Liebe, zwischen Distanzbedürfnis und Verachtung austestet.

Judiths Blick auf mich war, als würde sie sich Witze über mich ausdenken. Aber sie schaute mich selten an. Meistens schien sie, während ich erzählte, ganz versunken in die Betrachtung des vor uns liegenden Weges. Sie wandelte mehr als dass sie lief, mit langsamen Schritten und verschränkten Armen, und ich ging neben ihr her.

In dieser Erzählung findet die Ich-Erzählerin heraus, dass die vermeintliche Jugendfreundin der Mutter eigentlich ihre damalige Geliebte war. Schock wäre vermutlich ein zu großes Wort für die Überraschung, die dies bei der Ich-Erzählerin hervorruft. Bedauern stellt sich ein, dass ob dieser Überraschung eine gewisse Lähmung eintrat, die die Neugierde betäubte und keine Fragen stellen ließ.

Keinen Platz und keinen Spaß an der Suche danach

Diese Erzählungen sind Skizzen einer Generation, im Tonfall einer Generation, die ihren Platz nicht finden kann und keinen Spaß an der Suche danach hat. Der Erzählton ist mitunter von einer ausgesuchten Nonchalance, wirkt aber nie arrogant. Es wird geurteilt ohne zu verurteilen, festgehalten ohne zu klammern, festgestellt ohne eine Alternative aufzuzeigen. Bestechend ehrlich und souverän wirkt Hanna Lemke, die mit diesem Erzählband ihr Debüt vorlegt.

Boris hatte immer etwas Prolliges an sich. Er hatte einen breitbeinigen Gang, ein vorgeschobenes Kinn, und wenn er etwas sagte, war er kurz angebunden und ruppig. Er schien jederzeit alles im Blick zu haben. Er gab mir Feuer mit einer selbstverständlich wirkenden Geste, die typisch war für ihn, so ganz nebenbei, und wenn man Boris sah, an eine Theke gelehnt, grinsend, mit einem Bier in der Hand, traute man ihm eigentlich wenig zu.

Die meisten Erzählungen beginnen mit genau solchen kurzen Detailaufnahmen. In den ersten Sätzen werden nicht nur die Protagonisten der Geschichte treffend skizziert, sondern auch die komplette Grundstimmung dargelegt. Rasend schnell rollt sich dann der Handlungsstrang ab, der gar nicht spektakulär sein will, und erst am Ende einer Geschichte ist es der fahle Nachgeschmack, der zeigt wie erschütternd kalt diese Welt sein kann. Wie aber auch das einfach ein Teil derselben ist. Hanna Lemke ist hier ein interessantes Gegenstück zu den zynischen Popliteraten, die etwa 10 Jahre älter sind als sie, gelungen. Die präzise Sprache und die stringente Handlung erinnern an amerikanische Erzählungen und Kurzgeschichten. Man darf gespannt sein, auf das, was hier noch an Erzählkunst folgen wird.

HANNA LEMKE. GESICHERTES. KUNSTMANN VERLAG. 2010. ISBN 978-3-88897-642-1