GEBRAUCHSANWEISUNG FÜRS ZUGREISEN

Autor*in: JAROSLAV RUDIŠ
REZENSION: Wolfgang Kühn
Das Buch beginnt sehr traurig. Der 1972 geborene Schriftsteller Jaroslav Rudiš erzählt von seinem sehnlichsten "Bubenwunsch", Lokführer zu werden, der jedoch daran zerbrach, dass der kleine Jaroslav Brillenträger war, der ohne seine optischen Hilfsmittel alles nur verschwommen sehen konnte - keine guten Aussichten für einen derartigen Berufswunsch. Doch, was für den kleinen Jaroslav eine Welt einstürzen ließ, hat uns Leserinnen und Lesern viele Welten erschlossen, die uns dank der wunderbaren Bücher von Jaroslav Rudiš geschenkt wurden.

Doch trotz des nicht in Erfüllung gegangenen Bubenwunsches ist Jaroslav Rudiš den Eisenbahnen treu geblieben, die Begeisterung ist ihm förmlich in die Wiege gelegt worden. Sein Großvater Alois war Weichensteller, sein Onkel Miroslav Fahrdienstleiter und Bahnhofsvorstand und sein Cousin Ivan Lokführer. Seinem Großvater hat er mit der Graphic Novel "Alois Nebel" ein literarisches Denkmal gesetzt. (Jaroslav Rudiš hat im November 2012 im Rahmen der DUM-Reihe "Literatur im Kino" daraus gelesen. Der gleichnamige Film, der an diesem Abend auch gezeigt wurde, ist drei Tage später auf Malta übrigens mit dem Europäischen Filmpreis für den besten Animationsfilm ausgezeichnet worden). Seine faszinierende Begeisterung für die Eisenbahn und alles was damit zusammenhängt, teilt Jaroslav Rudiš auf über 250 Seiten mit uns. Der Autor erzählt von den unterschiedlichsten Zugreisen, darunter so verrückten Ausfahrten wie das Experiment von vierzig Stunden Eisenbahn kreuz und quer durch Deutschland, das er während Corona mit zwei Freunden unternommen hat.

Blutblase, Eierkopf, Kartoffelkäfer

"Jede Lokomotive hat einen Namen" lässt uns Jaroslav Rudiš über seinen Fahrdienstleiter Alois Nebel ausrichten und gibt auf fünfundzwanzig Seiten anschauliche Beispiele. Von "Brillenschlangen" ist da zu lesen und auch von "Fledermäusen" und "Krokodilen". Sexsymbol Brigitte Bardot fungierte ebenso als Namens(ideen)geber für eine Lok (warum sei nicht verraten), wie Diktator Nicolae Ceaușescu oder Kosmonaut Juri Gagarin. Der Einfallsreichtum der Bezeichnungen kennt keine Grenzen - Wackeldackel, Blutblase, Eierkopf, Kartoffelkäfer, Fliegende Weißwurst oder Goldbroiler, um nur ein paar zu nennen. Jaroslav Rudiš erzählt viel Wissenswertes aus der Welt der Eisenbahn, zum Beispiel, dass in Italien die Gleise und Weichen weiß gestrichen werden, um sie gegen die Hitze zu schützen, wogegen im Norden die Weichen beheizt werden müssen, damit sie im Winter nicht einfrieren. Wir erfahren vom "Lieblingseisenbahnunglück" einer Zugbekanntschaft des Autors, bei dem 1895 ein Bremsversagen die Lokomotive eines Zuges die Fenster und Mauern des Gare Montparnasse in Paris durchbrechen und aus der Höhe auf die Straße stürzen ließ ... und eine Frau unter sich begrub, die kurz im Zeitungskiosk ihren Gatten vertreten hatte.

Mit den in "Gebrauchsanweisung fürs Zugreisen" angeführten Büchern mit Eisenbahnbezug könnte man einen überdimensionalen Bücherschrank füllen, mit den erwähnten Filmen mit Zugszenen über längere Zeit ein spannendes Kinoprogramm bieten und mit den von Jaroslav Rudiš empfohlenen (und konsumierten) Speisen und Getränken ließen sich mehrere großartig bestückte Genussmeilen anlegen. "Uns Tschechen fehlt das Meer, das die Horizonte erweitert. Das einzige Meer, in dem wir baden können, ist das Meer des Bieres", erklärt Herr Peterka, der einen Speisewagen zwischen Hamburg, Berlin und Prag betreibt. "Denn ich bin nicht nur ein Eisenbahnmensch, sondern auch ein Biermensch und ein Espressomensch" gesteht Jaroslav Rudiš ganz offen. Und ich freue mich schon riesig, wenn ich am Samstag, den 20. Mai 2023 im "Kulturzug durchs Kamptal" sitze und mir von Jaroslav Rudiš einige der zahlreichen wunderbaren Anekdoten aus dem Buch vorlesen lasse.
Nähere Infos unter: www.kulturzug.at

JAROSLAV RUDIŠ. GEBRAUCHSANWEISUNG FÜRS ZUGREISEN. Piper Verlag. 2021. ISBN 978-3-492-27749-5