DICHTUNG UND FROSCHHEIT

Autor*in: CHRISTIAN FUTSCHER
REZENSION: Markus Köhle
Christian Futscher schreibt Gedichte, wie kaum ein anderer. Seine Gedichtbände tragen Titel wie "Blumen des Blutes", "Marzipan aus Marseille" oder "Alles außer Lyrik" und aktuell eben "Froschkonzert". Dieses "Froschkonzert" ist eine erlesene Sache, es besteht aus circa 120 Gedichten, mit einer Ausnahme alles Einseiter, manchmal auch Einzeiler, darunter die besten zwei Gedichte auf zwei Seiten in sechs Worten (inklusive Titel), die man schreiben kann (ich sag nur Glück und Unglück - lesen Sie selbst!). Dieser Autor versteht sich auf maximale Verdichtung.

Was und wie wird in "Froschkonzert" verdichtet? In Anlehnung an den Titel "Froschkonzert" ist man natürlich geneigt zu sagen: Das Froschkonzert ist eine Quakophonie lyrischer Stimmen unterschiedlicher Tonarten. Im Orchester groß angeschrieben sind das Absurde, das Alltägliche, das Abgründige, das Allzunahe, das vermeintlich Nichtige, das nicht ganz Unwichtige, das Dialogische, das Verspielte, das Entrückte und das Aufgelesene, will heißen, das Zitierte. Der Autor ist Dirigent. Futscher schwingt den Taktstock, dirigiert das diesjährige Froschkonzert und unternimmt im Froschkonzert eine Qua-Quadratur des lyrischen Kreises.

Das lyrisches Ich, das sich durch das Buch zieht, hat einen Plan. Es ist ein Ich, das handelt, aber bewusst anders ist und isst. Wir werden angehalten, auf Wortunterschiede zu achten. Wir werden angehalten, Reimzusammenhänge anzunehmen. Wir werden angehalten, alles ernst, aber nichts zu ernst zu nehmen. Wir werden mitgenommen in die Welt des lyrischen Ichs.

Peinlichkeitsresistent

Dieses lyrische Ich kennt keine Tabus und ist peinlichkeitsresistent. Nichts ist banal genug, alles hat was. Das Ich hat Macken, die Welt hat Tücken, Faxen helfen dagegen. Literarische Referenzen können genauso Trost spenden wie das Streicheln eines Hirschgeweihs. Vorschützen von Unwissenheit gibt Freiheit und schließlich spricht ja auch nichts dagegen, die Sprache schlicht als Spielmaterial zu betrachten und zu verwenden. Das lyrische Ich hat Tiere generell zum Fröschen gern. Ja, in diesen Gedichten wird gespielt aber auch Blut aus dem Kelch abgöttischer Beziehungsdialoge getrunken. Ein passendes Gedicht gibt es für jede Tages-, Nacht- und Jahreszeit. Hier könnte ein Gedicht stehen. Hier könnte ein Gedicht entstehen. Jetzt. Erdichtet euch! Dichtung ist Schweißfilm und Kopfkino.

Der Alltag ist Poesie, wenn man richtig drauf schaut. Kleine Alltagsfreuden und große Alltagsmysterien gehören verdichtet und Futscher macht das wie kaum ein anderer. Die beste und gleichzeitig billigste Abwechslung ist die Verwechslung. Verwechseln geht immer. Futschers Gedichte sind unverwechselbar, eine Unverwechselbar, an der alle bedient werden. In Futschers Unverwechselbar wird, äußerst kunstvoll und wie beiläufig, das Streben nach den einfachen Dingen betrieben. Denn es sind die profanen Dinge, die das Leben ausmachen und ein langes Leben heißt auch: lange trinken zu können, viele Erinnerungen zu haben, manches zu vertauschen, einiges einzugestehen und eigentlich gar nicht so viel zu brauchen. Und manchmal darf man schon auch einfach nur Frosch verstehen und quaken, röhren oder lachen. Kurzum: Ist ein Gedicht weg - ist es futsch. / Ist ein Gedicht gut - ist es Futscher.

CHRISTIAN FUTSCHER. FROSCHKONZERT. Czernin Verlag. 2023. ISBN 978-3-7076-0797-0