Filz

AUTOREN: FRANZOBEL / FRANZ NOVOTNY
REZENSION: Markus Köhle
Wollte man alles je von Franzobel Geschaffene gelesen, gesehen, gehört haben, man müsste mindestens ein Bildungskarenzjahr beantragen, sich sogleich unerschrocken ins Franzobelsche Textmeer werfen und den Dauerdichter selbst höflichst bitten, er möge zwischenzeitlich die Welt umsegeln oder sich anderweitig sprachfern beschäftigen - aber allein was danach wohl wieder entstünde bzw. dem Dichterherz entspränge, bescherte einem erneut einen erheblichen, uneinholbaren Franzobel-Status-Quo-Expertenrückstand ... Das heißt, die bunten, vielgestaltigen Franzobelschen Textkorallenriffe sind nie zur Gänze überschaubar, denn sie wachsen, wuchern und gedeihen prächtig. Nimmt man neben den Werken Franzobels auch noch jene der Patroninnen und Patronen von Preisen und Stipendien die ihm bereits verliehen wurden hinzu (Bachmann, Nestroy, Schnitzler und Weihrauch, Brecht-Medaille, Elias Canetti Stipendium), dürfte man ohnehin ein Durchschnittsleseleben lang beschäftigt sein.

Lucky-Strike-Fondue

Neben dem Romancier mit Hang zum Barocken, dem Theaterautor mit Skandalpotential, dem nicht zu bändigenden Sprachvirtuosen und dem radikalsubjektiven Fußballkolumnisten gibt es aber auch noch den politisch engagierten Essayisten und exaltierten Drehbuchautor Franzobel. Denn der Interessensfokus im Franzobel-Kosmos hat sich mittlerweile erweitert, verschoben. Verschrieb sich Franzobel anfangs vorwiegend dem Sprachreferentiellen, dann dem Zeitgeschichtlichen, so steht momentan aktuell Gesellschaftspolitisches im Zentrum der franzobelschen Betrachtungen. Das trifft auf sein letztes Buch bei Zsolnay ("Österreich ist schön") und auf das ebenfalls 2009 im Ritter Verlag erschienene "Filz" zu. Der gesamte Titel (mit Untertitel) muss einmal erwähnt werden: Filz. Oder ein Wirtschafts-Flip-Fop-Schmierfilm mit Blutsauger-Blues und Lucky-Strike-Fondue aus dem Land der Bawagbabas, auch Exit III genannt. Als Autoren firmieren Franzobel und Franz Novotny aber auch Gustav Ernst ist als Mitarbeiter ausgewiesen. Das Cover ziert überdies ein Schweinchenbild Franzobels aus dem Jahre 1991. "Auch Exit III genannt" also. Da muss freilich ausgeholt werden.

EXIT I

Wir schreiben das Jahr 1980: "Exit ... Nur keine Panik" plumpst in die österreichische Heimatfilmidylle und sorgt für gehörig Wirbel. Franz Novotny und Gustav Ernst zeichnen für das Drehbuch verantwortlich. Hanno Pöschl und Paulus Manker pöbeln und schlägern sich als Paradestrizzis grandios durch Prater, Bim und Wien.

EXIT II

15 Jahre später sind die Protagonisten merklich gealtert, Manker (alias Plachinger) wurde durch Helmut Berger ersetzt (Regie und Drehbuch wie gehabt). In "Exit II Verklärte Nacht", wird gekokst und gepudert, dass die Schwarte kracht und man macht sich nebenbei lustig über 1990er-Jahre-Spießigkeiten in allen erdenklichen Ausprägungen.

EXIT III respektive FILZ

2009 dann Exit III. In der "Präillumination" stellen die Hauptautoren Franzobel und Novotny ein paar Bemerkungen voran. Das Wesen von Satire, Karikatur und Parodie wird erläutert und man erfährt, dass es sich bei "Filz" um ein "teilweise gut gefördertes Filmdrehbuch, dessen Realisation alleine am ORF gescheitert ist" (S. 7) handelt. Die handelnden Personen des Filmes sind weitgehend bekannt: Neben den bisherigen Exit Protagonisten Kirchhoff und Plachinger honorige Herren wie: Elsner, Meinl, Grasser, Verzetnitsch, Horngacher, Flöttl, u. a. (auf Erden) und im Himmel Bruno Kreisky (Der Herrgott), Mag. Gerhard Schoitl (Ein Engel) und ein Hase (mit Franz-Joseph Koteletten). Ähnlich überzeichnet wie die dargestellten Figuren, ist auch der Plot, es geht um all das im Untertitel Angekündigte und mehr. Filz ist überdies eine Verwechslungskomödie, eine Penthouseposse, ein Wer-will-mich?-Drama, ein Golfplatzsittenbild, ein Seitenblickepanoptikum, eine Paradiesfrotzelei und, und, und. Ein Kürzesteinblick: Der Tankwart Kirchhoff (er kann die Bundeshymne furzen) ist ein Doppelgänger von Elsner und nimmt dessen Rolle ein. Flöttl ist ein weiblicher Pudel im Hause Elsner, der ein amoröses Verhältnis mit Horngacher (alias Plachinger) hat. Verzetnitsch ist Neo-Penthousebewohner mit Dauerschluckauf, die "warmen Brüder" Meinl und Grasser unterhalten sich mit Was-heißt-das-auf-Chinesisch-Witzchen ("Watschen auf Chinesisch? Wang Peng") und sind scharf auf Verzetnitschs Streikfond.

Abschnallbare Brüste

Die Rollen der Putzfrau Juanita Tschippke und der Bardame Zeljka Jurakovic seien hier nicht weiter vorgestellt, nur so viel, die eine glaubt an Außerirdische, die andere kann ihre Brüste abschnallen. Mit Turbulenz und Skurrilität kann in Filz also gerechnet werden und weil die Figuren beim ersten Mal nie etwas hinkriegen, gewährt Gott Kreisky sogar weitere Chancen. Die Figurensprache ist markant, alle haben ihre individuellen Macken, die einen kalauern, die anderen schwurbeln, hicksen, derben vor sich hin (Franzobel kann sich wieder einmal uneingeschränkt austoben) und die Regieanweisungen sorgen dafür, dass das alles noch einen Tick durchgeknallter wird. Herrlich überzeichnet und in Summe wohl niemandes Geschmack aber das ist ja als programmatisch an zu sehen und insofern voll und ganz gelungen. Das Buch ist - wie die meisten bei Ritter erschienenen Franzobel Bücher (Die Musenpresse; Schinkensünden; Der Trottelkongreß; Der Schwalbenkönig;) - etwas für Freaks und Fans, der Film würde vermutlich breiteres Publikum finden und wohl mindestens so viel Reaktionen wie Exit I und II auslösen. Vielleicht wird das ja doch noch was.

FRANZOBEL / FRANZ NOVOTNY. FILZ. RITTERVERLAG. 2009. ISBN 978-3-85415-449-5