Auf den "Watschenmann" folgt "FanniPold". Der zweite Roman von Karin Peschka spielt in der Gegenwart und teilt auch wieder ordentlich Watschen aus.
Zum Inhalt: Fanni ist stellvertretende Filialleiterin des Supermarktes in einer Provinzkleinstadt, Gatte Bernhard Werkzeugmacher und migränegefährdet, Tochter Ines in der Hochpubertät, Sohn Friedl junger Musterknabe. Der Alltag ist ein Routinenstaffellauf und Fanni geht zunehmend die Puste aus. Mittwochs trifft man sich beim Italiener, dem ehemaligen Dorfwirten: Frauenstammtisch. Waltraud: die Werbeagentur-Vorbildfrau mit Designerhaus neben dem Friedhof (kann keine Kinder kriegen). Hilda arbeitet im Gemeindeamt, hat Leo (Freund von Friedl) und ein Alkoholproblem. Gerfriede - die Deutsche - flüchtet sich in Esoterikkram, hat eine (verheiratete) Liebschaft (Jens). Fabian (Sohn von Jens) terrorisiert Gerfriede. Man hat Eigenheime, Schulden und eben diverse Probleme. Fanni hat überdies zwei jüngere Geschwister: Lisa und Hans. Die stehen in ihrer Schuld, das darf sie nützen (Stichwort "NOITKA"). Im Supermarkt gibt es eine dicke, fröhliche Kollegin (Margit) und einen ausländischen Lehrling (Kreshnik, der albanische Ritter).
Fannis Eltern führten ein Geschäft. Bernhards Eltern sind Bauern und natürlich mit Fanni unzufrieden. Fanni hätte Ausbildung nachholen wollen, war dann aber nicht. Fanni funktioniert nicht mehr und hat Aussetzer (lustige Sabotage- und Vandalenakte). Fanni braucht aber mehr, braucht Aufmerksamkeit und legt sich so einen Tumor zu. Ein erfundener aber bescheinigter Tumor. Kein Burn oder Bore out - Krebs! Dann steht man endlich mal im Mittelpunkt. Ines schert sich aus Solidarität den Kopf kahl, fühlt sich wohl so und erntet Respekt dafür im Netz. Fanni plaudert sich alles bei Frau Rainer - Haushaltswarenladeninhaberin - von der Seele. Deren Leben ist auch auf einer Lüge aufgebaut. Sie hat Verständnis und Hund Bosch. Im Ort wird ein Einkaufszentrum geplant. Die leeren Ortskernauslagen sind mit lokaler Kunst dekoriert. Der Frauenstammtisch beschließt, die persönliche Wunschliste abzuarbeiten. So kommt Fanni zum Gleitschirmflug (auch ein Lügenwunsch) und landet schließlich in einem Baum, mit einem Ast in ihr, Poldi am Rücken und der Ausgangs- also Anfangslage des Romans.
Urlaub alleine ist keine Lösung
Zum Aufbau: Kurze "Im Wald"-Kapitel und Alltagsroutine-Einblicke wechseln sich ab. Erzählzeit: keine drei Monate. Im Wald, am Baum steckt ein Ast in Fannis Brust und ihr unlizensierter Tandempilot Leopold, der ein Poldi, kein Leo ist, ist ihr auf den Rücken geschnallt. Man steckt fest und wartet auf Hilfe (ganz toll zum Beispiel Seite 278). Eine mutige Klettererin - Nergis (Kurdin) - sorgt für Zerstreuung und weckt das Interesse an "Bandschlingen". Dieses Querschneiden erzeugt Spannung. Man fiebert mit, schaffen sie's? Die Tristesse des mittelständischen Familienstruggles wird überzeugend dargestellt. Auch das scheinheilige Zwischenmenschliche und das Landsterben. Das ist - den Sound, den Inhalt und auch das Hinige betreffend - zutiefst österreichische Literatur. Das Katholische fehlt hier aber - das unterscheidet "FanniPold" von 1970er Jahre Literatur. Fanni gibt zwar vor, in die Kirche zu gehen, geht dann aber bloß am Friedhof spazieren, um alleine sein zu können. Man ist betont gottlos, hat halt andere Routinen. Fanni wird einem sympathisch, man kann verstehen, warum sie austickt. Aber ist es aufmunternd? Nein, lebensbejahend ist das Ganze nicht. Es ist eine Warnung davor, in ein Fanni-ähnliches Fahrwasser zu geraten. Denn Urlaub alleine ist keine Lösung. Eigentlich deprimierend aber eben sehr überzeugend: Das ist so kein Leben, es braucht einen Ausbruch!
Und das Leitmotiv? Ameisen. Die fleißigen, funktionierenden, fabelhaften Ameisen. Was die alles stemmen können, wie die zusammen halten, was die für Strategien entwickelt haben, um klar zu kommen. Da kommt ein Menschlein - samt Familie und Freundinnen - nicht an.
In Summe: Schnell gelesen - fesselt, hält bei der Stange und ist wirklich gut österreichisch geschrieben, lässt einen aber zwiespältig zurück - was ja gut ist. Es beschäftigt und befriedigt nicht nur. Kein Happy End - oder doch? Weil Fanni so ja eh nicht mehr weiter wollte. Die männlichen Figuren bleiben farblos und simpel. Poldi hat es eigentlich nicht in den Titel verdient, der ist überhaupt missglückt wie auch der Buchrückentext. Die sagen aber schon gar nichts über das Buch, die heischen nach Effekt. Das hat dieser Roman nicht notwendig. Ach ja, Blut fließt natürlich.
KARIN PESCHKA. FANNIPOLD. Roman. Otto Müller Verlag 2016. ISBN 9783701312443