FAMILIENBRAND
AUTOR: VLADIMIR ZAREV
REZENSION: WOLFGANG KÜHN
Ganze 783 (!) Seiten umfasst der 2009 bei Deuticke erschienene Roman "Familienbrand" des 1947 in Sofia geborenen Vladimir Zarev. Zu verdanken haben wir dieses großartige Stück Bulgarien nicht nur dem Autor selbst, der in seiner Heimat bereits 15 Romane veröffentlicht hat, sondern auch seinem in Österreich seit seinem Debütroman "Engelszungen" bestens bekannten Landsmann Dimitré Dinev, der Vladimir Zarev wie es auf gut österreichisch so schön heißt, die Rutsche zu Deuticke gelegt hat. Dinev war bzw. ist von Zarev, der als einer der wichtigsten Autoren Bulgariens gilt, so angetan, dass er gerüchteweise Zarevs Bücher in weiten Hosen aus bulgarischen Büchereien geschmuggelt haben soll, nur um dessen (vergriffene) Literatur zu besitzen
783 Seiten, zwei Bücher in einem, wenn man so will, das erste Buch beginnt so wunderbar skurril, dass man den Roman am liebsten gar nicht mehr aus der Hand legen möchte. Der alte Weltschev, am (Sterbe-) Bett liegend, fühlt, dass es mit ihm zu Ende geht und bittet seine Frau um eine Kerze. Diese, von ihrem Mann zeitlebens zum Narren gehalten worden, denkt an einen weiteren dummen Scherz und steckt ihm eine Stange Lauch zwischen die gefalteten Hände. Doch der alte Assen Weltschev haucht tatsächlich sein Leben aus, seine Hände schon in Totenstarre zum den Lauch gekrallt, so dass der alten Petruniza gar nichts anderes übrig bleibt, als den Lauch mit ihrem zahnlosen Mund abzuknabbern. Nun liegt es an Petruniza Weltschev die Familie, bestehend aus vier völlig konträren Söhnen und einer hellsehenden Tochter zusammenzuhalten.
"Wundersame Sätze"
Ort der Handlung des ersten Buches ist die verschlafene Kleinstadt Vidin an der Donau, wir steigen zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den Roman ein, zu einer Zeit, als die politischen Ereignisse auch vor Vidin nicht halt machen. Die Brüder Weltschev versuchen ihr Glück auf unterschiedliche Art und Weise. Panto macht Karriere als Banker, jedoch mehr durch glückliche und gleichzeitig unglückliche Verheiratung, Ilija profiliert sich als Fabrikant und Ausbeuter, Christo wird unfreiwillig zum Helden des Volkes und Jordan, der Träumer, baut Luftschlösser, ähm Kirchen, doch anstelle einer Stätte der Ruhe entsteht eine Gaststätte, auf ihre ganz eigene Art sind alle vier zum Scheitern verurteilt.
Das erste Buch zeichnet ein wunderbares Sittengemälde einer kleinen bulgarischen Stadt, Weinen und Lachen liegen eng beieinander, im zweiten Teil des 1978 in Bulgarien erstmals erschienenen Romans verlagert sich die Handlung in die Hauptstadt Sofia, wo wir dem verbliebenen Rest der Weltschevs und deren Kinder wieder begegnen, das Geschehen wird zusehends politischer, die Wirren des Krieges machen auch vor Bulgarien nicht halt.
"Wundersame Sätze sind das, die einen jung und mächtig und leidenschaftlich, aber auch weise, zärtlich und gut machen können." Urteilt Dimitré Dinev am Buchcover - dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen!
Fazit: Ein nicht nur dicker, sondern auch großer Roman! Ein Muss für alle, die slawische Literatur und slawische Mentalität lieben! 783 Seiten - der Winter mag ruhig kommen!
VLADIMIR ZAREV, FAMILIENBRAND, DEUTICKE VERLAG, 2009, ISBN - 978-3-552-06098-2
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