"Um Tankwart zu sein, sollte man den Geruch von Benzin mögen, Routine und Langeweile ebenso - und außerdem Frauen, die den Geruch von Benzin mögen. Beauvoire aber ist nicht nur Tankwart. Er ist Soziologe und Philosoph, Detektiv und gar Rebell ...
Alltag an einer Tankstelle am Rand von Paris. Autos halten an und werden betankt, Menschen kommen und gehen. Beauvoire arbeitet an diesem Ort, dem Inbegriff des Transits, und wird von seinen Kunden zumeist übersehen. Derart unsichtbar kann er sie in Ruhe beobachten und denkt sich seinen Teil. Die Arbeitszeit vertreibt er sich mit Lesen, mit A- wie auch B-Movies und träumt im flackernden Schein der Neonröhren von Amerika. Er telefoniert mit seinem Freund Ray auf Malta, spielt Dame mit Nietzland und wartet auf die Ablösung durch Jean Pol. Er übermittelt unfreiwillig geheime (kriminelle?) Botschaften, wagt es eines Tages endlich, die verführerische japanische Stammkundin anzusprechen, und lehnt sich gegen seinen Chef auf, indem er wilde Ausstellungen im Verkaufsraum organisiert.
Hier, wo alle gesellschaftlichen Schichten sich kreuzen, wo ökologische, politische und soziale Fragen aufbrechen, sind irrwitzige Geschichten zu erleben und vielfältige Einsichten zu gewinnen. Ein überaus einfallsreicher, nicht ganz ernst gemeinter philosophischer Roman."
"Hochgiftige" Substanzen
Soweit die Wagenbach-Beschreibung und ja, es ist tatsächlich so ..., und endlich ein "Tankwart-Buch". Endlich wird der ausgestorbene Beruf des Tankwarts thematisiert und in den Mittelpunkt gestellt. Eine Nostalgiereise in die Seele eines Berufsstandes, den es so nur mehr selten gibt und noch seltener geben wird - außer an den E-Zapfsäulen finden sich womöglich Smartphonefilialen, die von Robotern bedient werden (ein Nachdenkabsatz für die Moderne). Natürlich ist zu bedenken, dass die Tankstellen "hochgiftige" Substanzen abgeben und ökologisch gesehen eine Zumutung sind.
Der Autor Alexandre Labruffe, geboren 1974 in Bordeaux, war mehrere Jahre lang in China und Südkorea tätig. Zurück in Paris hat er in zahlreichen künstlerischen Projekten, vor allem am Theater und fürs Kino gearbeitet. "Erkenntnisse eines Tankwarts" ist sein erster Roman Und der ist gelungen, alleine schon deshalb, weil es ein Tankwart-Buch ist. Ich war in einem meiner ersten Jobs Tankwart und ich habe das gemocht; ich mochte den Geruch von verbleitem Benzin und das Bild von Edward Hopper - "Gas" aus 1940. Und natürlich kommt beides in dem Roman vor.
Schon das in rot gehaltene Büchlein aus der Salto-Reihe, hoch gestellt, wie eine alte Zapfsäule, mit einem Tankstellenbild der Vergangenheit. Die Zahl 5, in China ist das die Zahl des Wu, des Nichts, der Leere. Anfang und Ende aller Dinge. Es ist die Zahl des Nicht-Handelns, des Nicht-Seins, des Tankwarts." So scheint es zu sein, doch gerade das Nicht zwingt den Tankwart in Kontakt mit den Kund*innen. Das Buch erzählt uns in kurzen Spots, in Gedankenfetzen, in hochgespülten Zeitmomenten die ganze Welt. Die ganze Welt auf kleinem Raum, der geöffnet hat.
Kein richtiger Tankwart
Langsam erfahren wir mehr von dem Tankwart - naja ein richtiger Tankwart ist er ja nicht, denn er steht hinter der Kassa (aber ich bin schon glücklich über die Darstellung), so ein richtiger Tankwart ist draußen und bedient die Autos von vorn bis hinten - über seine Familie, die Schwester, den Vater ... Die Tankstelle gurgelt vor sich hin und der Tankwart ebenso; dann beginnt das System zu wackeln, indem die Fernfahrer keine Raffinerien mehr anfahren.
Eine Kunstausstellung an der Tanke noch, dann ist "Schluss". Der Tankwart zieht weiter. Der schmale Band entfacht eine Phantasiereise in mir, die auf ein Ankommen hofft, doch das wird mir verwehrt ...; zum Lesen zwischendurch wunderbar geeignet, doch kein flüchtiges Buch - ein Buch der Erkenntnisse. Boris Vian lässt grüßen; der Gedanke an ihn kam mir immer wieder beim Lesen.
ALEXANDRE LABRUFFE. ERKENNTNISSE EINES TANKWARTS. Aus dem Französischen von Cornelius Wüllenkemper. Wagenbach SALTO. 2023. ISBN 978-3-8031-1377-1