Unlängst erst Thomas Sautner bei der Präsentation seines vorletzten Romans im Palmenhaus Gmünd begegnet. Gesteckt voll der einladende große Raum. Ein Bild aus vergangenen Tagen. Die derzeitige Präsentation erfolgt via Live-Stream und Internet und Abstand oder gar nicht. Diese Erfindung fordert ...
Beim Lesen bin ich dann irgendwann reingekippt in die Erfindung der Welt und hab meine eigene Welt erfinden können. Das Buch hat mich abgeholt und hineingeführt in die Untiefen der Wälder ... Die verschiedenen Sichtweisen aus der Perspektive der ProtagonistInnen, deren Geheimnisse, Liebesleben und sinnerfüllte Lebensalltage im Rahmen der vorherrschenden Möglichkeiten macht den Roman zu einer Seelenreise ins Glück, Verderben, Leben und Tod. Und es lässt einen Anteil nehmen am Dasein der BewohnerInnen dieses "Landstriches".
Das ist die große Kunst, die dem Autor da gelingt; der Autorin, die beauftragt ist, genau das zu beschreiben, gelingt der Einblick nicht - dafür kommen die Leserin und der Leser in den Genuss, genau das zu verfolgen.
Rätsel
Zusätzlich gibt mir Thomas Sautner auch so manches Rätsel auf:
Im Prolog steht: "Meinen jüngsten Roman hatte ich deshalb ganz abgenabelt von mir, von Beginn an war vereinbart, dass er unter der Obhut und dem Tarnnamen eines befreundeten Schriftstellers erscheinen sollte, niemand außer uns und unserem Verleger wusste davon. Der Freund übernahm es sogar, Lesungen aus dem Roman zu halten und Interviews zu geben. Wir hatten kindischen Spaß daran, unser Geheimnis als Innovation zu feiern, als neue literarische Freiheit, nämlich der Freiheit des Buches von seiner Autorin." Und dann bei steht bei den Danksagungen: "Danke, Thomas, dass ich deinen Namen wieder als Pseudonym verwenden darf."
Nun stehe ich als Rezensent vor einem Rätsel; und habe das Gefühl der Autor spielt mit uns geneigter Leserschaft mit dem Hinweis auf "Die Erfindung der Welt"; dies kann alles Sein und Nichts. Viele Gedanken jagen durch meinen Alltag dazwischen - hat das Buch zum Teil jemand anderer verfasst? Eine Erfindung als Kunstfigur, sowie unlängst erst in Ö1 der Karl Wiesinger mit seinem Bauernroman?
"Die größte Erfindung der Welt ist die Erfindung der Welt", sagt Fred, der mit Kleinwüchsigkeit beschwert ist, wie der Erzähler aus der "Narrenschiff-Verfilmung" durch den Roman geheimnisst. Insgeheim mäandert das Buch durch die Schriftstellerin Aliza Berg - sämtliche lebensnahe Bereiche, wie Liebe, Sex, Affären - schließen Sie selbst aus. Sie selbst bleibt auf dem Steg des Teiches stecken und kommt nicht weiter, obwohl sie schon mitten drinnen ist.
Wunderbare Sätze mit Bildern bestückt:
"Erstmals / In meinem so sehr beobachteten Leben / Wählte ich nicht das Ziel, / wählte stattdessen den Weg. / Ich sehe zur Seite, gegen die Sonne / Und als wäre es Zufall, Zufall nur, / gehst du neben mir. / Und lächelst." Ein Auszug aus dem Brief von Elli (der Gräfin) an Jakob (dem Hüttenbauer); und das Zitat wiederum stammend von Tarimoko Son - und das wieder aus der Originalhandschrift vom Antiquariat Reiter & Söhne. Die illustre Gemeinschaft mit jeder Menge Geheimnisse und Verknüpfungen.
Eine besondere Szene:
Das Hinsehen auf den Birkenhain mit den Naturgedichten - die Offenbarung der Welt ist nicht nur eine Erfindung, sondern auch das genaue Hinsehen und die Zurücknahme des Eigenen; erst dann entwickelt sich die Welt, wie dies Fred der Autorin Aliza Berg "vermittelt". Die rollstuhlfahrende Senta - lange im Hintergrund -, Gattin des Trafikanten Peter (Die Rolle des Trafikanten schon eine beliebte Bezugsperson bei Robert Seethaler ...) ermuntert uns mit der Hoffnung: "Romane sind wie Schuhe, manchmal passen sie, manchmal nicht. Und manchmal braucht es einfach noch, um in sie hineinzuwachsen."
Auftrag nötig?
Benötigt der Mensch einen Auftrag von außen, um sich selbst näher zu kommen und zu erfinden? Um den Mut zu haben auf Menschen zuzugehen und sie zu Gesprächen einzuladen mit einem Medium im Hintergrund, auf das ich mich stützen kann?
Wie schön, dass der Graf Johann von Hohensinn, der Schöpfer des "Hohensinn'schen Vollständigkeitssatzes, den Sinn bereits im Namen mitführt; d.h. er braucht sich um alle irdischen Sinnhaftigkeiten nicht mehr zu kümmern. Der Abgang mit dem kleinen anarchistischen Zeichen, eine "Note" zu setzen, macht die Hoffnung auf ein eigenes sinnerfülltes Ganzes wiederum lebendiger und durchführbarer, ohne an den eigenen Verrenkungen zu zerbrechen.
Das Ende gehört wieder der Natur:
Und zwar dem "Sumpfblutauge". Eine Pflanze, die auf der roten Liste der Gefährdeten steht. Thomas Sautner sei Dank für diesen Roman, der mich irritiert, bewegt und nachdenklich gemacht hat - alles in Einem - und der nachhallt mit einer Nachschau des eigenen Lebensentwurfes.
THOMAS SAUTNER. DIE ERFINDUNG DER WELT. Picus Verlag. 2021. ISBN 978-3-7117-2103-7