DRAMAQUEEN IM ROMANKOSTÜM

Autorin: LENA JOHANNA HÖDL
REZENSION: Markus Köhle
"Emotionaler Leerstand im privaten Eigentum" (ELIPE) ist das Romandebüt von Lena Johanna Hödl, die sich schon als 378 auf den Poetry-Slam-Bühnen Österreichs einen Namen machte. ELIPE aber sind nicht Slam-Texte in Romanlänge. ELIPE ist ein klassischer Entwicklungsroman und doch auch ganz anders. Wir begleiten die Heldin Lena vom Haus am Waldesrand in der steirischen Provinz bis nach Wien in die Schauspielschule, von der Psychiatrie in Graz bis in die Obdachlosigkeit, vom bildungsbürgerlichen Elternhaus über diverse WG-Couches bis zur mietfreien, gepflegten Gründerzeitvilla.

ELIPE ist ein Roman ohne Grenzen in 21 Kapiteln plus Pro- und Epilog.

Grenzen sind der Heldin fremd. Jede Erfahrung will sie selbst gemacht haben. Jeder Funke kann in ihr einen Flächenbrand entfachen, eine Feuerwalze, die Herz und Hirn entflammt und einnimmt. Es gibt nur Extreme, das Dazwischen ist die Langeweile, an deren Tür der Leerstand jederzeit anzuklopfen droht. Die Heldin spielt die Rolle ihres Lebens, folgerichtig landet sie auf der Schauspielschule. Die Nebenrollen sind besetzt mit den Lieben des bisherigen Lebens. Da wird nichts und niemand ausgelassen, das reicht vom staubsaugenden Papa bis zum schlussstrichziehenden Therapeuten, vom bettelnden Punk bis zum prügelnden Sadisten, von der Koksnase bis zum Krapfen, vom Kindergarten- bis zum Eigentlich-schon-immer-Freund ... Mag die Heldin zwischendurch an den jeweiligen Beziehungsenden brechen, letztlich wächst sie.

Es geht um Grenzerfahrungen, um Emotionsexplosionen und Liebeskummernummern, um das Anderssein wollen, Anderssein müssen, und schließlich um das Anderswerden. Das hat sich auch sprachlich zu manifestieren. ELIPE ist formal originell gestaltet. Für alle großen Gefühle ist Platz. Wenn Pathos das beste Mittel zum Zweck ist, wird Pathos aufgetragen. Wenn es Humor ist, dann eben Humor. Schmuseschmelz und Endkrassfaktor halten sich angenehm die Waage. Die sprachliche Gestaltung ist eine Villa Kunterbunt aus klassischem Bildungskanon und dem zeitgemäß klugen Gegenteil davon. Vergleiche mit Figuren aus griechischen Tragödien liegen ebenso nahe wie mit Netflix-Serien-Charakteren.

ELIPE ist eine Geschichte der Entfaltung.

Die Liebesraupe Nimmersatt frisst sich durch 21 Episoden und verwandelt sich dann in einen Schmetterling, den die Welt noch nicht gesehen hat. Dieser Roman ist ein geglücktes Wagnis, eine mutige Entblößung und die reinste Offenbarung, ist ein literarisch überzeugendes Aufmerksamkeitsgesuch in Buchform und das auffälligste Debüt des letzten Jahres!

ELIPE ist eine glamouröse Dramaqueen im gut sitzenden Romankostüm. Literatur braucht tragische Figuren. Literatur braucht funkelnde Figuren. Die Heldin von ELIPE kann mit beidem aufwarten und die Autorin Lena Johanna Hödl wird noch viele Grenzen sprengen. Freuen wir uns darauf.

LENA JOHANNA HÖDL. EMOTIONALER LEERSTAND IM PRIVATEN EIGENTUM. Achse Verlag. 2020. ISBN 978-3-9504831-2-3