DIE DURCHSICHTIGEN HÄNDE

AUTOR: XAVER BAYER
REZENSION: KATHRIN KUNA
Nach drei Romanen ist dies Xaver Bayers erste Erzählsammlung. Eingeleitet werden Die durchsichtigen Hände durch ein Zitat aus dem Roman Lesabéndio des deutschen Phantasten Paul Scheerbart. In diesem ist die Rede von den "Rätseln des Lebens", die man nicht immer nur sehr ernst betrachten soll, sondern auch einmal darüber lachen. Sollte dieses einleitende Zitat Motto für die Erzählungen sein, muss leider gesagt werden, dass weder das eine noch das andere so richtig geglückt ist. Die ersten Erzählungen sind geprägt von Pessimismus und Selbstmitleid - keine sonderliche Überraschung, aber eine gewisse Wut stellt sich nach der zweiten Erzählung doch ein. Schaut man über die konservative Darstellung der am Strand wartenden Freundinnen in Durchhaltewettbewerb noch hinweg, will man das Buch nach Zwei bereits weglegen, weil man sich mit 16 Jahren irgendwann gegen den Nihilismus als Lösung entschieden hat.

Das arrogante Dandy-Dasein des Ich-Erzählers in den nächsten Geschichten, die im Übrigen nicht inhaltlich, aber thematisch und stilistisch zusammenhängen, lässt einen kopfschüttelnd schmunzeln. Man wird bei Titeln und Erzählungen wie Noch einmal für Jean-Louis Trintignant oder Im Taxi mit Henry Kissinger an die sprachlich auch eher wenig anspruchsvollen, aber zumindest durchaus sehr humorvoll erzählten Episoden von Wladimir Kaminer erinnert. Umso ärgerlicher ist es bei Bayer wieder mit langweiligen Vanitas-Motiven konfrontiert zu sein, die man bereits aus Alaskastraße und Weiter kennt.

Amoklauf zwischen Lächerlichkeit und Geschmacklosigkeit

Zwischendurch lässt die Erzählung Künstlerische Freiheit kurz glauben, dass es - wenngleich auch ein bisschen wehleidig - doch zu einer ehrlichen Konfrontation mit den zentralen Themen aller Erzählungen, der Einsamkeit und der Fremdheit bzw. dem Fremd-Sein, kommen könnte. Schon die nächsten beiden Geschichten lassen diesen Eindruck aber wieder verschwinden. Der Autor kennt offensichtlich nicht nur Paris, sondern auch New York, nicht nur ein paar Bücher, sondern auch ein paar Filme ganz gut. Eine Selbstinszenierung in etwas verhaltenerer, dennoch aber klassisch pop-literarischer Name-Dropping-Manier gipfelt schließlich in der Erzählung Engagierte Literatur, wo eine Koketterie mit einem vorangekündigten Amoklauf schwer zwischen Lächerlichkeit und Geschmacklosigkeit einzustufen ist. Kurz danach wird die Gesamtheit dieser neurotischen Ich-Erzähler-Figur in Innenhof des Komplexes dargelegt.

Spätestens hier wünscht man Bayer, dass der Ich-Erzähler keine autobiographischen Züge trägt. Er ist derselbe Typ Mann, den wir aus den drei bereits erschienen Romanen kennen. Ein armer Mensch, nicht unbedingt ohne Eigenschaften, aber sehr gefangen zwischen Zauberberg-Szenario und Blendung. Ebenso wie dieser in seinen Inneren Monologen versunken ist und eine Reflexion von außen oft dringend nötig hätte, würden die Erzählungen gewinnen, wären sie nicht nur durch eine einzige Sicht geprägt.

Hoffnungsvolle Ratlosigkeit

Umso erstaunlicher sind die letzten Geschichten, die plötzlich ein versöhnliches Leseerlebnis zulassen. In Reif erscheint der Ich-Erzähler, plötzlich mit einem Funken Hoffnung versehen, als postmoderner Flaneur, der den Kampf mit und um das innere Kind reflektiert. Sätze wie der folgende sind vielleicht keine neue Erkenntnis aber nach viel prätentiösem Konstrukt zwischendurch erfrischend ehrlich: "Ich muss meiner Zweitstimme Recht geben, die seit jeher die Funktion besitzt, mich davor zu bewahren, auf mich selbst reinzufallen, auf mich, der sich im Sich-selbst-etwas-Vormachen ständig neue Schleichwege und Finten einfallen lässt."

Wie in dieser gelingt es Bayer schließlich auch in den restlichen fünf Erzählungen eine eigene Stimmung zu erzeugen, nach der man sich davor gesehnt hat. Wie die erste beginnt, so endet die letzte Erzählung, im Meer auf den Wellen treibend. War dieses Bild anfangs mit Durchhalten verbunden, so ist es am Ende durch (hoffnungsvolle) Ratlosigkeit und die Konzentration auf körperliches Bewusstsein geprägt. Die Hände bekommen also langsam ihre Substanz zurück.

XAVER BAYER, DIE DURCHSICHTIGEN HÄNDE, Jung und Jung, Salzburg, 2008, ISBN 978-3-902497-42-0