Stellen Sie sich vor, Sie wollen ein harmloses, aber unerwünschtes Abonnement endlich kündigen und schreiben dafür eine Email an den Verlag. Bzw. stellen Sie sich vor, Sie denken, dass Sie eine Email an den Verlag geschrieben haben. Nachdem Sie von diesem keine Rückantwort erhalten haben, das Abonnement aber noch immer nicht erloschen ist, versuchen Sie es erneut. Leider wieder mit der falschen Adresse, dennoch erhalten Sie nun eine Antwort. Und zwar von einem Mann, dessen Nachname bereits für viele verärgerte Abonnenten zuvor verblüffende Ähnlichkeit mit dem Verlagsnamen hatte. Sie entschuldigen sich und versuchen es dann erneut - und dieses Mal auch erfolgreich beim Verlag. Etwa ein halbes Jahr später erhalten Sie dann aber eine etwas verärgerte Email von diesem Mann, bei dem sie damals versehentlich das Abonnement kündigen wollten. Er beschwert sich, dass er in ihren Verteiler für die Weihnachtsgrüße gerutscht ist und teilt etwas unforsch seine Meinung zum Thema Massenmails mit.
Würden Sie dann noch einmal antworten?
Wenn Sie Daniel Glattauers Roman Gut gegen Nordwind gelesen haben, würden Sie antworten. Er lässt uns in seinem Roman nämlich an der Emailkorrespondenz teilhaben, die sich aus diesem Missverständnis entwickelt und führt uns vor Augen, was der Zufall im Stande ist mit zwei Menschen anzustellen, wenn sie sich auf ihn einlassen. Emmi und Leo beginnen einander immer persönlichere Emails zu schreiben. Bald schreiben sie einander täglich, schließlich mehrmals innerhalb einer Stunde. Sie beginnen quasi eine Unterhaltung über elektronischen Schriftverkehr. Bekanntlich haben Emails nicht nur den Vorteil des schnellen und unkomplizierten Informationsaustauschs, sondern auch das Potential des intimen Gedankenaustauschs. Die gleichzeitige Distanz und Unmittelbarkeit benutzt der Autor hervorragend, um die Spannung zwischen den beiden Protagonisten gleichermaßen mit der Spannung im Roman aufzubauen.
Im Stile einer Romantic Comedy
Es kommt zu sehr offenen und persönlichen Online-Begegnungen zwischen den beiden. Relativ bald reflektieren sie über die Möglichkeit eines Treffens im realen Leben und wiegen die möglichen Konsequenzen ab. Wie hoch ist die Gefahr der Enttäuschung, wenn man sich plötzlich Auge in Auge gegenübersteht und die Konfrontation zwischen Vorstellung und Wirklichkeit unvereinbar auseinander klafft? Wie schlimm ist es die Illusion eines vermeintlichen neuen Traumpartners zu zerstören? Wie lang kann die Spannung andauern, wenn man sich der Illusion einfach hingibt? Und was passiert, wenn man schließlich zu lange nachgedacht und abgewogen hat?
Der Roman verführt den Leser nicht nur zum Voyeurismus, sondern spielt im Stile einer klassischen Romantic Comedy mit den Erwartungen und Vorstellungen zur romantischen Liebe. Wie geht es zu Ende? Werden die beiden einander bekommen? Auf einer anderen Ebene zeigt der Autor aber auch, welche Ängste und Sorgen bei der Annäherung zwischen zwei Menschen eine Rolle spielen. Nicht nur das Vermögen sich aufeinander einzulassen, sondern auch das Unvermögen voneinander abzulassen, die Gefahr der Abhängigkeit von jemand anderem, der als Projektionsfläche der eigenen Wünsche und Sehnsüchte dient, werden aufgezeigt.
Nur mit ironischem Abstand genießbar
Es ist unmöglich Gut gegen Nordwind nicht in einem Zug durchzulesen, wenngleich man sich zwischendurch mitunter vielleicht eine etwas leidenschaftlichere Ausdrucksweise wünschen würde. Obwohl der Autor sehr bemüht ist beide Seiten ausgewogen darzustellen, trägt Emmi phasenweise die Züge einer hysterischen Mitdreißigern, die sich ihrer Neurosen nicht nur bewusst ist, sondern diese sogar verteidigt. Leo hingegen ist aufgrund seiner beruflichen Ausrichtung als Sprachwissenschaftler tendenziell überlegen. Wie sich das Blatt dennoch wendet, lesen Sie am besten selbst nach. Und wenn Sie dann traurig und enttäuscht oder vielleicht auch erleichtert und zufrieden das Buch ausgelesen weglegen, ist erst der erste Teil dieser - zugegebenermaßen - sehr eigenwilligen Beziehungsgeschichte zu Ende. Warum es überhaupt zu diesem Ende kam, was es zu bedeuten hat und wie daraus noch einmal ein völlig neuer Anfang wird, ist dann im Folgeroman Alles sieben Wellen zu lesen. Auch hier liest man am besten zwischen den Zeilen der einzelnen Emails. Dort finden sich nicht nur psychologische Erklärungsmuster, sondern Zugeständnisse und Erkenntnisse, die man zuvor so bestimmt nicht vermutet hätte.
Daniel Glattauer hat uns 440 Seiten Liebesgeschichte geschenkt, voll von Humor und Unterhaltung, Leichtigkeit und Liebenswürdigkeit. Manch einer wird an die amerikanische Romantic Comedy Email für dich erinnert werden und wissen, dass derartige Erzählungen mit dem Potential der Authentizität und Empathie spielen, mit der Realität aber nichts zu tun haben und eigentlich nur mit einem nötigen ironischen Abstand genießbar sind.
DANIEL GLATTAUER. GUT GEGEN NORDWIND. Roman, Deuticke, 2006, ISBN 978-3-442-46586-6
DANIEL GLATTAUER. ALLE SIEBEN WELLEN. Roman, Deuticke 2009, ISBN 978-3-552-06093-7